vonWolfgang Koch 25.08.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Uns stört der Streit der Wiener Grünen keine Minute. In zwei von 22 Bezirken treten ökologisch bewegte KandidatInnen getrennt zur Gemeinderatswahl an. Daraus einen »zerstrittenen Haufen« abzuleiten oder, wie die SPÖ zu behaupten, die Stadtgrünen wären »primär mit sich selbst beschäftigt«, ist haltlose politische Propaganda.

Im Gegenteil: Die Spaltung der Fraktionen in der Josefstadt und in Mariahilf liefert uns den längst fälligen Beweis, dass es sich bei den Grünen immer noch um eine lebendige Bewegung handelt. Hinter den medienprofessionellen Mandaraten steht immer noch eine kampfeslustige Basis, die sich von den Berufspolitikern nicht einfach unterbuttern lassen will.

Maria Vassilakou, die Vorsitzende der Wiener Grünen, ist die ungekrönte Bürgermeisterin von Boboville, einer Stadtzone im Dreieck zwischen WUK, Amerling Haus und Naschmarkt. Außerhalb dieser studentisch dominierten Kernzone unterhält Boboville noch ein paar Vorstädte, grünalternative Einsprengsel in Zinshausgrätzeln: am Kamelitermarkt, um das ehemalige Freihaus in Margarethen herum, am Yppen-Platz in Ottakring, usw.

An all diesen Orten regiert Vassilakou in den Köpfen: d. h. die Kuschelorgien des Multikulturalismus, die Fahrradwerkstätten, die Falter-Kleinanzeigen, das Schuhwerk von GEA und der faire Kaffee der EZA. Das ist schön und gut so, aber auch nur einen Hydranten weiter gekommen ist die Ökopartei in der letzten Legislaturperiode nicht.

Im Gegenteil: Die Rathausgrünen stehen noch stärker im Bann des Roten Wiens als selbst die regierende Juxpartei der SPÖ. Die süße Welt der Ökos ist durch und durch neobürgerlich gestrickt: es müssen mehr Radwege her, Gratisfahrräder am besten, mehr Flächen zum Inlineskating, mehr Schwulenberatungszentren, die Coiffeure sollen für Männer- und Frauenfriseuren gleich viel verlangen, und deren andere Nichtigkeiten mehr.

Das Auffälligste dieser ausschließlich von den Steuerzahlern finanzierten Partei ist, dass sie immer erst ein halbes Jahr vor den nächsten Wahlen zum Leben erwacht. Die Grünen, bitte, sind ein reiner Wahlverein und 80 Prozent ihrer politischen Energien gehen für das Erstellen der Kandidatenlisten drauf. Das parteiinterne Geschehen bestimmen drei, vier über die Jahre geknüpfte Seilschaften, wichtigstes Werkzeug: das Mobiltelefon. Der unmittelbare, lebendige  BürgerInnenkontakt wird von den Bezirksgruppen wo immer nur möglich umgangen.

Die Grünen werden bei diesen Wahlen also nicht, wie jetzt schon gemutmaßt wird, an ihren internen Streitigkeiten scheitern. Sie scheitern auch nicht an ihrem Altpersonal, für das es keine Versorgungsposten gibt. Sie scheitern an ihrer idiotischen politischen Speichelleckerei gegenüber den Soziademokraten, die sie überhaupt nicht aus den Ämtern heben wollen.

In Wien regiert seit 65 Jahren ein und dieselbe Partei. In einer solchen Situation schaffen es selbst ehrliche Sozialdemokraten nicht mehr, rot zu wählen. Unübersehbar sind der Ergebnisse von Misswirtschaft, Filz und mafiösen Strukturen.

Die Wiener Grünen aber stellen sich hin und verzichten demonstrativ auf den Griff nach der Macht, der eine Oppositionsarbeit erst legitimiert. Diese Ökohelden möchten mit dem roten Onkels ein wenig mitregieren – denn der böse Drache, der angeblich »das Klima in der Stadt vergiftet«, droht ja mit H. C. Strache, der nichts als eine böse Erfindung der Regierenden ist.

© Wolfgang Koch 2010

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