vonWolfgang Koch 20.03.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Das Rote Wien wirkt als Mythos über Österreich hinaus nach. Der historische Erfolg des Modells war u.a. ein Ergebnis seiner politischen Finanzierung. In der Geldaufbringung für den kommunalen Wohnbau, für die gesundheitspolitischen und sozialen Massnahmen, lassen sich die ersten ernsthaften stadtstaatspolitischen Ansätze der Wiener Geschichte entdecken.

Medizinische Betreuung und Pflege von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter sind kostenlos. Dafür verzichtet Hugo Breitner, amtsführender Stadtrat für Finanzwesen, auf die übliche Eintreibung von indirekten Massensteuern, die alle gleichermassen belasten.

Bis dato haben Miet- und Verzehrssteuern den Grossteill der städtischen Einnahmen ausgemacht. Breitner erschliesst ganz neue Einnahmenquellen, belastet a) Luxus und besonderen Lebensaufwand, b) Betriebe und Verkehrsmittel, c) Boden- und Mieten.

Hugo Breitner, der Gottseibeiuns der Konservativen, ist vor allem ein PR-Genie, ein Aufbläser; er argumentiert politisch mit der Einnahmenbindung der neuen Steuern: »Die Betriebskosten der Kinderspitäler decken die Steuern aus den Fussballspielen, die Betriebskosten der Schulzahnkliniken liefern die vier grössten Wiener Konditoreien, Demel, Gerstner, Sluka und Lehmann. Die Schulärzte zahlt die Nahrungs- und Genussmittelabgabe des Sacher. Die gleiche Abgabe vom Grand-Hotel, Hotel Bristol und Imperial liefert die Aufwendungen für die Kinderfreibäder. Das städtische Entbindungsheim wurde aus den Steuern der Stundenhotels erbaut und seine Betriebskosten deckt der Jockey-Klub mit den Steuern aus den Pferderennen.«

Julius Tandler, der das Fürsorgeamt betreut, zieht die sozialpolitische Dimension der Abgabenpolitik noch stärker an: »Was wir für die Jugendhorte ausgeben, werden wir an Gefängnissen ersparen. Was wir für Schwangeren- und Säuglingsfürsorge verwenden, ersparen wir an Anstalten für Geisteskranke.«

Stimmt das überhaupt? Wo verläuft die Grenze zur Propaganda? – Privat ist Breitner alles andere als ein Kultur- und Geschmackverächter; er besitzt eine legendären Kunstsammlung. Als Finanzpolitiker besteuert er die Unterhaltungsindustrie mit einer Lustbarkeitsabgabe: Theateraufführungen mit gesprochenem Wort und Oper mit vier Prozent, Box- und Ringkämpfe hingegen mit 33½ Prozent. Luxusrestaurants, Kraftwagen, Haushaltspersonal und Pferdehaltung unterwirft Breitner dem Grundsatz, dass jedes Vergügen in der persönlichen Lebenshaltung gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet.

In die zweite Gruppe von Steuern gehören die Plakat- und die Anzeigenabgabe sowie ein Feuerwehrbeitrag. In die dritte Gruppe: Grundsteuer, eine Bodenwertabgabe, eine Wertzuwachsabgabe und gestaffete Wohnbausteuern. Wer den Obolus nicht rechtzeitig abführt, hat mit einem Verzögerungszuschlag zu rechnen.

Soviel zu Breitners populistischem Massnahmenpaket. In der Praxis wird die 1920 eingeführte Fürsorgeabgabe zur stärksten Einnahmequelle der Gemeinde und die 1923 beschlossene Wohnbausteuer zur zweitstärksten.

Mindestens so positiv, wenn nicht noch gewichtiger als die Propagandasteuern schlägt sich der Finanzausgleich mit dem Bund zu Buch. Wien besitzt das Recht fünfzig Prozent von der allgemeinen Erwerbsteuer, von der Körperschaftssteuer, von der Bekenntnisrentensteuer und von der Einkommensteuer zu beziehen; weitere achtzig Prozent von den Bundesgebühren anlässlich der Veränderungen im Liegenschaftsbesitz gegen ins Säckel.

Das ist noch lange nicht alles. Von der in Wien eingehobenen Warenumsatzsteuer erhält die Gemeinde vierzig, von der Schaumweinsteuer achtzig, von den anderen Alkoholsteuern dreissig Prozent. Weiters die Erbschaftsgebührenzuschläge zur Gänze und ausserdem einen kleinen Anteil an der Ausfuhrabgabe, die der Staat beim Holzexport einnimmt.

Die Folge: Erst im Budget von 1930 liegt der Ertrag aus den gemeindeeigenen Steuern höher als der Anteil des aus Wien stammenden Steuerbetrags zur Finanzierung des österreichischen Staates. Die berühmten Steuern auf Luxus und Besitz, die Breitner unter viel Getöse einführt, sie sind teils durch Regierungsverordnungen schon vor Auflösung des Wiener Gemeinderates im Februar 1934 wieder abgeschafft. (Einige bleiben aber auch bestehen und werden dann von der Diktatur weitergeführt. Die Dollfussianer fügen u.a. noch eine proletarierfeindliche Fahrradsteuer hinzu).

Breitners heroisches Wien gegen das feindlich gesinnte Restösterreich – dieses politische Match, in dem beide Seiten mit gezinkten Karten spielen, ist bereits 1931 verloren. In der Innenpolitik triumphiert der als Alpinismus getarnter Autoritarismus, und danach folgt, quasi strafverschärfend, die Planke des deutschen Faschismus.

© Wolfgang Koch 2008
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