vonWolfgang Koch 01.05.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Um die politische Psychologie von 1933-38 besser zu verstehen, müssen wir die damalige Literatur schärfer ins Auge fassen. Ich meine nicht Roth, Rilke, Horváth oder Musil – Namen, die Bestand haben. Sondern die Schreiberlinge in der zweiten Reihe; die von der staatlichen Kulturpolitik geförderten Autoren zwischen barockem Katholizismus und Blut-und Boden-Romantik, die Literatur in den Fussstapfen eines Peter Rosseggers.

Guido Zernatto verleiht dem Zeitgeist als Politiker, genauer: als Generalssekretär der Vaterländischen Front Gestalt. Das ist die Gleichschaltungsagentur der Diktatur. Darüber hinaus wirkt Zernatto noch unmittelbar als Schriftsteller.

1934 erscheint Zernattos paradigmatischer Roman Die sinnlose Stadt. Der Titel ist auf Wien gemünzt, wo der Kärntner Autor seine neue Wirkungsstätte gefunden hat. In diesem Roman zieht ein junger Mann vom väterlichen Hof in die Grossstadt und erhascht einen Posten als Tramwayschaffner. Nun könnte alles gut werden, aber nein. Als der Mann den prächtigen Hirschen im städischen Tiergarten röhren hört, ist ihm, als ob die ganze Welt nach ihm geschrien hätte.

Die Wallungen des Blutes, um sie geht es; sie machen Zernattos Romanfigur zum Wilderer, und das Drama nimmt seinen Lauf. Als Jäger verfolgt, als Mörder aber wegen Notwehr wieder freigesprochen, wird der Mann entgültig irre an der Stadt. Zernattos Hohelied auf den unverfälschten Landmenschen endet konsequent mit der Rückkehr seines Protagonisten als Knecht auf den väterlichen Hof.

Zitat aus der Schlussszene: »Er griff mit beiden Händen in die Erde. In ihm war nichts als dieser Wunsch, der ihn ganz erfüllte: da bleiben, da bleiben!«

Es ist älplerische Selbstverkitschung, was wir da lesen. Anno 1934, im Jahr der Februarkämpfe, entspricht sie dem ureigensten Bedürfnis der Staatsführung. Aus der Ungläubigkeit der Dekadenz etabliert sich eine monströse Fetischkultur, die das Unverstandene durch Bewährtes ersetzen will: Urbanität durch die Mystik der Scholle, den Wettstreit der Avantgarden durch den Kult des Alpinen und ein Kunstverständnis, in dem das »Urhafteste« zugleich als das Forschrittlichste gilt.

Zernatto und andere Vordenker des Ständestaates kreieren mit viel propagandistischem Aufwand ein antiurbanes Heimatgefühl. Bis tief in die Einöde hinein erklingt die Alpensymphonie, man verachtet Witz und Intellekt, die »Hast der Städte«, das monocephalistische, also zentrumslastige Kleinösterreich.

Der Chefideologe der Austrodiktatur propagiert in seinem Anti-Wien-Roman die homogene Gesellschaft als Reduktion auf ein gemeinsames Mass, Zernatto träumt von einer geistigen Neubesiedelung der alten Metropole an der Donau und meint damit die kulturelle Hegemonie von Provinznotablen in die Hauptstadt.

Unter den antidemokratischen Verhältnissen bekommt die hochgestochene Philosophie vom »österreichischen Menschen« endlich ein Gesicht: erst das von lebendige, mit den kindlichen Augen von Dollfuss, dann das bebrillte Akademikerantlitz von Schuschnigg. Dem erhabenen Gedanken entspricht im Profanen die Gier nach politischen Posten und Ämtern.

© Wolfgang Koch 2008
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