vonWolfgang Koch 09.04.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Herrscht irgendwo große Verwirrung darüber, worum es im O. M. Theater geht? Besteht denn Nachfrage nach weiterreichenden Interpretationen?

Nein, und daraus ersehen wir, dass es Hermann Nitsch in seiner dreibändigen Monumentalschrift allein um Selbstvergewisserung seiner Arbeit geht. Trotz der vorherrschenden terminologischen Vagheit zeigt sich, dass die Entfaltung der Künstler-Philososphie deutliche Bedeutungsverschiebungen in der Spieltheorie zu Folge hat, daß Komposition und Dramaturgie der Aktion nunmehr dem Oberbegriff Sein dienen.

Zum Abschluss des letzten Bandes bietet uns diese Weisheitsschule wieder über 300 Seiten Dichtungen. Gleich der erste Text ist eine komplette »Umdichtung« des Tao-Tê-King, von der es paradoxerweise schon in der Einleitung heißt, sie wäre keineswegs als eine »Umdichtung« zu verstehen. Frage: Soll man nun mehr der Überschrift glauben oder der Einleitung?

Der Text wurde 1966 fertig gestellt und ist erstmals in Wortdichtung II  im Freibord Verlag veröffentlicht worden. Es finden sich darin sehr  interessante Aussagen des Autors – solche, die sich gegen den Hedonismus richten, eine weitere über den Sinn des Schenkens (»Daseinsfestlichkeit«), aber auch blamabler Unsinn über die Begriffe Volk und Waffen (»Ausdruck einer Urgewalt jenseits von Gut und Böse«).

Ich vermute weiters, dass sich das akademische Prekariat der Gegenwart, dem wohl die Masse der jungen KünstlerInnen zuzurechnen ist, von einem inzwischen wohlbestallten österreichischen Künstler nur ungern folgendes sagen lassen wird: »Wer eigentumslos ins Sein sich verwirklicht, hat alles, ist alles«.

Es treten im großen Finale auf: der Meister, dem man bitte nachfolgen soll, und der Erleuchtete; sowie Zahlen als Metaphern. Was mich trotzdem für diese Tao-Tê-King-Version aus Prinzendorf einnimmt, ist die Möglichkeit, hier die Lektüre des ca. 2300 Jahre alten heiligen Buches vom seinerzeit 28jährigen Nitsch nach zu verfolgen.

Im direkten Textvergleich zeigt sich gewiss viel jugendliches Unverständnis gegenüber dem Orginal. Wenn es bei Laudse etwa heißt: »Um sein Nichtwissen wissen/ Ist das Höchste«, so setzte Nitsch 1966 diesem Vers den Satz entgegen: »Wenn es um das Erfahren eines intensiven Zustandes geht, ist das Wissen um das Wie der Welt unwesentlich«.

Hier reden in einem imaginären Dialog gewissermaßen zwei Leuchten aneinander vorbei. Laudse: »Der Heilige Mensch kennt sich selbst,/ Aber sieht sich nicht; Er schont sich selbst./ Aber ehrt sich nicht«. Nitsch: »Der Erleuchtete sieht sich nicht, sondern das Ganze. Er ist so sehr im Ganzen, er ist das Ganze, dass er sich überspringt. Er ist in allen Kräften, in allen Dingen, in allem Lebendigen. Er ist in allem, was Alles in ihm ist.«

Auf relativ verschlungenen Wegen wird hier aus den einfachen, eindeutigen Worten des asiatischen Kerntextes die Fantasiewelt eines gesinningsverliebten Dionysiers. Resignierend verwarf Nitsch 1966, was er heute, in der viel später entstandenen Passage des 1. Bandes seiner Sein-Triologie triumphierend postuliert: die Erlösung. »Im Grund genommen bedarf die Welt keiner Erlösung, es ist wichtig, dass sie sich selbst annimmt als allumfassendes Ereignis« (805).

© Wolfgang Koch 2010

Hermann Nitsch: Das Sein. Zur Theorie des Orgien Mysterien Theaters. 3 Bd. im Schuber, 1186 Seiten, ISBN 978-3-222-13271-1, Styria Verlag 2009, EUR 140,-

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kommentare

  • Das dieser sektiererische Selbstdarsteller immer noch ernst genommen und kommentiert wird, übersteigt meine Fassungskraft.

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