vonWolfgang Koch 16.03.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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[ß = ss] Wie die drei Samstagszeitungen hängen auch die drei Sonntagszeitungen quasi gratis an jeder Strassenecke in Wien aus. Geld verdienen die Medienunternehmen dabei nicht mit den Münzkassen an den offenen Hängetaschen. Die WienerInnen werfen ein paar Cents oder Hosenknöpfe hinein. Geld machen die Verlagshäuser a) durch die eingeschaltenen Inserate und b) durch Steuerersparnisse mit der Eigenwerbung der meist von Samstag bis Montag flächendeckend aushängenden Reklame.

Die Sonntagsblätter betreiben in Österreich ja kaum Werbung in Radios und auf Plakatwänden. Kein Wunder. Der Gesetzgeber toleriert mit dem Strassenverkauf eine unbesteuerte Grauzone, die Finanzminister drücken beide Augen zu, und eine Leserschaft, die den Betrug ahnt, grapscht umso ungenierter nach dem No-Pay-Produkt.

Anders als die drei Samstagzeitungen (DIE PRESSE, DER STANDARD, WIENER ZEITUNG) gibt es bei den drei Sonntagszeitungen (NEUE KRONENZEITUNG, KURIER, ÖSTERREICH) gravierende Qualitätsunterschiede.

Sind Boulevardzeitungen denn nicht alle gleich? – Nein, der Abstand zwischen der KRONE und den beiden Mitbewerbern ist unüberbrückbar. Deshalb kann ich eigentlich nur dieses Massenblatt zur Lektüre empfehlen.

Aber, Vorsicht! Fassen Sie die KRONE nur mit den Fingerspitzen an. Denn auch ihr Niveau liegt weit tiefer als das Donaubett. Der überragende verlegerische Erfolg dieser Zeitung verdankt sich dem kongenialen Gründer Hans Dichand, der eben nicht nur ein mit allen Wasser gewaschener Unternehmer ist, sondern auch ein durchtriebener Journalist.

Der einzigartige Erfolg der Sonntagsausgabe der KRONE fuss auf einer Kombination von mindestens zehn Faktoren: 1. dem sehr handlichen Kleinformat. 2. einer Kombination aus Hochglanzmagazin und Tageszeitung, wobei ersteres den Kernteil als farbenfroher Mantel umgibt. Zur klugen Blattgestaltung gehört weiters eine angenehme Schriftgrösse und das augenfreundlichste Kinoprogramm des Landes.

3. Kampagnenjournalismus im politischen Teil. Anders als die übrigen Blätter bekennt sich die KRONE-Redaktion unter dem Stichwort »unabhängig« zu einer bewussten Einseitigkeit. Ob es um Umweltzerstörungen geht oder um Regierungsmitglieder, ob sie Kunstwerke stören oder ein unbequemer Theaterdirektor – die Redaktion kampagnisiert ohne viel Federlesen, um die Bevölkerung gegen irgendetwas zu emotionalisieren. So hat die KRONE das Kraftwerk Hainburg verhindert, sie hat Jörg Haider gross gemacht, sie hat die Liberalen als Partei zerstört und Alfred Gusenbauer zum Bundeskanzler hochgeschrieben. Derzeit ist ihr die EU-Verfassung ein Dorn im Auge.

Es gibt noch weitere Säulen dieses unheimlichen Medienerfolgs. 4. ein extemes Naheverhältnis der Lokalberichterstattung zur Exekutive. Häufig düsen KRONE-Reporter und Einsatzwagen gleichzeitig zu einem Einsatzort los. 5. die latente Bereitschaft auch niedere Motive wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus in Berichterstattung und Kommentare einfliessen zu lassen. Die Leserbriefseite der KRONE spiegelt am besten die Ressentiments der österreichischen Stammtische.

6. die unbedingte Nähe zu bodenständigen Themen wie Brauchtum, Landwirtschaft, Wandern, Naturparks. 7. eine breite Darstellung von spärlich bekleideten bis softpornografischen Frauenkörpern. Jeden Sonntag zieren Fotostrecken von Schönheitsköniginnen und Models das Blatt und reduzieren so das weibliche Geschlecht auf seine Hauptaufgabe: schön und sexy zu sein. KRONE-Reporter nehmen auf die unmöglichsten Reportagen Mädchen mit, um das Bildmaterial mit einem Jungfrauen-Lächeln aufzufetten. 8. ein nostalgisches Österreich-Bild, das eine positive Identifikation mit der Habsburgermonarchie statt mit republikanischen Institutionen zum Ziel hat. 9. eine breite Sportberichterstattung mit Schwerpunkt Fussball. 10. Kontaktanzeigen von Bordellen und Prostituierten.

