vonWolfgang Koch 10.09.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wir halten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der berühmten liberalen Ära Wiens. Die Liberalen sind fraktionell dreifach in sich gespalten: in Mitte, Linke und Äusserste Linke.

Was heisst unter diesen Bedingungen überhaupt liberal? Grundsätzlich heisst es: Befreiung der Gemeinden von der Bevormundung durch landesherrliche und grundherrliche Obrigkeit; Aufhebung der Patrimonalherrschaft heisst es; Trennung der Verwaltung von der Justiz – lauter grundvernünftige Verlangen, die schon die Revoluzzer 1848 hinausgebrüllt haben.

Doch die in der Märzverfassung von ’48 vorgesehene Volksvertreung ist ja nie einberufen worden. Selbst der Konstitutionalismus besteht eher als Fiktion denn als reale Teilhabe an der Macht. In dieser Situation sind die Liberalen vor allem die legitime Erben des Josephinismus. Achselzuckend (»Was soll ma machen?«) verfolgen sie zwei widersprüchliche Grundprinzipien: a) Zentralismus und Oligarchie innerhalb der Stadt – aber b) Autonomie und Freiheit von Machteinflüssen nach aussen.

1862 sehen die Liberalen in der Wiedereinführung der Gemeindeautonomie eine eindrucksvolle Leistung ihrer Partei. Und da das Dreiklassenwahlrecht den vermögendsten Schichten, der aktivsten Kraft, die Möglichkeit bietet, Herrschaft in den Gemeinden zu erlangen, findet sich ihre Protagonisten rasch mit einer undemokratischen Wahlordnung ab.

Die politischen Spielregeln sind, wie zu allen Zeiten, ungerecht und unübersichtlich. Kraft der Schmerling’schen Verfassung 1866 besitzen etwa 9.000 Personen das Wahlrecht zum Landtag. Doch für den politischen Liberalismus wird die Existenz dieses Privilegienwahlrechts bald zu einer echten Überlebensnotwendigkeit. Nur ein Nobelparlament beschränkt die politische Repräsentation auf die bürgerlichen und gutsbesitzenden Schichten.

Die Liberalen des 19. Jahrunderts regieren dankt einer institutionalisierten Oligarchie. Das ist nicht sonderlich demokratisch! Nach heutigen Vorstellungen sogar eher diktatorisch. Bevor der Stadtrat nicht einen Gesetzesentwurf ausarbeitet, ist das Plenum des Gemeinderats nicht ermächtig, darüber zu befinden.

Dieser Privilegienparlamentarismus der besseren Leute kollidiert notwendigerweise mit dem schmetternden »Liberte!« der weniger Besseren. Liberale Wortführer haben stets mit Opposition in den eigenen Reihen zu rechnen. Nehmen sie die Interessen des Grossbürgertums wahr, lehnten sich die Vertreter des Kleinbürgertums aus dem gemeinsamen Boot. 1875 zum Beispiel wettert die Neue Freie Presse tüchtig gegen die Bezirksdemokraten, die man »allzeit redefertige Schwätzer, welche in ihrem Stammkneipen die kannegiessernden Cadres sammelten, die sich Demokraten nennen«.

Adolf DAUM, der häufig mit seiner Mutterpartei in Auseinandersetzungen gerät, tritt für eine verbesserte Gemeindeordnung ein, die jenen preussischer und bayrischer Städte darin ähnelte, dass sie die Macht des ernannten Magistrats vergrössern würde.

Die liberalen Bedenken hinsichtlich des freien politischen Wettbewerbs sind absolut verständlich. Man versucht mit stufenweisen Reformen das rote Meer einer Klassenrevolte zu verhindern.

Linke und rechte Gegner der Liberalen stehen ante Portas. Der Eiserne Ring bildet eine antiliberale Abwehrfront aus klerikal-konservativem Adel, Kleinbauern und Kleingewerbetreibende. Und zur stärksten Kraft des Eisernen Rings steigt die Christlichsoziale Partei auf.

© Wolfgang Koch 2007
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