vonWolfgang Koch 16.08.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Was ist die Sphinx? Gute Frage. »Ein geflügeltes Ungeheuer mit Frauenkopf und Löwenkörper«, würde der gebildete Hellene antworten. Ein »Phix«, das heisst ein Würger, raunen Freunde der Angstlust. »Die Sphinx ist selbst ein Rätsel wie das, das sie den Menschen stellt«, weiss der Sagenkundige. – Jedenfalls ist sie ein perfektes Thema für unsere Serie »Tiere in der Kunst«.

Die Sphinxgestalt dürfte ägyptisch-phönizischen Ursprungs sein. In der Mythologie am Nil steht sie für die vier unabweislichen kosmischen Grundkräfte; sie vereint den Menschenschädel mit dem Löwenleib und den Stierschwanz mit den Flügeln des Adlers. Im Ägypten der Pharaonen war sie zudem das Kernsymbol der Wiedergeburt (ein menschlicher Oberleib wächst aus einem tierischen Unterleib heraus, ohne sich endgültig davon lösen zu können).

Literarisch kam die Sphinx in der Ödipussage zu Ehren. Dort straft das Mischwesen zunächst die Thebaner für die Vernachlässigung des Dionysos- oder eines anderen Kultes, indem es von einer Mauer oder einem Felsen herab seine berühmte Denksportfrage an die Passanten richtet. Wer von den Befragten mit den Schultern zuckt, wird kurzerhand von der Sphinx verspeist.

Ödipus löst das Rätsel, indem er in sich vom Tierreich abgrenzt und bewusst als andersartig, als Mensch erkennt. Das gesuchte Ding mit den zwei Beinen, das sich zunächst auf allen Vieren und am Ende auf drei Beinen fortbewegt, entpuppt sich als der Homo sapiens, und zwar vom Säuglingsstadium, wo er noch krabbelt, bis zum Alter, wo er am Stock (mit dem dritten Bein) in die finstere Nacht hinaus humpelt.

Der Mutterrechtler Johann Jakob Bachofen, einer der einflussreichsten Denker des 19. Jahrhunderts, sah in der antiken Sagengestalt der Sphinx das Weib als Träger des Todesgesetzes identifiziert – als zugleich liebreiche und als finster drohende Macht, voll der höchsten Zuneigung, aber auch des höchsten Ernstes. In Hellas mit seinem männerlastigen Götterhimmel verschlang die Personifizierung der Todesgewalt den Menschen.

Der geniale Freud-Schüler Otto Rank versuchte 1923 das Gefühl zu lokalisieren, das in dieser Aggression wirkt. Rank interpretierte die Sphinx als kulturellen Ausdruck einer primären Geburtsangst. Was Ödipus auf dem Weg der Rückkehr zur Mutter zu überwinden hatte, war nichts als das Trauma des Geburtsvorganges – nämlich eine frühe Erstickungsangst. Der Gedanke fügte sich perfekt in die Charaktersierung der Sphinx als Würgerin.

Ranks Theorie basiert auf der einfachen Beobachtung, dass bei vielen mischgestaltigen Fabelwesen – Kentauren, Minotauren oder eben der Sphinx – der edelgeformte Menschenkörper aus einem Tierleib herauswächst. Das schien ihm »den Schmerz und die Qual dieser Loslösungsbestrebungen von der Mutter widerzupiegeln«.

Soviel zur Theorie. Die meisten Wien-Touristen gelangen bekanntlich vom Gürtel aus in das ehemalige Prunkschloss des Prinzen Eugen, und da springen ihnen – nach dem schmiedeeisernen Tor, der Südfassade, dem Schlossteich und der legendären Stadtansicht vor dem Oberen Belvedere – zwei grosse steinerne Sphinxen der Barockzeit entgegen. Die ursprünglich reiche Gartenplastik des Schlosses ist ja nicht mehr erhalten oder heute anderswo placiert. Die Sphinxen im Grünen hingegen gehören zum Belvedere-Park wie die flankierenden Säulen zur nahen Karlskirche.

