vonWolfgang Koch 18.03.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Blogserie, Teil 2 u. 3, gewidmet der »Falter«-Redaktion

2- IILIJA TROJANOW

Der geborene Bulgare mit der Pitralon-Frisur gilt als Weltensammler per excellence: deutsch-afrikanische Kindheit, ausgiebige Indienerfahrungen, Lesereisen ins Unbekannte, Tochter in Zürich, savoir vivre bei geringem Nachtschlaf, Schlagloch-Kolummne der taz. Das sollte eigentlich jedem Kulturminister genügen, um in Trojanow den Kosmopoliten des 21. Jahrhunderts zu erkennen.

Kein Verzweiflungspoet, nein, kein Dichter-Yogi, ein schreibender Jetztmensch, spendabel mit Worten, wundersüchtig nur im Privaten, missionarisch bloß in eigener Sache.

Er, Trojanow, habe sich im 9. Gemeindebezirk nahe der Sigmund-Freud-Wohnung niedergelassen, sagt er, weil ihn in Wien noch niemand gefragt habe, wo er herkomme, wenn er seinen Namen nennt. Das klingt nicht nur in den Ohren von Roma und Landfahrern gut, – wir nehmen das gleich als gültiges Versprechen eines neuen gesellschaftlichen Miteinanders, als eine neue Vision der Stadt ohne nachgeworfene Beleidigungen für Fremde mit oder ohne legalem Aufenthaltsstatus.

Trojanow ist ein musterhaftes Mitglied der diskutierenden Klasse, der Bourgeoisie. Seit 2007 betreibt der breit aufgestellte Schriftsteller, Filmemacher, Kurator, Verleger und Herausgeber am Alsergrund sein Basislager für immer weitere Expeditionen. Trojanow verspürt ausgesprochen viel Lebenslust in seiner neuen Heimat. Als Mann ohne Schicki-Micki-Gebahren stellt er die Bobo-Romanciers von Wolf Haas bis Daniel Glattauer in den Schatten, tritt bei Buchwochen und Literaturwettbewerben als Festredner auf, lädt Schriftstellerkollegen in die Lesebude der Alte Schmiede ein – interviewt aber wird der gefeierte Bestsellerautor nur zu seinen Büchern. Trojanows geistige und sprachliche Beweglichkeit überfordert das träge Geblüt österreichischer Medienmacher.

Umso tiefer ist der Mann in die Datenschutz- und in die Integrationsdebatte des deutschen Großfeuilletons verstrickt. Dort verzweifelt er regelmäßig am »kleingeistigen Deutschland« Thilo Sarrazins und der anderen spießigen Starautoren des islamkritischen Zirkus. Ilija Trojanow rührt lautstark an die Haut nicht nur der deutschsprachigen Welt; das von ihm idealisierte multikulturelle Wien dankt ihm mit bezugloser Fremdartigkeit.

3- ANDREA ROEDIG

Die promovierte Philosophin und ehemalige Redakteurin der linkskonservativen Berliner Wochenzeitung Der Freitag ist der aktuelle weibliche Shootingstar der Wiener Kulturintelligenzia. Ihre diffuse Sehnsucht hängt zwar mit New York zusammen, sie bewundert »den Raster von erleichternder Klarheit« dieser Stadt; sie, die realistische Frau ist aber in der Donaumetropole gelandet, »wo die Dinge als Schneckenhaus oder Strudel angelegt sind«, sie sie sagt.

Andrea Roedig beherrscht sämtliche publizistischen Tonlagen (der Kolumnistin, der Essayistin, der Wissenschafterin), und veröffentlicht am laufenden Band Artikeln in österreichischen und deutschen Blättern.

Die 49jährige Vielschreiberin beteiligt sich, ohne die unter männlichen Kollegen üblichen Humorverkrampfungen an Meinungskämpfen, sie glaubt an die Moralexpansion sowie an die Beweiskraft von Sozialwissenschaften und Demoskopie. Ganz ohne Skandal-Würze arbeitet ihre Geistesgegenwart allerdings nicht.

Im April des Vorjahres etwa warnte Roedig – mitten in der hitzigsten Kirchendebatte der letzten Jahrzehnte – vor der »Schlüpfrigkeit« des Begriffs Missbrauchsopfer: »Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Stimmung umschlägt, und auf eine Debatte über sexuellen Missbrauch folgt eine über den Missbrauch des Missbrauchs fast so sicher wie das Amen in der Kirche«.

Kürzlich hat Roedig an prominenter Stelle Alice Schwarzer für ihre Kampagne gegen den TV-Moderator Kachelmann heftig attakiert. Dass die geschätzte Kollegin in unserer Blogserie über Intelligenzler in Wien unter zehn behandelten Größen des Denkbetriebes die einzige Frau ist, das hängt mit der strukturellen Benachteiligung von Frauen im österreichischen Geistesleben zusammen.

Wer aus seiner Klugheit ein Beruf zu machen versteht, flieht bekanntlich immer noch (wie Sigrid Löffler, Thomas Macho, Peter Weibel) außer Landes. Dass umgekehrt deutsche Akademiker Österreich zur Wahlheimat nehmen, ist, wie an sechs von zehn ausgewählten Köpfen zu ersehen sein wird, gar nicht mehr so selten. Andrea Roedig hat das Eis auf der Alten Donau für die weibliche Hälfte gebrochen.

© Wolfgang Koch 2011

 

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2011/03/18/wiens_spannendste_intellektuelle_2011_23/

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kommentare

  • Was ist ein Bobo-Romancier?

    ***

    Aus Wikipedia:
    Bobo ist ein Neologismus und Oxymoron, da sich die Abkürzung aus den Wörtern bourgeois und bohemian zusammensetzt, welche überwiegend gegenteilige Bedeutungen haben. Der Lebensstil der Bobos führt zusammen, was bisher als unvereinbar galt: Reichtum und Rebellion, beruflicher Erfolg und eine nonkonformistische Haltung.

    Bis in das 18. Jahrhundert hinein war für den Autor von Romanen das Wort Romanist reserviert. Das Wort Romancier kam als begriffliche Alternative im Austausch über anspruchsvolle „Literatur“ auf, ist begriffsgeschichtlich bedingt das bevorzugte Wort für einen Autor, der im Feuilleton durch ihm geltende Besprechungen gegenwärtig wird, der über seine Romane mit der Öffentlichkeit in Austausch tritt, und der dabei den Roman als (bevorzugtes) Medium der Kommunikation benutzt.

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