vonWolfgang Koch 29.03.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Um die historische Bedeutung dieses Buches zu verstehen, muss man die Verlogenheit des Wiener Kulturlebens kennen. Das Wiener Kulturleben, müssen Sie wissen, tanzt rechtsliberal und linksbürgerlich, immer am richtigen Fleck. Da, wo der rechte Fleck ist, kann nichts Unreines existieren. Seit den Tagen von Altenberg und Kraus hält sich die hiesige Kulturboheme für sensibel und gedankenvoll, sie lässt sich in den eigenen Augen nie nichts zu Schulden kommen.

Oder etwa doch? Betreiben wir ein wenig Zeitgeschichte. Ich nennen drei Namen: Udo Proksch, Otto Mühl, Jack Unterweger. Udo Proksch war ein von der sozialdemokratischen Schickeria protegierter Betrüger und Mörder; Otto Mühl war ein von der Wiener Intelligentia hochgejubelter Tabubrecher, der in seinem zwanzigjährigen Kommuneexperiment zahlreiche Menschen psychisch zerstört hat und am Ende wegen Vergewaltigung, Beischlaf und Unzucht mit Unmündigen, wegen sittlicher Gefährdung von Personen unter 16 Jahren, Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses sowie Delikten nach dem Suchtgiftgesetz für milde sieben Jahre im Gefängnis sass.

Zwei Fälle aus den letzten zwanzig Jahren. Keiner der beiden ist gesellschaftlich auch nur annähernd aufgearbeitet; in den akademischen Wiener Gesellschaftskreisen wird über Proksch und Mühl nur oberflächlich-zynisch gesprochen. Man hat aus der Ferne von der Sache gehört, gewiss, rümpft ein wenig die Nase und widmet sich schleunigst wieder den Mehlspeisen, den Seitensprüngen, dem Gratis-Sekt und den tollen Outlets am Naschmarkt zu.

Der schlimmste Fall ist der dritte: der Fall des unerhört frivolen Frauenmörder Jack Unterweger, der elf Prostituiertenmorde in drei Ländern verübt hat. Diese Verbrechen wiegen moralisch doppelt, da die Entlassung des scheinbar resozialisierten Mannes aus dem Gefängnis im Mai 1990 in Wien als wichtiges kulturelles Ereignis gewertet wurde.

Wien, müssen Sie wissen, ist bis in seine letzten Fasern hinein eine Hofgesellschaft. Was immer hier geschieht, ist von Einfluss und Protektion bestimmt. In den Achtzigerjahren galt Jack Unterweger als renommierter Autor – und er war der bekanntste resozialisierte Straftäter des Landes. 1982 war sein autobiografischer Roman Fegefeuer im Literaturmagazin manuskripte abgedruckt worden. Aber Mitte der Dekade schrieb die intellektuelle Elite des Landes Briefe an den damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger und bat den »österreichischen Jean Genet« freizulassen.

Die Solidaritätsliste mit dem schriftstellernden Frauenmörder liest sich im Rückblick wie ein Who-is-Who der österreichischen Intelligenz:
der Radiojournalist Peter Huemer, der Intellektuelle Günther Nenning, der Kriminalsoziolge Arno Pilgram, der Sexualforscher Ernest Bornemann, die später Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, der Autorengewerkschaftler Gerhard Ruis, der Schriftsteller Alfred Kolleritsch, der Prominentenanwalt Georg Zanger – sie und noch andere waren zur Stelle, als es um Unterwegers Freilassung bin. Sie alle waren mit von der Partie, bei der es angeblich um einen grossen Akt der Menschlichkeit ging. Und die Expertise dieser wohlmeinenden Kulturbürger begründete sich allein darauf, dass Unterweger eine selbstreflexive Lebengeschichte veröffentlich hatte.

