vonWolfgang Koch 06.10.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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In Wien kämpfen politische Zwerge ohne Nerven gegen den mächtigen stadtparlamentarischen Arm eines sozialdemokratischen Mischkonzerns. Mit dem BürgerInnen hat das nur am Rand zu tun.

An den Grünen stört mich noch am wenigsten, aber doch, dass sie ihr süßes Hirnchen nicht einschalten. Die Stadt ist größer als Boboville, die Kipferlbezirke zwischen WUK, Amerling Haus und Naschmarkt, in denen Lily Munster als ungekrönte Königin regiert. Wie die ÖVP das Kommunalgeschehen allein aus der Perspektive der stammwienerischen Parzellen von Hietzing, Neuwaldegg, Währing und Döbling beurteilt, so picken die Ökos als Einsprengsel in den Zinshausgrätzeln.

Die Partei der Naturfrommen und die inferioren Besitzstandswahrer des Geil.o.Mobils haben mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein dürfte. Beides sind Wahlvereine, die erst kurz vor dem Urnengang zu Leben erwachen. Dann posiert man rasch für Hochglanzmagazine und schreibt sich die Finger wund gegen das Spekulieren mit Fremdwährungskrediten – möchte aber im Grund nur die eigene Klientel mit begünstigt sehen.

Werden ÖVP und Grüne je verstehen, dass das keine politische Ansage ist? Dass in der Demokratie erst der Griff nach der Macht Oppositionsarbeit legitimiert?

Die SPÖ diffamiert zwei gegnerische Fraktionen als »Chaoten« und »Hetzer«, aber an den Grünen ist nichts chaotisch außer ihrer Nibelungentreue zur SPÖ. Strache ist vermutlich ein ärgerer Täuscher als seine Widersacher. Aber auch die Gegenfrage ist hier erlaubt: »Wie lange hat die Wiener SPÖ arrogant über das Pfeiffen und Trommeln in der letzten Reihe hinweggesehen?«

Gemütlich bin ich selber

Politik ist eine unendliche Aufgabe für Approximation. Am FP-Spitzenkandidaten finde ich wenige Punkte sympathisch, aber doch, dass er jedes heimliche Einverständnis mit dem eigenen Scheitern zurückweist und das demokratische Paradox der wechselnden Kontrolle in den Mittelpunkt stellt.

Freilich: Will ich einen Mann auf der Regierungsbank sehen, in dessen Kopf lauter »Gaunern« und »Fleißige« herumspuken? Einen, der mir »Herz« und »Heimat« verspricht? Sicher nicht. Victor Adler hat die Wiener Gemütlichkeit – »diese Schlaffheit mit kurzatmigen Aufregungen, diese spießerhafte Simpelei« – zu Recht in den Orcus geschickt.

Die »soziale Heimatpartei FPÖ« ist intolerant und antiurbanistisch, sie vernutzt die Topoi des Kulturpessimismus und kassiert den Beifall dafür, dass Strache das Schreckgespenst einer Völkerwanderung an die Wand malt. Ich aber verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Hochhäuser, kurze U-Bahnintervalle, automatische Müllsortierer, fremde Tempel und Flugambulanz. Wienerisch bin ich selber. 

Ausgrenzungsindustrie

Stadtsein heißt nach Georg Simmel vor allem Individualisierung, Befreiung aus Abhängigkeit und Auflösung von Verpflichtungen. Das sieht ein nicht geringer Teil der Zuwanderer anders. Wien ist an hunderten Ecken Klein-Ankara geworden, es herrscht die Wunschbildlichkeit einer patriarchalischen Hirtengesellschaft. Die kulturelle Linke versucht über diese Konfliktfaktoren ein Sprechverbot zu verhängen.

Weil Straches Ausgrenzer jeden Tag die Rassismuskeule schwingen, untersagen sich nun ausgerechnet die kritischen Medien Menschenrechtsfragen im Kontext der Zuwanderung zu thematisieren: die Gleichberechtigung der Frau, Zwangsehen, Ehrenmorde.

