vonWolfgang Koch 11.02.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Kürzlich platze in Wien wieder einmal jemanden der Kragen! Am Samstag, den 2. Februar, schrieb sich die Schriftstellerkollegin Maria GORNIKIEWICZ in der Wiener Zeitung ihr Leid als Bewohnerin von Favoriten von der Seele.

»Ich verstehe kein Wort mehr, wenn ich auf die Strasse gehe«, klagte die geborene Wienerin über den 10. Bezirk, wo geborene WienerInnen inzwischen eine exotische Minderheit sind. »Soll ich türkisch, polnisch, serbokroatisch, tschechisch oder indisch lernen?«

Was sich im ersten Augenblick nach rassistischen Tönen anhört, ist die durchaus überlegte Schilderung einer Ambivalenz gegenüber den zugewanderten Nachbarn. Das offizöse Multikulti-Getöse aus Rathaus und Politik hat in vielen Teilen der Stadt längst nichts mehr mit der Realität zu tun.

Die Wiener Minderheit hat massive Integrationsschwierigkeiten in einer von Migranten überlaufenen Stadt. Die zur Minderheit gewordenen Alteingesessenen träumen noch von der einstigen Glorie des Kaiserreiches oder von den Pensionskassen der Alpenrepublik nach 1945, während die Transitgesellschaft des 21. Jahrhunderts längst lawinenartig über sie hereingebrochen ist.

Frau Gornikiewicz, geboren 1943, gesteht, dass ihr die türkischen Hinweisschilder in den Parks des Zehnten nicht helfen; sie gesteht, das hektische Gedudel der türkischen Musik mache sie nervös. Zwar hätte die neue Geschäftigkeit der Zuwanderer auch gewisse Vorteile für Konsumenten, der Kleinhandel blühe auf, mitten im Turbokapitalismus bilde sich eine Nischenökonomie der orientalischen Familien.

Aber: »Die Lebensmittel-, Fetzen-, Schmuck- und Video-Geschäfte schiessen wie Schwammel aus dem Boden«. Der Reiz des Neuen sei verblasst und nun existieren einfach zu viel davon. Und: »Ich gebe zu, dass ich mich behindert fühle, wenn türkische Familien mit Kind und Kegel und Grossvater den Gehsteig blockieren«.

Gornikiewicz spricht konkret vom Reumannplatz, aber es könnte auch der Brunnenmarkt sein oder der Mexikoplatz, oder halb Ottakring. In vielen Gätzeln bietet Wien heute das Bild verschwundener Orte, zeigen sich gierig parzellierter Pfründe; das Leben wird schrittweise umgewidmet, vertröstet, versteckt. Die Polizei ist verschwunden.

Frau Gornikiewicz sitzt mit Migranten, Assylanten und Illegalen gewissermassen im selben Bezirksboot. Die Bewohner der besseren Bezirke, die BewohnerInnen von Hietzing, Neuwaldegg, Nussdorf oder Sievering – sie können sich die Zustände in den Gürtelbezirken gar nicht vorstellen.

Der Bundesprecher der Grünen zum Beispiel, Alexander VAN DER BELLEN, ein typischer Vertreter der Staatsphilosophie vom Einwanderungsland Österreich, wohnt in angenehm begrünten Lage des Bezirks Währings. Dort stemmen sich die Eingeborenen mit Hemden und Füssen gegen den Zuzug der neuen Unterschicht aus dem Orient und vom Balkan.

In Wiens Schulen sitzen heute durchschnittlich 57% SchülerInnen nichtdeutscher Mutersprache. Durchschnittlich. In der Mehrzahl der Bezirke leben die Alt-WienerInnen in Zinshäusern und Genossenschaftswohnungen so isoliert wie auf Inseln und sie finden keine Worte mehr für ihre Hilflosigkeit. Die Politik hämmert unablässig Toleranz in die Köpfe, Toleranz bis zur Selbstverleugnung. Wem die Zuwanderung zuviel ist, der ist eben ein hoffungsloser Fall.

Von der Politik im Stich gelassen, von Demoskopen und Pensionsexperten verhöhnt, stehen heute viele Menschen heute vor dem Scherbenhaufen der österreichischen Nachkriegsgesellschaft:

»Ich gebe mir ja Mühe«, so die Autorin, »aber kommen Sie einmal in der warmen Jahreszeit zu mir nach Hause. Am besten Freitag abends oder in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Wenn die Männer heimkommen und die Frauen schlagen, die dann heulend kreischen, während die Kinder wie am Spiess brüllen. Selbst bei geschlossenem Fenster kann ich nicht schlafen«.

Das Erstaunlichste ist, dass uns die politische Erpressung in Sachen Zuwanderung gleich auch die Sprache für die Konflikt geraubt hat. Alles, was noch gesagt werden kann, leitet irgendwie Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Das wissen die Linken und Liberalen nur zu gut, und so fühlen sie sich berechtigt, den Blick ignorant von den Alltagssorgen der Wiener Minderheit abzuwenden.

Der Behauptung einer »Umvolkung« von Haider, Mölzer, Westenthaler & Strache ist Schmonzes. Niemand wir umerzogen, niemand wird bedrängt. Die regierenden Sozialdemokraten wechseln einfach ihre Wählergruppen aus, sie bleiben konsequent die Partei der Unterschicht, aber eben die anderer Zungen.

Um zu sehen, dass es einmal anders gegangen ist, dass sich die Probleme des Zusammenlebens von Städtern und Fremden auch klug diskutieren lassen, muss man bis tief ins 19. Jahrhundert zurückgehen.

Der französische Philosoph Henri Bergson stellte in seinem Frühwerk Zeit und Freiheit 1888 einmal die Frage, warum wir das Gespräch von Ausländern immer als unerhört laut empfinden.

Antwort: »Ausländer, die untereinander eine uns unverständliche Sprache reden, machen auf uns den Eindruck, als sprächen sie sehr laut, weil ihre Worte, die in unserem Geist keine Vorstellung wachrufen, mitten in einer Art intellektueller Bewusslosigkeit an unser Ohr dringen und wie das Ticken einer Uhr zur Nachtzeit unsre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen«.

Dass sich die Probleme des Zusammenlebens heute nicht mehr mit psychologischem Feinsinn diskutieren lassen, das gehört mit zur Enteignung unseres Lebens, die von den Rathausdemokraten zynisch betrieben wird.

© Wolfgang Koch 2008
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https://blogs.taz.de/wienblog/2008/02/11/warum-quatschen-auslaender-immer-so-laut/

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kommentare

  • “Freiwillig türkisch lernen” ganz sauber bist du nimma, oder? Integration und anpassung äuft anders rum.

  • Warum quatschen AusländerInnen immer so laut?
    Die MenschInnen sind eben vom Temperment unterschiedlich und das ist auch gut so. Stellen sie sich mal vor alle MenschInnen müssten nach DeutscherInnenart gleich sein. Ich bin froh über die Würde, die viele Ausländer ausstrahlen und die sie auch in ihrer Sprache erkennen lassen.

  • Dass Integrationsschwierigkeiten existieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Und dass die Regierung(en) nicht angemessen reagieren – und einen Knaben als Integrationsbeauftragten benennen, der keinerlei Erfahrung vorweisen kann. Statt das Amt jemandem zu geben, der sich selbst erfolgreich integriert hat, und die Probleme der Migranten kennt.

    Ob 30 % + x für die FPÖ in den “Ausländerbezirken” Favoriten und Simmering die Lösung aller Probleme darstellt, bezweifle ich aber ernsthaft. In dem Siedlungsgebiet ‘Monte Laa’ im südlichen 10. Bezirk sehe ich (bisher) ein mustergültiges Miteinander vieler Menschen unterschiedlichster Herkunft. Das kann Vorbild für andere Bezirke sein.

    Vielleicht gehört dazu auch einmal, freiwillig türkisch zu lernen. Dann sind “die Türken” nicht mehr unter sich, und das, was zuerst befremdlich klang ist plötzlich nicht mehr rätselhaft bedrückend.

    Felios

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