Fakt war, dass Unterweger 1970 eine Jugendliche entführt, vergewaltigt und getötet hatte. Bei diesem erster Frauenmord handelte es sich eindeutig um ein sadistisches Sexualverbrechen, bei dem der spätere Held der Wiener Kulturszene das Opfer mit dem Büstenhalter erdrosselte. Während der 15jährigen Haftzeit hatte Unterweger dann zu Schreiben begonnen – zeugte das allein schon von einem Persönlichkeitswandel?

Das sozialliberale Millieu Wiens bettelte den Mörder aus dem Gefängnis. Seine vorzeitige Entlassung erfolgte ohne fachpsychologische Untersuchung. Kaum in Freiheit, inszenierte sich Jack Unterweger medialwirksam in der Rolle des Rebellen. Der gesamte Magazinjournalismus des Landes ging ihm auf den Leim. In vielen österreichischen Schulen stand Unterwegers Roman auf der Leseliste.

Als sich dann immer mehr unaufgeklärte Prostituiertenmorde zu einer Serie auftürmten, schwindelte sich Unterweger mit Hilfe der linken Stadtzeitung Falter in die Rolle eines journalistischen Ermittlers. Man muss sich das einmal vorstellen: der Täter tanzte seinen Verfolgern als Vertreter der Öffentlichkeit frivol auf der Nase herum.

»Dem enormen Druck der Intellektuellen folgend, wurde Unterweger unter äusserst bedenklichen Umständen entlassen: ohne psychiatrische Begutachtung, ohne spezifische Therapie, ohne Prüfung seiner Persönlichkeitsänderung, ohne Einholen von Prognose-Expertisen. So wurde ein nach wie vor hochgradig abnormer Charakter, ein höchst gefährlicher Lebenslänglicher, ohne jegliche Sicherung, also ohne Therapieweisung und ohne Überprüfung des sozialen Empfangsraumes, im wahrsten Sinn auf die Menschheit losgelassen«, schreibt Reinhard Haller im Nachwort zu diesem spannenden Buch.

Als sich das Netz der Ermittler langsam um Unterweger zusammenzog und der Verdächtige in die USA floh, bat allein der Journalist Günter Nenning öffentlich um Abbitte für seine jahrelange Naivität. »Das Dunkle an so einem Typen, das macht die Intellektuellen an«, schrieb er.

Kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Entschuldigung von den anderen Wortführern der Menschlichkeit! Die Polizei schnappte
Unterweger. Es kam zum Prozess, und der Anklagevertreter sagte in seinem eindrucksvollen Schlussplädoyer: »Die vorzeitige Begnadigung von Jack Unterweger war die verantwortungslose Tat einiger weniger Menschen«. Ernest Bornemann, Peter Huemer, Alfred Kolleritsch, Elfriede Jelinek, Gerhard Ruis, Arno Pilgram, Georg Zanger, usw.

Um den unerhörten Kriminalfall auch mal von dieser unaufgearbeiteten Seite zu beleuchten, musste sich ein US-amerikanischen Autor des Stoffes annehmen. Einem österreichischen Schriftsteller, müssen Sie wissen, der an der blauen Donau weiterexistieren will, wäre das ganz unmöglich gewesen.

John Leake verfolgte die Spuren des Killers in den Prozessakten, er recherchierte bei den befassten Justiz- und Kriminalbeamten sowie den Freundinnen des Täters. John Leake hat ausserdem die Literaturproduktion des »Resozialisierten« gegen den Strich gebürstet – und was dabei herauskommt, das ist die erschreckende Einsicht, dass Unterweger sein Morden detailgetreu beschrieben hat. Unterweger veröffentlichte Jahre vor seiner Begnadigung ein Buch mit der exakten Schilderung seines Modus Operandi am einsamen Tatort. Er schenkte seinen sentimentalen Lesern »ein spiegelverkehrtes Bild der Wirklichkeit« – also jener Realität, in der dann dank der wiedererlangten Freiheit aus dem Täter ein Serientäter werden konnte.

John Leake: Der Mann aus dem Fegefeuer. Das Doppelleben des Jack Unterweger. 455 Seiten, St. Pölten-Salzburg: Residenz Verlag, 18,- EUR

© Wolfgang Koch 2009
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