vonWolfgang Koch 12.04.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Letzter Band, letzte Station der Reise. Auf die »Umdichtung« des Tao-Tê-King, die keine sein will, aber doch eine ist, folgt eine weitere, nämlich die Übersetzung des König Oidipus von Sophokles in einer intentionalen Sprache, d. h. in einer Sprache mit mehreren Bedeutungen.

Wie Freud sah Nitsch in der Blendung der altgriechischen Sagengestalt eine verklausulierte Abhandlung des Themas Generationenablöse. Der Text stammt aus dem Jahr 1978, also aus der prä-aktionistischen Phase, als der Autor noch mit einer überladenen Sprache reale Sinneseindrücke evozieren wollte. Im Begleitwort erwähnt Nitsch den Wiener Poeten Ferdinand Schmatz , mit dem er sich in den 1980er-Jahren wegen eines unbotmäßigen Katalogbeitrages überworfen hat, noch als »Freund«.

Es finden sich aber auch Dichtungen neuen Datums am Schluss des 3. Bandes; unter ihnen fällt ein erotisches Erlebnis von 2001 einigermaßen aus dem Rahmen. In gleich drei Poems stellt Nitsch seine Angst vor Atombomben zu Schau (923, 926, 967), und auch ein Gesang auf den Wein darf natürlich nicht fehlen. Am eindringlichsten sind diese kleinen Prosa-Arbeiten merkwürdigerweise immer dort, wo sie ins Düstere eintaucht.

 Im vorletzten Text der großen Seins-Triologie, bevor dann im letzten Buchbeitrag bei der Tötung des Orpheus »blutsaugende fliegende Saurier« über ganze Sonnensysteme herfallen und die Vernichtung von allem Leben beginnt, im vorletzten Text, bevor Mohn und Hanf ihre einschläfernde Wirkung ausüben, bekommen wir noch eine rituelle Kastration in einem Mithräum vorgeführt.

»Der Stier wird über einer Grube stehend geschlachtet. In der Grube sitzt der Myste bekleidet mit einem weißen Gewand. Ölig fett schäumendweinrot rinnt und tropft das Blut des Stieres auf das Gesicht des Mysten und sein frisch gewaschenes Hemd. Prallige geschwollene, von verdauter Zellulose abgesetzem Kot vollgestopfte Gedärme und anderes verschleimtes Gekröse, heiß dampfend, gummiweich schlatzig fällt auf ihn. Er erbricht sich. Sein Kleid wird mit einem Messer von ihm getrennt. Das scharfe Messer holt mit 2 gekonnten Schnitten die Hoden vom schönen Leib des Jünglings und sie [die Priester] werfen diese hier den Hunden vor«.

Das Mehrzüngige, Vernebelnde dieser Passage ist typisch für Nitschs literarische Arbeitsweise. Es ist ja nicht eigentlich das Messer, das hier »gekonnt« kastriert, sondern es sind die Priester, die es führen, um symbolisch die Leiblichkeit zu überwinden. Wie beim Kunstschönen seiner Malerei und wie im oszillierenden Glanz der Aktionen bleibt auch in der schwarzen Poesie der Prosa die Botschaft weitgehend offen. Einmal identifiziert sich das Leser-Ich mehr mit dem Opfer, dann wieder ist es aufgefordert, das mit den Tätern zu tun, deren geschilderte Leibfeindlichkeit a) der berühmten frohen Seinsbotschaft völlig zuwider laufen, oder b) als grausame Metapher für die unendliche Vergeistigung des Sinnlichen (Erlösung) der Nitsch-Ontologie stehen können.

Wie auch immer: Hier wird am Schuss des gewaltigen schriftstellerischen Unternehmens noch einmal deutlich gemacht, wie das Drama (der Psychoanalyse) zur Ontologie werden konnte. Das philosophische Wollen unterwirft sich unmissverständlich die Produktion des Kunstschönen, das breite Feld einer Ästhetik des Hässliche natürlich mit eingeschlossen. Auf der künstlerischen Ebene des Malens und Werkens verschwindet der Gegensatz zwischen Sein und Schein völlig. Was übrigbleibt, ist ein unaufhörlicher Bilderstrom, eine Bildkultur, in der die Wirklichkeit (das Sein) von einer permanenten Scheindarstellung ohne Inhalt, Bedeutung oder Referenz ersetzt wird. Was hervortritt, ist eine Hypersichtbarkeit.

Der erste Versuch zur O.M. Theorie, dessen Manuskript Nitsch zwischen 1960 und Sommer 1974 geschrieben hat, endete mit Partiturdichtungen und den optimistischen Worten: »Die Sonne geht hell strahlend auf«.

Der zweite philosophische Großversuch von 1995 schloss gleichfalls mit der Botschaft der erwachenden Lebendigkeit, er brachte Bilder der ewigen Auferstehung, und am Ende die donnernden Worte: »Wir erfahren trunken das Sein«.

Ein halbes Jahrhunderts nach dem Beginn des fabelhaften Unternehmens schließt nun der dritte Versuch mit der vollendeten Versöhnung von Idee und sinnlicher Erscheinung, und zwar in der inbrünstigen Anbetung der Narkotika im Lebensrausch: »Mohnpflanze, Samenkorn des Mohnes und des Hanfes«.

© Wolfgang Koch 2010

Hermann Nitsch: Das Sein. Zur Theorie des Orgien Mysterien Theaters. 3 Bd. im Schuber, 1186 Seiten, ISBN 978-3-222-13271-1, Styria Verlag 2009, EUR 140,-

 

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