vonWolfgang Koch 04.10.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Errichten wir der SPÖ einen Altar in der Kaisergruft! Wien braucht eine Tansania-Koalition, damit wir nicht von sozialistischer Gefühlsbildung erdrückt werden.

Wieso ducken sich eigentlich alle weg bei den Überlebensfragen der Stadt: der Explosion der Mieten? Der Kapitalisierung des öffentlichen Raums? Der Stigmatisierung von delinquentem Sozialverhalten? Dem Niedergang zur Tourismuskulisse? Wo bitte bleibt denn der von der SPÖ versprochene Zugewinn an Freiheit, Universalität und Zukunftsfähigkeit Wiens?

Der wird medial kräftig zugeschmiert: mit Diven im Blitzlicht, mit knackigen Dirdln & strammen Buam, mit Liveball und Scherzkekserln, Inselfest und Schmähtandlern aller Art – eine endlose Walze der Spektakelkultur erdrückt jeden Anlauf zu einer emanzipierten Stadtöffentlichkeit. Wien steckt immer noch in den Baby-Fliesenflitzern einer regressionslastigen und autoritätsaffinen Kultur.

Nur die SPÖ ist zu 100 Prozent kompatibel mit der Oberflächen-Gesellschaft. Was sich nicht mit Schampus und Prosciutto zudecken lässt, erledigt die Angstmache: »Neue Arbeitsplätze«, »Sicher unterwegs«, »Gutes Zusammenleben«. Die Lauge eines soziologisierten Klassenkampfes kanalisiert den Protest und erzieht uns sanft zu einer untertänigen Geisteshaltung.

So kommt es letztlich, dass sich ÖVP und Grüne weigern, die Machtfrage auch nur zu stellen. Man staunt, woher die Kleinfraktionen ihren Hochmut nehmen, in Zukunft bloß mal ein bisschen mitnaschen zu wollen am Trog. Wer soll sie dafür wählen?

Antwort: Schwarz und Grün besitzen die Chuzpe, sich bereits vorab als Mehrheitsbeschaffer für Häupl und seinen mutmaßlichen Nachfolger Michael Ludwig anzudienen, weil sie schlußendlich gar keine politischen Kräfte sind, sondern vorpolitische, familienhafte Gemeinschaften.

Letzte Säule der Dickichtkonstruktion: die antifaschistische Symbolpolitik gegen Rechtsaußen. Gegenüber den Freiheitlichen entfacht die SPÖ ein wahres Sperrfeuer des heroischen »Nie-Wieder!«, einen anheimelnden Gesinnungsgesang. Die Trutzfeier findet täglich und bei jedem Wetter statt, um Schwarz und Grün enger an sich zu ketten.

Das Sündenregister

Dabei hätte Wien sich längst eine runderneuerte SPÖ verdient. Jedes Kind weiß, dass unkontrollierte Macht der Wohnraum des Bösen ist. Mit dem Sündenregister der Betonierer ließen sich mehrere Druckseiten füllen. Nur ein paar Stichworte, um die ganze Breite des sozialdemokratischen Versagens in den letzten Jahren zu illustrieren:

Der Hinauswurf des Pflegeombudsmanns Dr. Werner Vogt, die Klassenmedizin in den Krankenhäusern, die Fixierung von Sterbenden in den Altenheimen, die menschenrechtswidrige Bettlerverordnung, die Käfighaltung von Kindern in popfarbigen Welten des pädagogischen Spielterrors, …

Lärm, Abgase, der ungebremster Durchzugsverkehr, die tägliche Blechlawine auf den Donaubrücken, die entwürdigend kurzen Ampelintervalle für Fußgänger, die Einstellung der Ringstraßenbim, der europaweit teuersten Flughafenzubringer auf Schiene, das gefährlichste Radwegsnetz nördlich der Alpen, …

Die Donauinsel: eine Beißhundezone, der Wurstelprater: eine Glückspielfalle, die Arbeiterjugend der Massenbezirke vegetiert dahin unter illegalem Drogenkonsum, die Polizei wird zur Menschenjagd auf Asylsuchende und Bettler missbraucht. Und jedes vierte Kind lebt in einem Armutshaushalt.

Bildung: Wien hat mit der »Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau« eine perfekte Schule für 6- bis 14jährige und schafft es seit geschlagenen 11 Jahren nicht, dieses europaweit beachtete Modell flächendeckend auf die Stadt auszudehnen.

Dann die Monowirtschaft eines einfallslosen Tourismus: Wien als schläfrige Senioren-Busreise-Destination, als Aufführungsstätte der Reproduktionskultur. – »Aber das Freizeit- und Kulturangebot ist doch unerschöpflich!«, sagen Sie. – Na, dann schlagen Sie mal den Programmteil eines Berliner Stadtmagazins auf.

Kulturell wertvolle Institutionen (Gartenbaukino, Stadtkino, Breitenseer Lichtspiele, Depot, Kabinetttheater, Schule für Dichtung) sind entweder vom Zusperren bedroht oder haben schon dicht gemacht, wie unlängst das Vienna Art Orchester, Europas einzige Jazzbigband mit internationaler Besetzung.

© Wolfgang Koch 2010

 

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