vonWolfgang Koch 12.06.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Man erzähle und bitte nicht, in der Millionenstadt Wien gäbe es keine sozialen Ideen. Die sind nur nicht mehr in der Rathaus-SPÖ zu suchen, und auch immer seltener bei den Grünen – immer öfter allerdings in von den östereichischen Medien total ignorierten Initiativen von unten.

Bestes Beispiel dafür ist das, was sich am Freitag den Dreizehnten an den Rändern der Wiener Öffentlichkeit abspielt [www.f13.at]. Es gibt im Englischen die Wendung »persons of no consequences«: Menschen, auf die es nicht ankommt. Genau um die geht es an diesem Aktionstag.

Die Wiener Strassenzeitung Augustin und viele andere Gruppen und Projekte aus dem sozialen und künstlerischen Bereich feiern seit 2002 jeden Unglücksfreitag als Glückstag – nämlich für jene, die sonst wenig Anlass zum Feiern haben. Welcher Tag wäre geeigneter, gegen den Ausschluss »unerwünschter« sozialer Gruppen aus dem öffentlichen Raum zu protestieren!

Mit dem Wiener Aktionstag ist die praktische Hoffung zu helfen und die utopische Hoffung, einen neuen Volksbrauch in der Alpenrepublik Österreich einzuführen, verbunden. Das hat schon mal in Amstetten funktioniert, wo die Stadt die F13-Idee aufgegriffen hat und, unter dem Ehrenschutz des Bürgermeisters, ein »Fest der Begegnung zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden« feiert.

Die Tatsache, dass der einzige F13 in diesem Jahr in den Monat Juni fällt, bewirkt eine Rekordteilnahme an diesem Aktionstag. Für die Zusammenstellung der Wien-Termine danke ich dem Kuserutzky-Klan alias Peter KROBATH.

© Wolfgang Koch 2008
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F13 IM UNTERGRUND I
11.00 Treffpunkt im Resselpark vor Karlsplatz-Passage

Friedl PREISL, Intendant des renommierten Internationalen Akkordeonfestivals, und viele der besten AkkordeonistInnen Wiens, diesmal auch viele andere KünstlerInnen, halten die behördlichen Sanktionen gegenüber StrassenmusikerInnen im öffentlichen Raum und in den U-Bahnzügen als gleichermassen kunstfeindlich und unsozial. Zum dritten Mal begeben sie sich ins Wiener U-Bahnnetz. Mit den Mitteln ihrer Kunst zeigen sie sich solidarisch mit den verfolgten StrassenmusikerInnen. Ihre Aktion ist auch ein Statement gegen die latent rassistischen Anti-Bettler-Durchsagen der Wiener Linien. Diesmal mit dabei: Die Clown Army.

F13 IN TRANSDANUBIEN
12.00 bis 18.00 Uhr: »Draussen vor der Tür« am Genochmarkt, Wien 22

18.00 Uhr: Diskussion zum Thema »Soziale Verdrängung in urbanen Räumen«
Fast alle Markthütten des Genochmarktes in Stadlau stehen leer; in einer davon, dem ehemaligen Wild- und Geflügelstand, finden diese beiden Veranstaltungen statt.
Draussen vor der Tür ist eine Performance der Gruppe kampolerta, die gemeinsam mit dem Verein MIK [Mission Ingnition Kagran] das Projekt Holiday in Stadlau initiiert hat. Es handelt sich um eine künstlerische Intervention, um den heruntergekommenen Genochmarkt mit neuem Leben zu füllen.

F13 IN DER AUGARTEN-STADT
13.00 bis 16.00 Uhr: Siesta feiern am Gaussplatz. T-Shirts von Rado Prokop
15.00 bis 16.00 Uhr: Performance der Tanzgruppe Slow Forward am Gaussplatz

16.00 Uhr: »Provokation der Musse«: Ab Treffpunkt Gaussplatz bewegt sich Slow Forward durch den Stadtteil, gefolgt von allen BürgerInnnen, die beim »Pomali Flanieren« mitmachen wollen.
Halb Bürgerinitiative, halb Kunstprojekt ist die Stadterhebung von unten, die zur Ausrufung der »AugartenStadt« geführt hat – eine Initiative des Kulturvereins Aktionsradius Wien. Die Stadt ist fiktiv, aber ihre Regierung handelt. So hat der Stadtrat zur Verzögerung der Zeit eine Verordnung erlassen, die das Recht auf die tägliche Siesta, auf das tägliche Mittagsschläfchen gewährt.

