vonWolfgang Koch 03.07.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der 70jährige Hermann Nitsch steckt sie immer noch alle in die Tasche, und die Tasche fasst diesmal gleich zwei Etagen des Wiener Künstlerhauses. »Vorbilder/ Zeitgenossen/ Lehre« nennt der Malerfürst und Mitbegründer des Wiener Aktionismus eine hochkarätige Kunstschau, die sein eigenes OEvre in Beziehung zu 66 bildenden Künstlern, Schriftstellern und Theatermachern stellt.

Die Hängung der Ausstellung ist nicht immer erfreulich. Auch scheut der Allesversteher und Daseinsbejubler Nitsch bei der Auswahl der gezeigten Arbeiten vor ärgstem Kitsch nicht zurück (Magdalena Frey, Cornelius Kolig); freilich, das schwer erträglich gewordene Pathos von Rudolf Schwarzkoglers SW-Serien ist nun mal in jeder Rückschau der Wiener Aktionisten obligatorisch.

Dass die Grossausstellung dennoch sehenswert ist, liegt am Konzept der Kuratoren Hermann Nitsch und Joachim Lothar Gartner. Erstmals wird das monumentale Werk des Prinzendorfers Schlossherrn nämlich nicht in einer dröhnenden Retrospektive gezeigt, sondern im Schnittpunkt fremder Konzepte dargestellt – ein Verfahren, das Meisterwerke so selbstverständlich miteinschliesst wie katastrophale künstlerische Irrwege.

Zunächst fällt uns die Abwesenheit gewisser prominenter Namen auf. Zweifelsfreie Vorbilder wie Lovis Corinth, Chaim Soutine oder die von Nitsch mit viel Lob bedachten Kollegen Joseph Beuys und Damien Hirst bleiben in der Ausstellung radikal ausgespart. Warum bloss? Statt dessen präsentiert man uns die hinlänglich bekannte erste Garnitur der östereichischen Malkunst – von Egon Schiele und Richard Gerstl über Oskar Kokoschka bis Herbert Boeckl. Auch die Koloristen Anton Kolig und Anton Faistauer sind auffällig vertreten.

Der Grund für diese Selbstbeschränkung auf Wienerschnitzel mit Knödel dürfte in der Finanzierung des Ausstellungsunternehmens zu suchen sein. Etliche der Exponate hätte man locker zu Fuss aus dem Museum Wien über die Strasse tragen können; eine erkleckliche Zahl von Exponaten stammt budgetschonend aus den Beständen des Klosterneuburger Nitsch-Mäzenaten Essl sowie aus dem Fundus von Nitsch selbst.

Eine echte Überraschung für den Nitsch-Kenner dürfte dessen Reverenz an den Wien-Behübscher Friedensreich Hundertwasser sein. Beim Rundgang durch die Ausstellung fällt weiters auf, wie viele der Künstlerkollegen sich am Problem der Bildsymmetrie versucht haben und kläglich daran gescheitert sind (Cornelius Kolig, Thomas Draschan,…).

Warum die doch eindeutig zu den Zeitgenossen zu zählenden Austro-Kaliber Arnulf Rainer und Gerhard Rühm in der Generalkategorie Vorbilder gelandet sind, während Dieter Roth am Ausleger des Einbaumes neben Magdalena Frey Platz nehmen muss, oder – noch absurder – Adolf Frohner neben dem Strubbelkopf Christoph Schlingensief, bleibt selbst dem geschulten Auge verborgen.

Ansonsten: viel anständiges Informel (Adolf Frohner, Otto Mühl, Antoni Tapies), grosse Farbvielfalt, viel Liebeswonne im Geistesflug, und als einzige Überraschung unter den Zeitgenossen: drei erotische Grossformate von Alfred Biber mit herausragender Langzeitoptik.

Erstaunlich ist, dass sich keines der ausgestellten Bilder, Objekte und Videos an das doch zentrale Taurobolium oder Stieropfer, das auf eine Reinigung durch Blut zielt, heranwagt. Der Orgienmysteriker sieht in sich bekanntlich den ersten Künstler der Kunstgeschichte, der sich ernsthaft mit der visuellen Grammatik von Fleisch und Blut beschäftigt hat. Die philosophische Grundlage dazu liefert die Tierzerreissung im antiken Dionysoskult, den Nitsch im O.M. Theater subtil zu erneuern versucht.

Sicher, das Feiern ist eine hierzulande noch wenig bekannte Disziplin. Doch die TeilnehmerInnen an Nitschs mehrtägigen Spielen gelangen stets leicht zur Überzeugung, dass die theatralischen Handlungen nach den Partituren eine Ordnung der Dinge zustande bringen, die höher ist als die, in der sie gewöhnlich leben. – Allenfalls ein Kalb in einer Collage von Heinz Cibulka (aus dem ein Baum und der Gekreuzigte herauswachsen) liesse sich als Anspielung auf das künstlerische Generalthema des Tieropfers interpretieren.

Jeder Hinweis auf die von Rembrandt gemalten Ochsen fehlt in dieser Ausstellung. Anstelle von Stier, Lamm und Schwein – also den Tieren, mit deren Kadavern das O.M. Theaters operiert – widmen sich die Exponate einer Vielzahl von Kleingetier: auf den Acryl-Schinken von Attersee tummeln sich Füchse, Vögel und Katzen, Katrin Sturm zeigt eine überdimensionale, rotbekleckerte Biene, irgendwo turnt ein Affe über die Wände und Peter Veit konfrontiert einen Jute-Greifvogel mit einem hundsgemeinen Sitzmöbel.

Wirklich lebendig wird die Natur in dieser Ausstellung nur dort, wo sie bereits tot ist. Von Herbert Hollmann ist eine wahre Chronik des Vergehens zu sehen, die neben Muscheln, Steckchen und Familienbildern auch ein Vogelgerippe versammelt. Ein weiteres seiner Kastenobjekte reiht sechs plastinierte Frösche auf den Spitzen von Gipsschuhen, aus denen uns die Lebenfülle in Form von Spielkarten und Papierhaien entgegenquellt. Der 2002 verstorbene Kunsterzieher hat viele Jahre am O.M. Theater mitgewirkt und selbst im Verborgenen geschaffen.

Die sechs Froschleichen werden übrigens auf das Reizendste konfrontiert mit Zeichnungen von Hollmanns Tochter Hanna, die dank ihrem Vater nicht nur den Weg nach Prinzendorf, sondern auch zum Künstlerdasein gefunden hat. Ihr Strich wirkt kräftiger als der von Alfred Hrdlicka, doch ihre vom Körper ausgehenden Konstruktionen nehmen streng Distanz zu allen Klischees.

Aus der Künstlerhand von Vroni Schwegler, einer Nitsch-Schülerin an der Städelschule in Frankfurt, stammen die atemberaubenden Momentaufnahmen vom Zerfallsprozess toter Wildhasen. Erst vor einigen Jahren konnte der Kunsthistoriker Erwin Pokorny nachweisen, dass Albrecht Dürer für seinen weltberühmten und neuerdings auch wasserresistenten Albertina-Löffel kein Hasenfell als Vorlage benutzt hat, sondern das ungleich zartere einer Katze.

Betrachtet man Schweglers makabre Hasenkörper in der Vitrine, wird man zugeben, dass diese die augenfällige haptische Sensibilität von Dürers Ikone noch spielend übertreffen. Die in Frankfurt lebende Künstlerin hält den Tod mit einer so ausladenden Akribie fest, sie ästhetisiert und erotisiert das Nichtsein in einer Dichte, wie das selbst ihrem Lehrer Nitsch nur in den seltensten Fällen gelungen ist.

© Wolfgang Koch 2009

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https://blogs.taz.de/wienblog/2009/07/03/tiere_in_der_kunst_3/

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kommentare

  • Richtigstellung

    Im Wienblog vom 3.7. ist folgendes zu lesen: “Erst vor einigen Jahren konnte der Kunsthistoriker Erwin Pokorny nachweisen, dass Albrecht Dürer für seinen weltberühmten und neuerdings auch wasserresistenten Albertina-Löffel kein Hasenfell als Vorlage benutzt hat, sondern das ungleich zartere einer Katze.”

    Hier liegt ein gewaltiges Missverständnis vor. Ich schrieb 2003 in einem satirischen Standard-Artikel gegen die These, dass für den Dürer-Hasen eine Katze als Modell gedient hätte. Damals wurde behauptet, dass der Dürer-Hase gleichsam eine Katze im Hasenfell sei, weil ein Hase nicht so lange stillsitzen könne.
    Dabei gibt es Dürers Hasenstudien im British Museum, die einen Hasen (möglicherweise denselben) in verschiedenen Stellungen festhalten! Hätten nach der Natur arbeitende Zeichner nur unbewegte Tiere studieren können, gäbe es auch keine Zeichnungen von springenden Pferden, kämpfenden Tieren, fliegenden Vögeln.
    Nein, nein, der Dürer-Hase ist ganz ohne Zweifel ein Hase mit Hasenfell! Freilich könnte Dürer für das Finishing bzw. die Wiedergabe der Färbung einzelner Haare auf das Fell eines toten Hasen zurückgegriffen haben.

    Mein Standard-Artikel ist übrigens noch online:
    http://derstandard.at/fs/1483577

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