In den 1970er-Jahren haben sich zwei besonders kulturwütige Wiener Intellektuelle ein hübsches literatisches Duell zu diesem Thema geliefert. Der eine, der aus Ungarn stammende György Sebestyén, schwärmte vom »Apfelgesicht« der Sphinxen und schwor Stein auf Pein, dass der immer noch unbekannte Bildhauer der Skulpturen ein ganz junges Mädchen als Modell gewählt hat. Dieses Modell mag, so Sebestyén, eine Wäscherin gewesen sei, oder eine kleine Modistin – eine junge Frau jedenfalls, mit einer nicht allzu hohen Stirn, mit runden, freundlichen Wangen, runden Augen, die spitze Nase ein wenig zu klein, der heiter geschwungene Mund noch kleiner – »eine Wienerin, ganz gewiss, eine Sphinx ohne Geheimnis, jedenfalls ohne Geheimnistuerei«.

Hatte der stockkonservative Sebestyén (er nannte den Aktionskünstler Hermann Nitsch einmal einen »Sexualanarchisten«) nur von den rundlichen Wangen der Belvedere-Sphinx zu schwärmen gewagt, lagen dem Linkskatholiken Friedrich Heer 1978 eindeutig die Brüste am Herz. Heer erzählte, sich bereits als Knabe an die »kugelrunden, weissen Brüste« gelehnt und nach einer gelben Ader im Stein der Brust gelangt zu haben. Die Sphinx war für ihn ein verführerisches und begehrenswertes Objekt, kein Wäscherin mit einem Apfelgesicht.

Rank, Sebestyén, Heer – sicher haben alle drei den Streit um Klimts Fakultätsbilder gekannt. Pünktlich zum Beginn des 20. Jahrhunderte hatte Klimts »Philosophie« auf der 7. Ausstellung der Secession einen Sturm der Entrüstung entfacht. 87 Professoren protestierten in einer Petition beim Kaiser gegen diese Allegorisierung der hehren Denkdisziplin. Klimt, behaupteten die Professoren, wisse nichts Positives über das wissenschaftliche Fach zu sagen, seine Symbolik sei komplett missraten und ungeeignet für den Festssaal der Universität.

Als starke Gegenstimme meldete sich der Kunstkritiker Lajos Hevesi zu Wort, einer weiterer ungarnstämmiger Intellektueller, der in Wiens Kulturleben dauerhaft Fuss gefasst hatte. Hevesi wies auf ein unheimliches Antlitz im Klimtgemälde hin: »Je länger man hinsieht, desto mehr gliedert es sich. Ein steinern unbewegtes Antlitz tritt hervor, dunkel, wie das einer ägyptischen Basalt-Sphinx. Andere Formen finden sich dazu; der Busen, die gewaltigen Tatzen. Es ist eine Form, die man nur errät, aus einem Stoff, den man nicht kennt.« Das leuchtende Gesicht der Philosophie wieder, so Hevesi, stelle das absolute Gegenteil von nebenhaft, rätselhaft und Sphinx vor – »ein Seherantlitz, das von höherer Klarheit glüht. Die Sphinx und alles übrige ist nur Vision dieses Kopfes«.

Mit seiner präzisen Beobachtung und den klug gesetzten Worten verteidigte der grosse Kunstschriftsteller Hevesi Klimt gegen den dummen Angriff der Schulphilosophen. Hier das Weltgebäude voll dunkler Rätsel … da die aufklärerische Funktion eines Philosophierens, das sich nicht mehr durch akademische Spielregeln einengen lässt. Aus derselben Quelle, aus dem Zeitungsartikel vom 29. März 1900, erhalten wir auch die beste aller Definitionen unseres gesuchten Mischwesens. »Eine Sphinx«, teilte Hevesi der beleidigten Wiener Professorenschaft mit, »ist schliesslich eine Hieroglyphe, die selbst der Analphabet lesen kann«.

© Wolfgang Koch 2009

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