vonWolfgang Koch 24.04.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Austrodiktatur, dieses selbstgemachte Unglück der Österreicher, erdrosselt die Demokratie und wirft die soziale Opposition ins Gefängnis, statt ein breites Bündnis gegen Hitler zu schmieden. Die Austrodiktatur behindert die Bekämpfung des Nationalsozialismus nicht nur, sie bereitet ihm sogar ideologisch den Boden.

Klingt paradox, und ist es auch. Engelbert Dollfuss und Kurt Schuschnigg spalten die nationale Widerstandkraft Österreichs gegen die Hitler-Gefahr. Zwar zwingt ihr betont patriotischer Kurs das Dritte Reich mit der deutschen Wehrmacht einzumarschieren, zwar zwingt Schuschnigg Hitler sich vor der Weltöffentlichkeit bloss zu stellen und sich vor aller Augen ins Unrecht zu setzen. Aber täuschen wir uns nicht! Unter dem Strich sieht die Bilanz böse aus.

Man kann sagen: Das geringere Unrecht der hausgemachten Tyrannei leistet dem grösseren Unrecht der Okkupation Vorschub. Die Staatsspitze, also Schuschnigg, kapituliert mit pathetischen Radioworten im März 1938. Zehn Minuten später verbietet derselbe Mann per Befehl jeden Schuss auf die Okkupanten. (Bürgermeister Richard Schmitz, ein Christlichsozialer, wäre zu aktivem Widerstand bereit gewesen).

Im Zeitfenster vor den legendären Märzereignissen braucht es überhaupt keine NS-Schergen, um die Wiener Intelligenz in die Flucht zu treiben. Gegen die Werke von Arnold Schönberg und Sigmund Freud sind die Bannsprüche schon viel früher gefallen. »Entartete Kunst«, »jüdische Sittenlosigkeit« und »bolschewistische Zersetzung« – dieses Vokabular gehört nicht nur zur Hasssprache in Berlin, es gehört ebenso zum Wortschatz der Autoritären in Österreich. Die Invektive »Negermusik!« ist dem Jazz vorbehalten.

Ich habe vor Jahren den Terminus »Austrodiktatur« für das politische System der Jahre 1933-38 in den historischen Diskurs eingeführt. Damals ging es darum, zwischen der unhaltbaren These vom Austrofaschismus und der narkotisierenden Selbstbeschreibungen des Regimes (»Ständesstaat«) einen Ausweg aufzuzeigen. Heute meine ich, dass wir das ideologische Gerüst der österreichischen Diktatur einer genaueren Analyse unterziehen müssen.

Zivilisationsmüdigkeit und Stadtfeindschaft sind in den Dreissigern bei Gott keine Seltenheit. Ernst Jünger und Gerhard Nebel verwerfen »Megapolis«; Max Picard, Rudolf Borchardt und Ortega y Gasset geiseln die Vorstellung eines »endlosen Bezirks von Reihenhäusern«, in denen eine total gelangweilte Menschheit dahindämmert. Der Antimodernismus schimmert durch unzählige Predigttexte, er wuchert aus tausenden treuherzigen Traktätchen.

Was die antimodernistischen Tendenzen in Österreich unverwechselbar macht, ist, dass sie unmittelbar dem politischen Stadt-Land-Drama entspringen, in dessen Mittelpunkt Wien steht.

Der katholische Schriftsteller Georges Bernanos, ein dunkler Mond des neuen Christentums, vergleicht die Autrodiktatur mit ihrer portugiesischen Schwester: Beide Staaten, sagt er, sind neutral und korporativ, die Staatsideologie ein direkter Ausfluss der Rekatholisierung. »Die Männer der Kirche haben den Grundsatz der Legitimität unterdrückt«, so Bernanos über die Wiener Politik – »wahrscheinlich weil sie dachten, dass sie ihn zu ihrem Vorteil unter Beschlag nehmen können«.

© Wolfgang Koch 2008
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