Das ist der Cocktail, den sich die Österreicher jeden Sonntag anrichten lassen. Die NEUE KRONENZEITUNG wendet sich – trotz ihrer stark überalterten Redaktion – keineswegs nur an das Seniorenpublikum. Dank schwächelnder Mitbewerber hat die KRONE auch bei der Jugend die Nase weit vorne.

Im Fall des KURIERS ist das ohnehin kein Wunder, befindet sich dieses Grossformat doch ebenfalls im Eigentum des Mediaprint-Konzerns. Gibt sich der KURIER wochentags gerne den Anschein von Gediegenheit und Seriosität, so wuchert am Feiertag ein beliebiger Wellness-Journalismus samt Reise- und Gesellschaftsbeilagen. Die Schlüsselbegriffe heissen: Lebenswelt, Freizeit, Rendezvous.

Selbst der Politikteil ist inaktuell; nichts wird für informationsfreudige Menschen aufbereitet. Daniela Kittner ventiliert Tratsch aus den Amtsstuben. Die Redaktion hält sich geschasste Chefredakteure und Kabarettisten als Kolumnisten. Gut gemacht sind nur der Tageskalender und die TV-Seite. Allen anderen Teilen des KURIERS merkt man an, dass das Blatt ein strategischer Platzhalter am Zeitungsmarkt ist, ein künstlich am Leben erhaltenes Medium, verdammt zur Erfolglosigkeit, um dem grossen Reibach mit der KRONE nicht in die Quere zu kommen.

Der Platzhirsch und sein Pseudo-Konkurrent vermochten allerdings das Auftreten Dritter am Sonntag nie ganz zu verhindern. In den Bundesländern überflügeln Regionalblätter das inferiore Duo; in Wien hielt in den Neunzigern das kuriose Buntblatt TÄGLICH ALLES dagegen. Und seit mehr als einem Jahr beliefert nun ÖSTERREICH das Segment der bildungsfernen Schichten von Halbalphabeten.

Die unübersichtliche Tageszeitung ÖSTERREICH, ein Bündel von Beilagen, kommt aus dem Medienhaus Fellner – einem aggressiven Ex-Magazinmacher, der es am Tag der Weltpremiere seiner neuen Erfindung immerhin bis zu einem SPIEGEL-Interview gebracht hat. Inzwischen ist breite Ernüchterung eingetreten. ÖSTERREICH muss als herbe Enttäuschung bezeichnet werden. Die nationale Reichweite liegt bei kaum einem Prozent, auch wenn aus dem Verlagshaus ständig neue Erfolgszahlen verlautbart werden.

ÖSTERREICH versucht putzige, kleine Erregung im Land zu nachhaltigen Empörungen aufzublasen. Und die Mittel, deren sich die Redaktion dabei bedient, sind unter jeder Sau. Skandalisierungen in den Schlafzimmern der Viertel- und Achtelprominenz, reisserische Kriminalberichterstattung ohne jeden Wahrheitsgehalt, Vorverurteilungen am laufenden Band, dazu Gewinnspiele und halbnackte Puppen auf jeder zweiten Seite.

Wolfgang Fellner hat einen anmassend patriotischen Zeitungstitels gewählt und scheut doch jede Berührungen mit dem realen Leben. Nationale Traditionen wird man in der gedankenfreien Zeitung ebensowenig finden wie Sozialthemen, Kirche oder Dritte Welt. Dafür täglich Michel Jackson, Warie Dirie oder Paris Hilton.

ÖSTERREICH ist gewissermassen der Zerrspiegel der KRONE und zugleich eine an das Fernsehen angestöpselte Illusionsmaschine, Herausgeber Fellner ist die inhaltslose Antwort auf Hans Dichand. Es wäre besser, es hätte diese Postmoderne gar nicht erst gegeben.

© Wolfgang Koch 2008
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