vonWolfgang Koch 27.03.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Es war kaum zu bemerken, dass wir in einen Bürgerkrieg geraten sind. Der Zustand des latenten Daseins ist irgendwien zum Staatsgrundsatz der Ersten Republik geworden. Kanzler Ignaz Seipel, in einem Prateretablisment geborener Fiakersohn aus einem Arbeiterbezirk, will die politische Gegenreformation durchdrücken.

Vom Juli 1927 an arbeitet Seipel auf einen Staatstreich hin. Er ist der Mann, der für die innerösterreichische Finanzierung der militanten Heimwehren sorgt. Er ist der Mann, der der deutschen Schwesterpartei die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten unter Hitler vorschlägt. Noch vom Totenbett aus ruft er seiner Zeit zu: »Man muss schiessen, schiessen, schiessen.«

Tue ich dem Herrn Prälaten Unrecht? Hat Seipel nicht mit kreuzbraven Pazifisten humanistische Petitionen unterzeichnet? Ja, hat er. Ende der Zwanzigerjahre aber wird Wien zum bevorzugten Übungsgelände eines nationalen Bürgerkrieges. Für die Christlichsozialen ist die ganze »Breitnerei« nichts als »Wiener Steuerbolschewismus«, also ein »Weltskandal!«, also ein »Verbrechen!«. Beim Brand des Justizpalastes sterben 89 Demonstranten im Kugelhagel der Polizei, 1.057 Personen werden verletzt.

Seipel ist kein Dummkopf. Auf Bundesebene versucht er den bürgerlichen Wildwuchs mit einer Einheitsliste zu begradigen. Doch Landbund, Bürgerliche-Demokraten, die Beamten- und Angestelltenpartei sowie die Nationalsozialisten bleiben widerspenstig. 1927 zersplittern die zentristischen und die rechten Klein- und Kleistparteien zwischen den grossen Lagern. Sozialdemokraten und CSP-Einheitsliste legen zu und beide sitzen bis 1932 ohne konkurrierende Dritte im Stadtparlament.

1928 tritt Josephine Baker in Wien auf. Gibt’s noch was zu Lachen? Für den drangsalierten roten Gemeinderat nicht. Der sieht sich mit der Forderung nach einem Lastenausgleich in der Höhe von ca. 23 Mio. Schilling zugunsten der Länder und Gemeinden konfrontiert.

Seipel ist kein Dummkopf nicht. Noch einmal gelingt es der SP einen Pakt mit den Bundesländern zu schliessen. Doch jedem, der Augen hat, ist klar, dass aus dem noch unmöglichen militärischen »Marsch auf Wien« ein »finanzieller Marsch auf Wien« geworden ist. Es gelingt den Konservativen den »roten Anstrich von Wien herunterzukratzen«, wie Seipel das 1920 in Voraussicht genannt hat.

Vielen Christlichsozialen gilt der gliedstaatliche Charakter Wiens längst als die »Archillesferse« der Verfassung von 1920. Der Druck der Heimwehren auf die linken Gegner steigt nach dem Ereignis des des Justizpalastbrandes so enorm, dass der starke Mann der Stunde, der Zentrumspolitiker Johannes Schober, begleitet von Staatstreichdrohungen, eine Verfassungsreformvorlage einbringt, die Wien den Status als Land wieder aberkennen und es zur bundesunmittelbaren Stadt erklärt soll. Eine Schlechterstellung bei den Steuern gratis mitinbegriffen.

Im November 1928 buchstabiert die Reichspost, die es ja wissen muss: »Die der geschichtlichen Wahrheit, geographischen Wirklichkeit und politischen Logik, aber auch den Grenzen der Billigkeit wiederstreitende Ausrufung der Gemeinde, der Landeshauptstadt von Niederösterreich und Hauptstadt des Länderbundes Österreich zu etwas ihrem Wesen Widersprechendes, zu einem Bundesland, hat sich in dem ersten Entwicklungsjahrzehnt unseres kleines Staatswesens als eine wahre Drachensaat erwiesen.«

»Die ganze Verfassung bildet für die Länder eine Geldfrage«, tönt Schober elf Tage später noch einmal auf sein Echo in der Presse zurück. Der nächste Anschlag auf die rechtliche Stellung Wiens kann nur mehr schlecht abgewehrt werden. Der Gemeinderat macht Zugeständnisse beim gerichtlichen Instanzenweg, bei den Polizeikompetenzen, bei der Gemeindeschutzwache und bei der örtlichen Sicherheitspolizei. Die Anzahl der Gemeinderatssitze schrumpft von 120 auf 100. So hoffen die Sozialisten dem Würgegriff zu entkommen.

In einer Verfassungsreform erhält der Bundespräsident mehr Macht. Aber dieser neue, 1929 geschaffene Balancezustand zwischen Nationalrat und dem Bundespräsidenten bleibt reine Verfassungstheorie. Nie wird ein Einzelner in diesem Amt wagen sich dem Parteienkampf entgegenzustellen.


© Wolfgang Koch 2008
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