vonWolfgang Koch 30.09.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der österreichische Reisefotograf, der längst einen Staatspreis verdient hätte, zeigt gerade Sarajewo-Impression einer vorangegangenen Spätsommerreise in New York. Eine Schau mit »gesichtslosen Portraits« im oberösterreichischen Braunau steht in Vorbereitung.

Zu Hängung und Eröffnung der aktuellen Ausstellung ist Leitner in der Septemberhitze nach NYC gereist, wohnte in der 9. Avenue, vier Minuten vom Chelsea Hotel entfernt. »Überall Menschen, Bitten, Verbote – Please Pay When Served«, klagt er. »Alles ist teuer, ein Bier sieben Dollar, Frühstück nicht unter zehn«.

Leitner zitiert die österreichstämmige Fotojournalistin Lisl Steiner, die er bei dieser Gelegenheit aufgesucht hat. Die Kollegin lebt seit über 40 Jahren in den Vereinigten Staaten und verfügt über zwei Pässe, was die US-Behörden nicht gerne sehen: »It’s going down with the country«.

Als unmittelbaren Beleg für den Niedergang dient Leitner das große geographische Unwissen der Menschen da drüben. Eine alte neugierige Frau auf Coney Island habe von ihm wissen wollen, woher er käme. Sie staunte, dass da in dem abgetragenen Sakko und den ausgebeulten Taschen ein waschechter Europäer vor ihr stand. Zu »Austria« sei ihr nichts eingefallen, außer: »That’s where the wars were coming from?«

Als Leitner in Harlem die große Sonntagsparade der African-American-Community besuchte, zählte er unter den tausenden Menschen der feiernden und lärmenden Menge nicht mehr als sieben weiße Gesichter, sein eigens inklusive. – Während wir hier in Wien ununterbrochen über die Integration der Moslems reden, zeigt sich an der Schwarzenparade das Endstadium der modernen Parallelgesellschaften.

Als unverbesserlicher Nostalgiker und Billie-Holiday-Fan, der er ist, suchte Leitner auch die Lenox Longe auf. Und schon wieder herrschten andere Sitten, als bei seinem letztem Besuch vor sieben Jahren: generelles Fotografierverbot, und die gute alte Juke-Box ersetzt durch ein digitales Monster.

Als Leitner an seinem Geburtstag, den 15. September, den nachvollziehbaren Entschluss fasste, sich selbst an diesem Tag etwas Gutes zu tun, da wurde aus der Idee der Besuch im Zoo der Bronx. Und auch hier erlebte der Weltreisende aus Wien sein blaues Wunder. »Jeden Mittwoch ist nämlich der Eintritt frei, das heißt in Amerika aber, es wird eine Spende erwartet. Die Spende für Erwachsene würde mit 16 Dollar angegeben. Ich spendete aber nur einen Dollar«.

Man versucht sich schmunzelnd die ungläubigen bis empörten Gesichter am Ticketschalter vorzustellen. – So ist das halt mit den österreichischen Künstlern heute in der Welt. Die drängen nicht auf ein Turbo-Heimatgefühl wie die Wiesengeher in München oder werben für eine Wagenburg-Gesellschaft wie die Rechtspopulisten im eigenen Land – unsere Künstler sind buchstabengläubige Kosmopoliten. Leitner weigert sich einfach Sinn und Gestalt, das heißt Leben und Werk zu trennen – erst in ihrer Einheit bilden sie eine dem menschlichen Geist gemäßen Ausdruck.

Zum Glück entdeckte der Fotograf bei seinen aktuellen NY-Erkundungen dann noch die sympathische Vorliebe von Bürgermeister Michael Rubens Bloomberg für solides Schuhwerk. Der Millionär soll abwechselnd zwei paar klassischer schwarzer Schlüpfer aus italienischem Leder tragen, und zwar jeweils gute zehn Jahre lang. Von dieser Lebensphilosophie ist Leitner begeistert. »Man soll sich als Konsument verhalten, wie man Getränke bestellt – also immer genau soviel, wie man wirklich zu trinken vor hat«.

© Wolfgang Koch 2010

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https://blogs.taz.de/wienblog/2010/09/30/was_macht_eigentlich_paul_albert_leitner/

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kommentare

  • Er ist ein Künstler,der sich nicht vom Zeitgeist treiben läßt und dadurch der Zeit weit voraus ist.
    Einer der ganz großen Kunstphotografen, am Weg ganz nach oben.

  • Soon Paul goes EAST, DA FENG GALLERY, Peking

    +++++++++++

    Der Mann, der einfach nur geht, ist eben nicht zu stoppen.
    W.K.

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