Die SPÖ behauptet, Wien spreche eine gemeinsame Sprache, d. h. die Migranten seien gewillt, sich in die Lebensweise der Altwiener zu integrieren. – In Wahrheit sind große Außenbezirken bereits gemischte Migrantenghettos, in Fünfhaus verslumen ganze Straßenzüge, und der illegale Drogenhandel ist fest in der Hand von Jugendlichen, deren Eltern aus den Staaten des zerfallenden Jugoslawiens zugezogen sind.

Daß HC Strache ein gefährlicher Nationalist sein soll, ein Blubo-Faschist gar, basieren auf einer dürren Beweislage. Fragwürdige Sager und Radau-Funktionäre der FPÖ mögen dem ehemaligen Nachrichtenmagazins profil ausreichen, um zum x-ten Mal den drohenden Sieg der germanischen Lichtgestalten zu prophezeien. Der Stärkung der gemeinsamen demokratischen Grundwerte dient das nicht.

Eine rechtsliberale Kraft hat auch in Österreich eine Existenzberechtigung; und als solche wahrgenommen zu werden, hatte die Strache-Partei bisher keine Chance. Zu behaupten, dass nur die eine Seite »Hass und Spaltung« wolle, ist unrichtig; die Linke emotionalisiert das Klima nicht weniger.

Das FPÖ-Arbeitnehmerpaket fordert u. a. die »Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe«. Das habe ich von Sozialdemokraten schon lange nicht mehr gehört. »Schluss mit AMS-Kurs-Schikanen«: da hat er doch Recht, der HC Strache.

Das Rattenfängerische seines Unterfangens wird sofort klar, wenn man sich bewusst macht, dass der Wiener Landtag auf vielen der angesprochenen Gebiete überhaupt keine Handlungskompetenz hat. Gerechte Pensionen, gleiche Rechte für Arbeiter und Angestellte, Absicherung der atypischen Beschäftigungsverhältnisse, Anrechnung der Kindererziehung für die Pension – schön & gut, aber in Wien eine Mogelpackung, mit der Strache das Publikum täuscht.

© Wolfgang Koch 2010

 

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kommentare

  • Und, was sagen Sie zu Rot-Grün?
    Traurig, dass es nicht schwarz-blau-grün wurde?

    +++++++

    nicht wirklich.
    w.k.

  • Liebster Autor.
    Schön, dass Sie sich mal mit der Unbeholfenheit der linken Parteien beschäftigen. SIe erkennen richtigermaßen
    In einem Punkt möchte ich aber wirklich Kritik anmelden; Bei Ihrer kurzen Beschreibung Al Strüches, da ist mir fast die Dose aus der Hand gefallen-

    Ob der Strache nun ein ganz mieser Nationalist ist, das sei wohl nicht eindeutig geklärt. Dazu fällt mir ein:
    Dass der Strache nun aber doch ein ganz übler Nationalist ist, hat m. E. eine geradezu nutelladicke Beweislage- Ich verweise an dieser Stelle aus Zeitgründen ( ich muss gleich ins Bett ) mal auf die “Daham statt Islam.” und “Pummerin statt Muezzin”-Plakate des letzten Wienwahlkampfes sowie die Hitlergruß-Bilder von Strache aus den 90er Jahren.

    Wie kommen Sie also darauf, diese Person sei kein deutschtümelder Hobbynazi?

    ++++++++++

    Was die Jugendsünden betrifft, gestehe ich auch rechten Politikern Wandlungsfähigkeit zu. Und dass der aggressive Antiismalismus in die Mottenkiste fundamentalistischer Christen greift, reicht für das Delikt der Wiederbetätigung im Sinn des NS-Verbotsgesetzes bei weitem nicht aus.
    W.K.

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