vonWolfgang Koch 08.01.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Ich werde nicht müde Paul Albert LEITNER, 51, als den stilvollsten aller österreichischen Autorenfotografen in den Himmel zu loben. Zwar halte ich den Deutschen Alexander von REISWITZ mit seiner Globalserie »Familienaufstellungen« für den Fotografen des Jahres 2007. Doch auch die Arbeiten des Wahlwieners Leitner besitzen das Potential, den internationalen Kunstbetrieb am Bein zu packen und es so lange herumzudrehen bis das Kniegelenk krachend aus der Kehle springt.

Aus Anlass seines 50. Geburtstags habe im letzten Herbst Leitner mit einer ausführlichen Kritik bedacht. Denn was, meine ich, ist ehrenvoller, als zu einem runden Jubiläum kritisiert oder karikiert zu werden? Ein Feuerwerk! – Lächerlich, das reicht schon zu Silvester. Eine Torte? – Nur zum Kindergeburtstag. Der Ankauf eines Bildes? – Nein, mein Lager ist voll.

Leitner nahm den Jubiläumsverriss, sagen wir mal, mit gemischten Gefühlen hin und meldete sich nach seiner nächsten Reise zunächst einmal nicht mehr bei mir. [Exkurs: Das einzige vernünftige Verhältnis eines Kritikers zu einem befreundeten Künstler lässt sich zwischen dem Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick und dem Komponisten Johannes Brahms studieren. Nie hat der eine über die zahlreichen Artikel des anderen auch nur ein Sterbenswörtchen verloren.]

Als dann die ehemalige sozialdemokratische Kampfpostille Zukunft recht zusammenhanglos zwei Absätze aus meiner Jubiläumskritik nachdruckte, platzte Paul Albert Leitner doch der Hosenknopf am Bund, hüpfte über den Küchenboden und kullerte unter den Herd. Der Künstler nahm das nächste Blatt Papier zur Hand und sandte mir eigenhändig eine Darstellung der wirklichen Kausalverhältnisse.

Hier zunächst die inkriminierten Stellen:

… »Fotografie zeigt uns, wie der Dumme die Welt sieht«, hat der kolumbianische Aphoristiker Nicolás Gómez Dávila einmal geätzt. Das scheint wie ein Kommentar auf das Werk des Wieners [Paul Albert Leitner] zu passen. Tatsächlich muss man ja einigermassen naiv sein, zu glauben, man könne den Ort fotografieren, den ein Dichter besungen hat.

Ich meine, Künstler sind grundsätzlich schlechte Interpreten ihres Werkes. Ihr Kommentar besagt meist weniger über ihre Arbeit als sie denken. Und das ist ja kein Unglück! Denn ein Werk kann auch gegen die urprünglichen Motive und Intentionen des Schöpfers ästhetischen Reiz entfalten. Das war bei Legionen von europäischen Kirchenkünstlern der Fall, von der Romanik bis zu den Nazarenern – warum sollte das heute anders sei?…

Ich habe Dávila natürlich augenzwinkernd zitiert, weil man diesen schroffen Menschenhasser unter vernunftbegabten Zeitgenossen gar nicht anders als augenzwinkernd zitieren werden kann. Aber darum geht es gar nicht. Leitner mag diesen finsteren Stern am südlichen Firnament nicht wahrnehmen.

Was der Reisekünstler in seiner Weihnachtspost (»private & confidential«) in fetten Versalien bemängelt, ist meine Behauptung, ein Fotograf müsse schon einigermassen naiv sein, zu glauben, er könne den Ort fotografieren, den ein Dichter besungen habe.

Leitner verweist mich in diesem Zusammenhang auf eine kürzlich in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit erschienene Besprechung seines Kollegen Georg KÜRZINGER (Nr. 51, am 13.12.2007). Der Münchner Fotograf, erfährt man aus dem Artikel, zeigt derzeit im Europäischen Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main zwischen 1998 und 2001 entstandene Arbeiten, die den Romanen des ägyptischen Schriftstellers Nagib MACHFUS nachspüren.

Die knapp sechzig Aufnahmen aus Kairo und anderen Orten bieten laut Die Zeit »reichlich Stoff zum Nachdenken und machen eindrucksvoll klar, wie gut man Geschichten auch mit der Kamera erzählen kann«. – Leitners insistierender Nachsatz: »Was sollen wir nun glauben?«

Ja, was? – Lässt sich Literatur denn mit der Kamera illustrieren, lassen sich Texte in Bilder übersetzen oder transformieren? Oder ist irgendwie grundsätzlich ein Medium dem anderen überlegen?

Ich bleibe meinem schriftstellerischen Standpunkt treu: Ja, die Wortkunst wird durch das mechanisierte Auge nicht ernsthaft herausgefordert; und die naive Annäherung an das Objekt der Begierde ist eine notwendige Grundlage fotografischer Erkenntnistheorie.

Zugleich schlage ich vor, dass auch die Bildermacher ihrer Berufsethik folgen und steif und fest behaupten, sie könnten jede fremde Atmosphären besser vermitteln als Schreiber, sie könnten weit aufschlussreicher Zusammenhänge darstellen und spannendere Aspekte aus den Kulissen kitzeln, als wir Buchstabenklauber uns träumen lassen.

Es handelt sich bei diesem Konflikt im Grund genommen um zwei funktionale Handwerkerphilosophien; jede nach der zwingenden Logik der eigenen Profession. Inkompatibel in der Theorie, sich aber meistens auf das schönste ergänzend in den Praxis.

Unser Streit um das Potential von Fotographie und Dichtung dreht sich nicht um ein realistisches Abbild; er verhandelt keine entgültigen Gegensätze. Niemand besitzt letztlich das Recht zu sagen, sein Denken allein sei imstande, die wirkliche Welt zu erkennen. Die Bewegung der Vorstellungen, der Wahrnehmungen usw. entsprechen einer Bewegung des Mediums mindestens ebenso so stark wie dem Geist in uns. Die aktuelle Wahrheit ist also bestenfalls die Summe vieler Wahrheiten.

Der kleiner Methodenstreit zwischen Leitner und mir ist auch deshalb kurios, weil a) der Atheist Leitner gegenüber den grundkatholischen Grundlagen seines Bilderglaubens vollkommen blind ist, und weil Leitner b) einem ohnehin wortskeptischen Neoprotestanten gegenübersteht, der mit dem Kryptokatholiken Dávila argumentiert.

Zwei Wiener Schrullen also; zwei, von denen weder der eine noch der andere in der täglichen Lebenspraxis sonderlich einseitigen Positionen vertritt. Leitner liebt die Literatur, er illustriert u.a. literarische Reisehandbücher durch die österreichischen Bundesländer. Und ich, ich bringe dem katholischen Gesichtspunkt mit seinem famosen Bilderkult – spricht: dem Glauben, dass sich durch das Bild zum Bild vordringen liesse – mehr Sympathie entgegen als Not tut.

Leitner hat allerdings keinen Langen Marsch durch demokratische Institutionen hinter sich. Er ist ein Wahrheitssucher, dem die Dialektik nichts gilt. Leitner, der grosse Fotograf der Schrittgewindigkeit, hat es aus eigener Kraft gerade mal vom Tiroler Fremdenverkehrskatholizismus bis zum bekennenden Castristen gebracht; seit dem 10. April 1961 ist er keinen Schuhbreit mehr aus der Schweinebucht gewichen. Daran wird Fidel Castros Ableben, das für März 2008 zu erwartet ist, auch nichts mehr ändern.

© Wolfgang Koch 2007
next: DO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2008/01/08/was-paul-albert-leitner-nicht-mag/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert