vonWolfgang Koch 26.02.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

[ß = ss]. Angeblich haben Internet und neue Distributionwege den Zugang des Publikums zu Kulturveranstaltungen enorm erleichtert. Ich halte das für eine unbewiesene Behauptung unserer Tage. Dass in Wien meistens das Gegenteil der Fall ist und sich der Ticketerwerb schwieriger gestaltet als noch vor zehn Jahren, zeigt ein aktueller Selbstversuch am renommierten Wiener Jazz- und Musikclub Porgy & Bess in der Riemergasse im 1. Bezirk.

1. Tag

Anruf bei der im Programm-Folder und auf der Website www.porgy.at angegeben Nummer für den Ticketvorverkauf: »Ich hätte gerne zwei Karten für das Konzert XY in zwei Wochen, und zwar zwei Sitzplätze an einem Tisch.«

Eine nette Frauenstimme antwortet: »Also Vorverkaufskarten gibt es nur online oder in jeder Filiale der Bank Austria! – Bitte wenden Sie sich dahin.«

2. Tag

Am Infopoint einer Filiale der Bank Austria: »Ich hätte gerne Karten für das Konzert XY in zwei Wochen, zwei Sitzplätze an einem Tisch.«

Eine ältere Dame blickt auf ihren Bildschirm und sagt: »Ja, es sind noch 29 Sitzplätze für das Konzert vorhanden. Ein Ticket kostet 15 Euro. Aber ob da nun ein Tisch mit dabei ist, kann ich Ihnen nicht sagen.«

Zweiter Anruf im Porgy & Bess: »Ich war jetzt in der Bankfiliale, und der Verkauf dort kann nicht garantieren, dass bei den Tickets ein Tisch mit dabei ist. Wir wollen an diesem Abend unbedingt etwas essen. Was mache ich jetzt?«

Die nette Stimme vom Jazzklub: »Keine Problem! Die Mitarbeiter der Bank waren wohl noch nie im Porgy & Bess. Sonst wüssten Sie, dass bei jeder Sitzplatzkarte ein Tischchen mit dabei ist; nur die Stehplätze haben keinen. Kaufen Sie ruhig die Karten in der Bank Austria.«

3. Tag

Könnte ja stimmen, denkt man sich als gelernter Wiener. Also wähle ich heute den Weg zu einer anderen Filiale der Bank Austria. »Ich hätte gerne zwei Sitzplatzkarten für das Konzert XY in zwei Wochen.«

Und wieder erklären die Leute vom Infopoint: »Ja, es gibt noch Karten. Aber wir haben nur eine Kategorie im Porgy & Bess – ob das nun Sitz- oder Stehplätze sind, können wir nicht sagen. Sie kosten alle gleich.«

Dritter Anruf im P&B. Die nette Stimme versichert diesmal, dass die Bankmitarbeiter die Sitzplatzordnung am Bildschirm sehen können. Sie ist aber diesmal grosszügigerweise bereit, uns auf eine »Liste für Tischreservierungen« zu nehmen. Wir sollen Karten in der Bank kaufen und uns spätestens eine halbe Stunde vor Konzertbeginn an der Eingangskasse melden.

So geschieht das am betreffenden Abend. Der Diensthabende an der Kasse kritzelt mit Kugelschreiber eine zweistellige Zahl auf die Tickets und ringelt sie mit einem Kreis ein. Das ist die Tischnummer.

Fünf Minuten später sitzen wir endlich am ersehnten Tisch, bestellen von der Karte eine grosse und eine kleine Portion Tapas. Knapp bevor die Musiker die Bühne des Clubs betreten, werden zwei dampfende Platten aufgetragen, die das Tischchen bis zum Rand füllen.

Dann erscheinen, buchstäblich in letzter Minute, zwei Studentinnen, die auf ihren Tickets dieselbe Tischnummer stehen haben, und eine sagt: »Wir haben hier auch zwei Plätze. Könnten Sie bitte einen Sitzplatz mit uns tauschen. Im Porgy & Bess ist es so üblich, dass bei zwei Paaren am Tisch immer einer vorne und einer hinten sitzt.«

Nun ja, Jazz ist eine coole Sache. Aber wir haben zu diesem Zeitpunkt bereits 100 Euro für den Abend ausgegeben, und entscheiden uns daher – sehr zum Missmut der beiden weiblichen Stammgäste – für das sportliche und gegen das demokratische Prinzip.

© Wolfgang Koch 2008
next: DO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2008/02/26/ein-abend-im-jazzclub-borgie-bess/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert