vonWolfgang Koch 30.05.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ein 60jähriger, der zehn kleine Mokka am Tag säuft, ist ein Fall für den Ernährungsberater, und nicht fürs Feuilleton. Warum sich das nicht bis in die Redaktion der sozialdemokratischen Wiener Tageszeitung DER STANDARD herumspricht, wird uns ewig ein Rätsel bleiben.

Am vorigen Wochenende warte dieses im freien Qualitätsfall befindliche Blatt mit einem Rundgang durch Wiener Kaffeehäusern auf, der an Schmocknatur jedem Vergleich in der publizistischen Landschaft spottet. Für zwei Tage hat sich der Berliner Schriftsteller Thomas Kapielski zur einer »Kaffääfahrt« per Flugzeug nach Wien aufgemacht, um die »richtige Dosis Angeranztheit« in der Donaumetropole aufzuspüren.

Herausgekommen ist dabei ein an Schnoddrigkeit, Uninformiertheit und Geschwätzigkeit kaum zu übertreffender Artikel, für den die BlattmacherInnen aus der Herrengasse zwei ganze Seiten verschenkten. Kapielski entpuppt sich dabei als leidenschaftlicher Wortwitzler, Interieur-Checker und Nasenflötist – und wäre in jeder dieser Eigenschaften besser beim Bier in seiner Berliner Eckkneipe sitzen geblieben.

Kapielskis Testbericht beginnt in dem von Architekt Robert Prihunda erdachten Klassiker gegenüber der »Westbahnhof« genannten Wiener Großbaustelle, und er attestiert dem Café Westend mit seiner unvermeidlichen Wartehallenatmosphäre »Gediegenheit« im Stil eines Grand Cafés.

Was für ein Strohkopf! Gediegen im Sinn von stilvoll, elegant, gutbürgerlich sind in Wien ganz andere Paläste: das Weimar, das Landtmann, das Imperial, das Ministerum, das Sluka, das Dommayer – mitnichten aber dieses lichtdurchflutete große L am Gürtel mit seinen stuckverzierten Wänden und ramponierten Thonetsesseln. Im Westend durfte ich unlängst zwei Hausangestellte dabei beobachten, wie sie ungeachtet der vielen Blicke eine dienstliche oder persönliche Differenz mit handfesten Rempelein im Gastraum austrugen.

Dass das Café Ritter in der Mariahilfer Straße auf Eiche macht, und das Sperl in der Gumpendorfer auf Nußbaum, nun ja, das sind wohl die so ziemlich unnötigsten Informationen, die man über ein Wiener Kaffeehaus erhalten kann. – Kein Wort hingegen verliert Kapielski über die katastrophale Umsetzung der EU-Richtlinie betreffend Nichtraucherschutz in den Wiener Lokalen.

In gleich drei der von ihm besuchten Stätten – nämlich Ritter, Weidinger und Westend –, führen die Betreiber die nichtrauchende Gästemehrheit zynisch mit einer sogenannten Trennwand an der Nase herum, die sich bei jedem servierten Kaffee öffnet und den Rauchschwall vom Raucher- in den Nichtraucherbereich einströmen lässt.

Anstatt brauchbarer Information: Halbwitzigkeit, Arroganz und frech ausgestellte Bildungslücken. Dass »der Korb voll« war, erfahren wir von Kapielski bei seinem Besuch im Café Korb, … und dass sich im Tirolerhof am Albertinaplatz »der temperamentfahle Charme Osteuropas« entfalte . Über solche Formulierkunst lacht man vielleicht in Oberkreuzberg; wir haben echte Wiener Kaffeehäuser in Osteuropa in Erinnerung – das New York kávéház in Budapest, das Cafe Mlynek in Krakau –, für das es in der selbsternannten Metropole Berlin nicht einmal den Ansatz eines Gegenstückes gibt.

Kapielski sieht »gotische Gewölbe«, wo keine sind, denn nirgendwo in Wien waltet mehr toskanische Neorenaissance als im Café Central, das sich in der ehemaligen Schalterhalle einer von Heinrich von Ferstel 1865 erbauten Bank befindet.

Wenigstens ordnet der studierte Berliner die Schrifstellerkollegen Artmann, Bernhard, Jelinek den richtigen Orten zu, nämlich Hummel, Bräunerhof und Korb, aber leider behauptet er auch allen Ernstes, die Sitze des heutigen Café Griensteidl seien früher von Altenberg, Hofmannsthal, Schnitzler und Zweig viel belegt gewesen. Mitnichten! Jeder Reiseführer vermerkt, dass das 1897 demolierte Palais Dietrichstein nichts mit dem Palais Herberstein am selben Platz zu tun hat, ergo der Literatenkreis »Jung-Wien« die Sitze hier garantiert nie »viel belegt« hat.

Unterm Strich erfahren wir in diesem Text erstens, dass im Wiener Kaffeehäusern keine Musik gespielt wird (»atmende Stille«), was so natürlich auch nicht stimmt, denn im Bräunerhof wird regelmäßig samstags gegeigt, im Prückel geklimpert, etc.; und zweitens vermeldet Kapielksi, dass die des Englischen kaum mächtigen Wiener Kellner ein freches Kauderwelch mit den touristischen Gästen sprechen.

Vor dieser niederschmetternden Bilanz lobe ich mir Christoph Wurmdoblers 2010 in einer Neuauflage im Falter Verlag erscheinen Führer »Kaffeehäuser in Wien«, der diese Instiutionen unseres Alltags nicht nur einer sorgfältigen Bestandsaufnahme unterzieht, sondern auch imstande ist, nach modernisierten Formen der Klassiker zu fragen: also Konditoreien, Espresso-Bars, New Kaffeehaus und Coffeeshops.

Warum DER STANDARD zwei Seiten zum Thema in den Wind schreibt, mag der Bürgermeister wissen. Zu befürchten steht, das die Redaktion kaum mehr Sachverstand besitzt, als ihr aus Berlin  importierter Autor. Als besonders »gediegene« Illustration dieser aktuellen »Kaffääfahrt« wählte das Blatt u. a. eine Fotoaufnahme, welche die allerdings bereits 2009 verstorbenen Dichterin Elfriede Gerstl in ihrem Stammcafé zeigt.

© Wolfgang Koch 2011

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2011/05/30/was_ein_dreister_berliner_aus_dem_wiener_kaffeehaus_macht_/

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