F13 VORM SCHANIGARTEN
Ab 15.00 Uhr: Rudi Hübl´s Plakat-BH

Rudi Hübl´s »urbane Volxkunst« thematieriert das aktuelle Wildplakatier-Verbot. Es wird versucht, zwei Errungenschaften der jüngeren abendländischen Zivilisation künstlerisch zu vereinen: die Meinungs- bzw. Pressefreiheit und den Büstenhalter. Bei den Performances von F13-Urgestein Rudi HÜBL, dem Plakatierer und Ethnologen, bisher bekannt als Plaktatwursterzeuger, kommt Staunen auf: Was kann man alles aus zermatschkerten Kommerzplakaten machen! Ort: Fussgängerübergang beim Cafe Sperl, 1060 Wien, Gumpendorferstr.13.

F13 IN HÜTTELDORF
Ab 15.00 Uhr: Trainbombing-Tour. Treffpunkt U4 Hütteldorf

Drei Schwerpunkte hat diese (dreistündige und kostenlose!) Stadtwanderung, zu der alle an Strassenkunst und Graffiti interessierten Menschen eingeladen sind. Erstens kann die »mobile« Forschungsarbeit des Instituts für Graffitiforschung beobachtet werden. Zweitens können die TeilnehmerInnen das Entstehen eines grossflächigen Graffito miterleben; der Spraykünstler LABINSAC verspricht politische Brisanz. Drittens wird rund um das Rapid-Stadion der »Pickerlkrieg« kommentiert – auch diese Ausdrucksformen der konkurrierenden Fan-Szene können der Street Art zugerechnet werden.

F13 IM UNTERGRUND II
Treffpunkt 15.00 Uhr, U4-Station Pilgramgasse: »Sandlerstolz«

»Viele Fahrgäste fühlen sich durch organisiertes Betteln in der U-Bahn belästigt. Wir bitten Sie, dieser Entwicklung nicht durch aktive Unterstützung Vorschub zu leisten, sondern besser, durch Spenden an anerkannte Hilfsorganisationen zu helfen. Sie tragen dadurch zur Durchsetzung des Verbots von Betteln und Hausieren bei den Wiener Linien bei.« So lautet seit Juni 2006 die Durchsage der Wiener Linien, die rassistisch ist, weil sie sich vor allem gegen die bettelnden Roma aus Rumänien und der Slowakei wendet, die manipulierend ist, weil sie mit dem Attribut organisiert den Überlebenskampf armer Menschen mit organisierter und mafioser Kriminalität identifiziert, der schliesslich fahrgästefeindlich ist, weil er die Unterstützung der Bettler durch viele Fahrgäste zu einem Delikt erklärt. Augustin-VerkäuferInnen laden möglichst viele FreundInnen des Blattes ein, an ihrem improvisierten Theater im U-Bahnwaggon mitzumachen. Dabei wird die Lautsprecherdurchsage der Wiener Linien mit Gegendurchsagen konfrontiert, und der Kollegium Kalksburg-Hit »Seyringer Sandlerstolz« wird – Weltpremiere! – theatralisch umgesetzt: Wos songs, gnä Frau? Ich soll mich waschn? / I schdingg wia 20 Dog Milidea? / Greifns doch in eana Doschn / und reims sofuadd an Fünfa hea!

ActionForumTheaterGruppe
Ab 15.00, Altes AKH, Hof 2

ActionForumTheaterGruppe ist ein Projekt des Theaters der Unterdrückten Wien mit dem Ziel, Forumtheater in den öffentlichen Raum zu bringen – Forum am Campus. Das Forumstück »Freier (Spiel) Raum« stellt zur Diskussion die (Un)Möglichkeiten, die die Gesellschaft Leuten gibt, ihre eigenen Vorstellungen vom Leben zu leben. Wie wird auf ein Ausbruch aus der Norm reagiert? Die Fragen,die dabei immer wieder aufkommen: was dürfen wir, was dürfen wir nicht machen? Und warum? Warum fordern Menschen Freiraum? Für verschiedene Menschen kann Freiraum verschieden aussehen: für MusikerInnen ist es ein Proberaum, für MalerInnen ein Atelier, für SammlerInnen Tauschplätze, für SchachspielerInnen ein Schachbrett, für Kinder ein Platz zum Spielen und Austoben… Wie können wir diesen Raum schaffen?

