vonWolfgang Koch 13.09.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die wachsende Bedeutungslosigkeit der österreichischen Gegenwartskunst hat eine Menge Ursachen. Franz West verknäult sich neuerdings in Barockgärten, Arnulf Rainer mumifiziert sich in einem Museum und Erwin Wurm tanzt auf einem »Roaring Twenties«-Benefizfest im Oberen Belvedere. Dann sind da noch die Kritikerkollegen, denen ich Inkompetenz und Urteilsschwäche vorwerfe. Ein überregionaler Kulturjournalismus existiert in Österreich nicht einmal.

Ein nahezu beliebiges Beispiel für den ins Hintertreffen geratenen Kulturbetrieb ist die Ausstellung »CHALO!-India« im Essl Museum in Klosterneuburg. In der Besprechung der Wiener Wochenzeitung Falter, und nicht nur dort, triumphiert das Drumherum und das Nebenher. Das Raunen von vermeintlichen Trends gilt hier als Kritik, alles Abwägen und Differenzieren ist hoffnungslos ins Ungedruckte geraten.

Gewiss ist diese Schau zeitgenössischer Kunst aus Indien ein beachtenswerter Familienevent. Da gibt es Schnecken, einen Pfau und einen schlafenden Elefanten, ein goldblitzendes Motorrad, am Wochenende Erfrischungen und Ruhekissen. BesucherInnen bekommen einen Bindui auf die Stirn geklebt, sie können Farben aus Kleister und Gewürzen selber anrühren, man kann sich vor einer Bollywood-Kulisse fotografieren lassen – alles wie auf einer Fremdenverkehrsmesse.

Familienausflugstechnisch ist das ein wunderbarer Gewinn! Aus kuratorischer, das heisst aus intellektueller Perspektive aber ist diese Ausstellung eine mittlere Blamage. Man kann mit Kindern hingehen, den Kopf aber lässt man besser zu Hause.

Die vom Mori Art Museum in Tokyo in adaptierter Form übernommene Schau bemüht sich, den Anschluss indischer Künstler an den internationalen Kunstzirkus zu dokumentieren. Die 100 Werke von 27 Künstlern bzw. Künstlergruppen sollen einen Eindruck von »India now« vermitteln, wobei die programmatische Betonung einer »India-ness« im Mittelpunkt der Arbeiten steht.

Kein Klischee wird da ausgelassen: Chaos und Tumult in den Strassen, Rikscha und Armut, junge Männer, die von einem Leben in der Schweiz oder in Kanada träumen, zitierte Kalenderkunst, Schilder, banales Alltagsleben, Riesenmoskitos, Rolljalousien,… Da hängen also aufschlussreiche Zeit- und Krisendokumente neben zartestem und fragilstem Kunstgewerbe – überbordende Ironie, Arbeit am Mythos, alles da und ohne ohne jede Gefahr der Enttäuschung.

Natürlich sind die Kochutensilien des Blech-Vituose Subdoh Gupta sehenswert, natürlich ist der »Autosaurus Tripous« von Jitish Kallat kurios, die geisterhaften Goldstriche der Prabhavathi Meppayil sind erlesene Miniaturmalereien, die Flugskulptur von Nataraj Sharma – super! Alle fünfzig Meter kommt ein verborgenes Talente zum Vorschein – allein, der Gestus des Ganzen ist inakzeptabel. Das Indien der Essls ist so erschreckend unberührt vom postkolonialen Diskurs, dass es dem informierten Besucher schaudern muss.

Man stelle sich das bitte einmal umgekehrt vor: Österreichische Gegenwartskünstler müssten im Ausland ihre Nation »repräsentieren« wie Handelsreisende, sie müssten ihre künstlerische Intelligenz und ihren Fleiss unter Beweis stellen, indem sich sich an einem ominösen »Österreichertum« abarbeiten.

Anstelle der serieller Portraits von Gandhi als Hindu und Moslem sähe man Toni Sailer als Schwimmer und Tischtennis-As. Statt der Fotoserie von der umstrittenen Grenze zwischen Pakistan und Indien würde eine Serie vom ehemaligen Eisernen Vorhang gezeigt. In irgendeiner Schublade der Akademie findet sich sicher ein Künstler, der seine kultische Begeisterung für Nike schildern möchte; irgendwo in der Provinz dann noch einer, der mit Gummistempeln die Umrisse des Landes auf entblosste Rücken drückt. Statt dem aufgereckten Pfau: ein ausgestopftes Murmeltier. Ein österreichische Cindy Sherman, die sich im Mantel der Mariazeller Muttergottes fotografieren lässt, usw.

Man muss nichts weiter tun, als sich diese zeitgenössische Schau in Klosterneuburg auf gut Alpenländisch vorzustellen und schon ist ihr exotischer Zauber unwiederbringlich dahin. Wieso kommt denn bei uns niemand auf die Idee, der Welt eine Moderne zu präsentieren, »die stets in österrreichischen Themen und Idiomen verwurzelt ist«? Antwort: Weil das eine nationalistische Lachnummer wäre, ein Cartoon-Austria, das von Manfred Deix angeführt werden müsste.

Nein, die India-Ausstellung vollbringt kein Wunder an Tapferkeit gegen einen gleich braven Feind. Im Gegenteil: Das Essl Museum nagelt eine nachrückende Generation von KünstlerInnen des Subkontinents mit ausgebreiteten Armen an die Werbestrategien des Indian Tourist Board.

© Wolfgang Koch 2009

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kommentare

  • zunächst: der ausstellungstitel lautet nicht “hallo! india”, sondern “chalo! india”. das ist gerade bei einem rundumschlag nicht ganz wurscht.
    die hinterfragung der bedeutung österreichischer gegenwartskunst hat natürlich ebenso ihre berechtigung wie die kritische rezeption von ausstellungen. im konkreten fall ist die inhaltliche vermengung nicht wirklich stringent gelungen.
    prämisse: ob’s einem passt oder nicht, privaten sammlern ist persönlicher kunstgeschmack unbenommen. gerade das essl museum hat in den vergangenen jahren durchaus auch kontroversielle inhalte präsentiert, im gegensatz zu den meisten öffentlichen museen, die sich dem marktkonformen rechtfertigungsdruck aussetzen müssen. dass auch die heimische kunst meist nur dann ihre daseinsberechtigung zugesprochen erhält, wenn sie vermarktbar ist, ob österreichbetont oder nicht, kann ja auch kein geheimnis mehr sein. machen wir uns doch nichts vor: was nicht irgendwie ins umwegrentabilitätskonzept passt oder sich als feigenblatt pseudoliberaler kulturpolitik eignet, hat es schwer. dagegen anzurennen, ist zwar ehrenhaft, aber verkennt die rahmenbedingungen. wir leben im kapitalismus, auch in der kunst, mit allen konsequenzen.

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