vonWolfgang Koch 23.08.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Es kann einen immer wieder in Erstaunen versetzen, um wieviel an Qualität der englische Buchmarkt dem deutschen überlegen ist. Sicher, der englische Markt ist älter und vor allem grösser. Aber nicht die Masse der produzierten Bücher schlägt in Qualität um. Auf dem anglo-amerikanischen Buchmarkt finden sich verlegerische Preziosen trotz der im Argen liegenden Allgemein-Bildung des Publikums. In den Häusern können höhergestellte Melancholiker und reiche Witzbolde mit ihren Talenten Eindruck machen, während die besten Versuchs-Labore der deutschen Buchbranche seit Jahr und Tag auf selbstausbeuterische Kleinverleger angewiesen sind.

Das jüngste Beispiel für die Spitze der anglo-amerikanischen Lesekultur heisst Burding Babylon. A Soldier’s Journal from Iraq. Das schmale Bändchen, eine Zusammenstellung von Internet-Glossen, ist bereits 2006 bei Sierra Club Books in San Francisco erschienen. Nun liegt es unter dem englischen Titel auch in einer deutschen Übersetzung im Berlin Verlag vor.

Worum geht es? Darum, dass sich der einfache US-Kriegsteilnehmer Jonathan Trouern-Trend als Mitglied einer Sanitätseinheit im Irak gute zwei Jahre lang der leidenschaftlichen Vogelbeobachtung hingegeben hat. In jeder dienstfreien Minute, aber wohl auch zwischendurch, d.h. mitten im Kampfgeschehen des dritten Golfkrieges – auf Versorgungsflügen, im Humvee, am Müllplatz, usw. – gab sich der Mann der Beobachtung und den Klangerfahrungen der Vogelwelt hin.

Zitat: »Normalerweise erregt das Vogelbeobachten auf der Militärbasis keine übertriebene Aufmerksamkeit der Militärpolizei. Wenn ich durch mein Fernglas in die Ferne blicke, denkt jeder, ich leiste Wachdienst. Was sie denken, wenn ich in einen Baum blicke, weiss ich nicht«.

Nun sind Naturbeobachtungen in der Soldatenliteratur nichts Ungewöhnliches. Denn erstens sind sie für den Uniformierten eine Art existenzieller Erfahrung: die Nähe des Todes legt den Blick auf das Bleibende und Beständige der Natur nahe. Zweitens haben Soldaten Zeit im Überfluss. Es gibt ein treffendes chinesisches Sprichwort, das sagt: »Soldaten unterhält man tausend Tage, um sie für eine Stunde zu gebrauchen«. – Das gilt für den Frieden, und erstaunlicherweise gilt es auch für den Kriegsfall selbst.

Trouern-Trends Vogelkunde hat sich endlos weit davongemacht von den dramatischen Kriegsbriefen eines Jacques Vaché (»die Enthirnungsmaschine macht viel Lärm«), oder den berüchtigten Kaltnadelnotaten eines Ernst Jünger. Doch auch dieses Buch ist ein Kriegstagebuch – eines aus einer anderen Zeit und einem anderen Krieg. Das militärische Geschehen taucht nur ganz peripher als Rotorengeräusch am Himmel auf, oder als Rauchfahne am Horizont. Der Autor besitzt weder Ironie noch Säure, seine Zeilen wollen sich ganz unpoetisch für die Naturforschung nützlich machen, die Berichte geben sich sprach bescheiden wie eine Seminararbeit. Was ist der Effekt davon? Der Krieg dröhnt in seiner demonstrativen Abwesenheit durch das Geturtel der Palmentauben, er flattert im Flug des bunt gefiederten Eisvogels, tapst in den Spuren der Schakale und Sandfüchse.

Birding Babylon lebt von einer erstaunlich ignoranten Subjektivität, bei der der Autor lediglich Gefühle über die Vogelbeobachtungen preis gibt. Der Birder spricht gewissermassen durch die Genauigkeit seiner »Weihnachtsvogelzählung«, durch die geballte Entdeckerfreude und die Lust an den »Erstsichtungen« hindurch noch einen anderen, unhörbaren Text, dessen Buchstaben aus Würgen und Schweigen bestehen.

Diese streng konzeptuelle Herangehensweise an das Überlebenproblem erinnert mich stark an das 1987 in Berkeley erschiene Bändchen Flattened Fauna. A Field Guide to Common Animals of Roads, Streets, and Highways. In diesem Buch fasste der Autor Roger M. Knutson die Strasse als ein Habitat wie die Prärie oder Sanddünen auf. Er begann mit einer Lokalisierung und Klassifizierung sämtlicher in Nordamerika von Autos plattgefahrenen und der Sonne getrockneten Schlangen, Alligatoren, Enten, Fledermäusen und Ratten. Herausgekommen ist dabei ein wissenschaftlich fundiertes Bestimmungsbuch für den Autobeifahrer, das ihm die Silouhetten der zerquetschten Tiere als Schlüssel zur Naturbeobachtung in die Hand gibt.

In beiden Fällen – der Vogelbeobachtung im Irak und der zerquetschten kalifornischen Fauna – ist ein scheinbar naiver Blick am Werk, dem jede von früheren Autorengenerationen demonstrierte Kaltblütigkeit fehlt. In diesen englischen Büchern offenbart sich eine neuer Modus im Umgang mit der Realität, der zwischen Widerstand und Anpassung etwas Drittes wählt – ein privates und geistiges Beharren auf das Eigene, und zwar in der Sprache des Hobbys oder einer Pseudowissenschaft. Hier artikuliert sich das Interesse an der Realität nicht soziologisch oder umweltpolitisch, sondern im braven Stil von Erbsenzählern.

Kurz: Ich habe Birding Babylon einen Ehrenplatz auf der Büchertribüne meiner Bibliothek zugewiesen. Das Tagebuch aus dem Irak steht jetzt prominent zwischen Flattened Fauna und den Shells of Herm im Suchkegel der Leselampe.

© Wolfgang Koch 2009

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https://blogs.taz.de/wienblog/2009/08/23/tiere_in_der_kunst_9-2/

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kommentare

  • In der englischen Sprache lese ich grundsaetzlich nur Buecher von britischen Autoren – die Amerikaner sind primitiv und langweilig. Die USA hat immer erstklassige Journalisten (H.L.Mencken usw) – aber “grosse” Schriftsteller had die USA nie gehabt und wird nie haben – genau so wenig wie “grosse” Komponisten: Die “ambience” der USA foerdert kaum Kultur fuer die Ewigkeit – zu oberflaechlich, schlampig, “go-with-the-trend”.

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