vonWolfgang Koch 15.06.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Betrifft: Zehn neue Bücher aus Österreich (10). Peter Gorsen: Das Nachleben des Wiener Aktionismus. Interpretationen und Einlassungen seit 1969, 240 Seiten mit Abb., ISBN 978-3-85415-419-8, Klagenfurt/ Graz/ Wien: Ritter Verlag, 29,- EUR

Lieber Herr Koch,

vielen Dank für Ihre umsichtige und integrale, aber auch rasant geschriebene Rezension des Nachleben-Konvoluts. Was Otto Muehl anbetrifft, so trenne ich prinzipiell zwischen Person, Kommunardenexistenz und künstlerischem Werk. So hätte ich auf Seite 16 besser nicht von »Muehls Lebenspraxis«, sondern nur seinen Materialaktionen sprechen sollen.

Gemeint ist, dass de Sades Wunschphantasien über kriminelle Gesetzesverletzung (“Point de voluptés sans crime”) in ihrem ganzen Ausmass von Muehls aktionistischer Ästhetik nie erreicht wurden. Sein Bemächtigungstrieb war sozusagen imaginativ überfordert. Muehl wollte sich nie an das »real existierende Machtsystem« anpassen bzw. mit ihm wetteifern.

Der Prozess, der sich ja auf das postaktionistische Leben und die Verfehlungen in der Kommune bezieht, hat für meine immanentästhetischen Interpretationen keine Bedeutung. Muehl hat dem Eisenstädter Gerichtsurteil durch seine absolvierte Gefängnisstrafe zynisch gehuldigt und sich bedankt; inhaltlich konnte er es wegen seiner konträren, an Wilhelm Reich orientierten Sexual- und Lebensauffassung nicht anerkennen.

In seinem eigenen Verständnis von (Kinder)sexualität blieb er auch dann noch Sublimations- und Verdrängungskritiker, als er nach in Österreich geltendem Gesetz Rechtsbrecher, formaljuridisch Kinderschänder war. Muehl konnte daher vom Standpunkt seiner konträren, immoralischen nietzscheanischen Lebens- und Sexualanschauung noch 1997 sich gegenüber »der Niederträchtigkeit des offiziellen Österreich« im Recht und Besitz der Wahrheit wähnen.

Wiederum klammere ich aber »die katastrophalen Folgen seiner Machtausübung in der Psycho-Sekte«, wie Sie es nennen, aus, da man sie aus angegebenem Grund nicht mit den künstlerischen Leistungen vor und nach dem Lebensabschnitt in der Kommune vermischen soll. Die Kunst am Leben des Künstlers zu messen, führt die Kunstkritik immer auf moralische Abwege (vgl. das Werk des Mörders und Halunken Caravaggio oder Veroneses sakrilegische Ausschmückung des Gastmahls des Simon im Urteil des damaligen Klerikalismus).

Mit besten Grüssen
Ihr Peter Gorsen

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