Augusto Boal definiert Forumtheater:»FORUM-THEATRE presents a scene or a play that must necessarily show a situation of oppression that the Protagonist does not know how to fight against, and fails. The spect-actors are invited to replace this Protagonist, and act out – on stage and not from the audience – all possible solutions, ideas, strategies. The other actors improvise the reactions of their characters facing each new intervention, so as to allow a sincere analysis of the real possibilities of using those suggestions in real life. All spect-actors have the same right to intervene and play their ideas. FORUM-THEATRE is a collective rehearsal for reality«(Rio de Janeiro 2004).

F13 AM AUGARTENSPITZ
16.00 – 18.00 Uhr: Erlustigungs-Mahnwache

An den Bürgern und der Öffentlichkeit vorbeigeplant, soll der Augarten-Spitz mit einer überdimensionierten Konzerthalle eines Grossinvestors zugebaut und damit zur Stadt verschlossen werden. Die AnrainerInnen und NutzerInnen des Augartens lassen sich das nicht gefallen. Dem Investor zuliebe scheint das Denkmalschutzamt die Schutzstellung des Pförtnerhäuschens aufzuheben, was die Bürgerinitiativen besonders obszön finden. Die aktionistischte dieser Initiativen ist das »Josephinische Erlustigungskomitee« (benannt nach der kaiserlichen Verordnung, durch die der vorher geschlossene Augarten dem Volk als öffentlicher Raum der »Erlustigung« übergeben wurde). Es richtet seit 11. April jeden Freitag von 16 – 18 Uhr die »Lustig-Listige Mahnwache« für den Augartenspitz, dessen Baumbestand und das Pförtnerhäuschen aus. Am Freitag, den 13. Juni soll die »barock-bukolisch-musikalisch-informative Festsetzung« (Ort: Ecke Castellezgasse / Obere Augartenstrasse) besonders nachdrücklich erfolgen. Die Aktion gliedert sich in die F13-Initiative der Verteidigung des öffentlichen Raums vor Partikularinteressen ein.

F13 IN DER NACHT
Ab 19.00 Augustin-Fest im Amerlinghaus

Ab 20.00 Uhr »Sofort verhaften!« Lesemarathon im 3RaumTheater
Neue Lieder braucht das Land. Tini TRAMPLER, die Sängerin der Dreckigen Combo, hat ihm nun ein Angebot vorgelegt: in Form der CD Der Vogel. Cellist und Komponist Florian Kovacic arrangierte zu Tinis Texten den adäquaten Sound. Mit ihren Combo-KollegInnen Jakob Kovacic, dem Schlagzeuger, Florian Jacob Wagner, dem Gitarristen, Philipp Moosbrugger, dem Bassisten, und Maria Düchler, der Akkordionistin, steht ein Kollektiv zur Verfügung, das seine Gerätschaft zum Lachen bringt, wenn die Sängerin vom Lachen redet, oder zum Weinen, wenn Tinis Lieder traurig scheinen. Die Dreckige Combo und so mancher Überraschungsgast werden das traditionelle Abschlussfest des F13-Tages (Amerlinghaus, 1070 Wien, Stiftgasse 8, Eintritt frei) zu einem ebenso sinnlichen wie anarchistischen Event gestalten. Für die Liebhaber leiserer Ereignisse gibt´s eine lange F13-Literatur-Nacht im 3Raum AnatomieTheater. Peter EIBEL Erzberg stellt seinen Roman Sofort verhaften! vor.

F13-DAY im Frauencafé
Ab 21:13 im Frauencafé Wien (Lange Gasse 11, 1080 Wien)

Jetzt schlägt’s auch im Frauencafé 13! Freitag, der 13., ist der neue Aktions- und Feiertag derjenigen, die sich Konsum nicht leisten können. Frauen sind in besonderem Mass davon betroffen. Daher schliesst das Frauencafé an diesem Tag symbolisch die Reichtumsschere: Brot für alle statt Arm und Reich! Fladenbrot gratis – alle spirithaltigen Getränke von 21.13 bis 00.13 Uhr zum leistbaren Einheitstarif von EUR 2,-. Antispirit um EUR 1,-. F13-Shirts um leistbare 10 Euro. An diesem Tag wollen wir uns was leisten! – UND FÜR ALLE, DIE ‘S GENAU WISSEN WOLLEN: Das Brot wird an diesem Abend tatsächlich mit einer Einkommensschere geschnitten! – Eintritt frei!

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