vonWolfgang Koch 13.04.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Im Burgenland ist der Korken kaum aus der Flasche zu bringen, in Salzburg renaturiert Natur zur Erbauung des Einzelnen und in Kärnten singt ein Chor: »Keine Steine, Verlassen, verlassen, verlassen«. – Seit der von Harald Szeemann kuratierten Ausstellung »Austria im Rosennetz« hat es keinen spannenden Versuch mehr gegeben, jener Ideologie auf die Spur zu kommen, die der Österreicher als Staatsbürger und Mensch verkörpert. Im Epiker Christian Zillner hat Szeemanns mehr oder weniger pataphysisches Herangehen an die Kollektivlegende der Nation nun endlich einen würdigen Nachfolger gefunden.

Szeemann hat 1996 ein Biographarium der verkannten Künstler, der Käutze und der Vergessenen entwickelt – er präsentierte die österreichiche Geistes- und Kulturgeschichte in der Vorzeigepose des Aussenseitertums. Zillner versucht die Österreich-Ideologie nicht nur mit Menschen und ihren Geschichten zu legen. In seinem Epos sind es vielmehr die Worte, die Bewegungen und die Gesten der Protagonisten, die die Ideologie verkörpern. Der Schauer des nationalen Pathos wird durch kleine und kleinste Glücksstrategien von Individuen ersetzt.

Sagen wir so: Der Staatsbürger Christian Zillner ist Dichter, und er betrachtet unseren Körper durch das Mikroskop seiner Verse. Dazu entdeckt er (nicht als erster) den Dialekt und befreit ihn (wieder mal) aus den Fängen der Heimatdichtung. Doch Alltagskultur und Umgangssprache sind ebenso selbstverständliche Werkzeuge dieser Dichtung wie klassisches Bühnendeutsch oder Zitate aus Politikerreden.

Man stösst in Zillners Arbeit am nationalen Mythos völlig unerwartet auf Fragen der Kybernetik, oder auf den schauderlichen Völkermord in Ruanda 1994, oder auf die Medizingeschichte ab Gerad van Swieten. Man erfährt in diesen Versen, dass die Teuerungsrate in den Jahren 1938 bis 1941 sagenhafte 38 Prozent betrug. Das ist weit mehr Realität, viel mehr, als die Literaturwissenschaft heute von Dichtern verlangt. Hier schreibt einer, der uns keine hirnphilosophische Debatte ersparen mag, bloss weil er die Worte schwindelerregend im Mass setzt.

Elegant, wie Zillner z.B. das Humboldt-Gymnasium mit minimalen Strichen skizziert – »ach, deutsche Professorei/ hier steht Hannibal stets ante portas/ und draussen äsen die Elche«. Oder wie Zillner das Wien der Sechzigerjahre strichliert: »Grabwand grauer Häuser,/ erstarrt im Geschieb’ der Geschichte«.

Christian Zillners phänomenales Spiegelfeld-Epos hält derzeit bei Band No. 5 (nochmal so viele sollen folgen). Der Verfasser nimmt im aktuellen Werk zur österreichischen Nationswerdung eine weit aufgeklärtere Position ein, als in den vorangegangenen Bänden. Dass seine Position im Land nicht mehrheitsfähig sein dürfte, lässt sich leicht an den Trampelpfaden ablesen, auf die Tourismusindustrie ausländische Gäste schickt: Burgen & Schlösser, Kirchen & Klöster, Klimt & Hundertwasser.

Warum genau geht es? Für Ziller hat die 600jährige Geschichte der Habsburger Dynastie der Prozess der österreichischen Nationswerdung nicht etwa gefördert, sondern unterbrochen. Österreich, so Zillner, dürfte weltweit eine der Nationen gewesen sein, »die sich selbst den Kopf abhieb, um als simple Kernnatur in die Welt zu treten«. Entsprechend sieht der Autor in Hitler »Habsburgs letzten Erben«, einen Diktator, der in Traumstiefeln die Fantasmagorien des Adels zu retten versuchte.

Nun ist die These vom mannhaften Suicid der Doppelmonarchie nicht neu; sie wurde zunächst vom Kaiserhaus und den Legitimisten selbst in Umlauf gebracht. Man kennt die depressiven Äusserungen Kaiser Franz-Josephs, und Hugo von Hofsmannsthal hat den aktiven Nihilismus der Monarchie in seiner berühmten Reitergeschichte in ein beeindruckendes Bild gefasst.

Handwerklich experimentiert Zillner gerne mit panoptischen Rückschauen, angereichert durch sprachlich verknappte historische Information. Im neuen Band 5 des Spiegelfeld-Epos betreten nun die neun österreichischen Bundesländer die Selbstdarstellungskojen.

Vorhang auf! Zum Thema Steiermark stossen wir bereits nach fünf Seiten auf den Briefbombenattentäter Franz Fuchs. In Oberösterreich begegnen wir dem Heimwehrführer, Abenteurer und Putschisten Ernst Rüdiger von Starhemberg und folgen ihm bis ins Exil. »Ein Foto in Uniform, elegant und französisch,/ in der Kronenzeitung neuzehnhundertvierzig/ kostet ihn seinen ganzen Besitz, eingezogen/ seine Schlösser und Länderein von den Nazis, das teuerste Foto in der Geschichte des Landes.«

In Kärnten begegnen wir der Gräfin Marianne von Thurn-Valsassina – am Tag ihrer Hochzeit mit Graf Leopold Goess, und zwar in der Toilette, wo sich ihr unglücklich-verängstigter Knabe Vinzent gerade in die Muschel erbricht. Zitat: »beim übergeben gleiten von ihrem nacken/ des hausses goeß majoratsperlen/ in den orkus und werden von einem/ bedauernswerten geschöpf/ wieder beschafft, um die dekolltees/ der frauen auf schloss ebenthal zu schmücken.«

Hier finden sich Momente des Spielerischen, die in der österreichischen Gegenwartsliteratur gewöhnlich in Surrealismus auslaufen. Einmal listet Zillner über 14 Seiten klingende Adelsnamen auf. Der vielsagende Untertitel: »Roman aus besseren Kreisen«. – Ein solches Verfahren ist genau genommen den Schreibmoden der Siebzigerjahre geschuldet: dem Konzept, dass man einen richtigen Eindruck von einer Sache durch das Auftürmen und Repetieren von Material erzwingen kann. Ein poetologischer Ansatz, den uns der Alpengenet Josef Winkler bis zum Überdruss vorgeführt hat… Hier, in dem mehrhundertseitigen Opus, bei Zillner, erfüllt die Methode einen klaren Zweck. Hier arbeitet sich einer an der sprachlichen Patina der österreichischen Geschichte ab, am »letzten Blendwerk des Adels«.

Dieser Autor – Christian Zillner ist im Brotberuf Redakteur, als Mehrfachtalent aber auch noch Maler und Zeichner – balanciert mit wunderbarer Freude an der eigenen intelektuellen Überlegenheit über den Abgründen des austriakischen Nationalbewusstseins, er versucht ein letztes Mal Lebensaft aus den bewegten Jahrhunderten zu saugen. Gut, Zillner reist auf dem ältesten Pfad der Österreich-Ideologen, dem Territorium der Vergangenheit, allerdings auf einer gegen die Herrschenden gewendeten Geschichte. Hier sucht einer nach den österreichischen Wurzeln, um sie aus der Erde zu reissen.

Christian Zillner: Spiegelfeld. Band 5, 255 Seiten, Lesebändchen, Wien: Dornröschen Verlag, 23,- EUR

© Wolfgang Koch 2009
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