vonWolfgang Koch 29.07.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Nach einer Woche breitester Diskussion in Massenmedien und Internetforen über das monströse politische Verbrechen in Oslo frage ich: Warum fordert eigentlich niemand die Todesstrafe für Anders Behring Breivik?

Nirgends, auch in den dümmsten Leserbriefspalten der Boulevardmedien nicht – in denen sonst für jeden Kinderschänder sofort nach dem Galgen gekrächzt wird –, erhebt sich der Ruf nach finaler Vergeltung für die Morde an jugendlichen Sozialdemokraten und Zufallsopfern der Bombe im Regierungsviertel von Oslo.

Das wirkt seltsam steril, abwesend, gefühlsfremd. – Es ist, als verbeuge sich die Masse der Kolumnisten und Kommentatoren höflich vor einem Mann, der für seine kalkulierten Morde an Landsleuten höhere Intentionen und ein Diktat des Gewissens ins Spiel bringt: den Eroberungsgeist der Kreuzritter, die Rettung der Nation, die Menschheitsveredelung der Freimaurer, den Gerechtigkeitswillen der Christenheit.

Das Fehlen der Forderung nach der Todesstrafe wirkt auf mich, als mache der kleine Mann in Europa einen Kotau vor dem Pseudoakademismus einer voluminösen Rechtfertigungsschrift, deren politisches Verständnis von Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft nur als mörderisch bezeichnet werden kann.

Man verstehe mich nicht falsch! Auch ich rufe nicht nach dem Henker für Breivik –: doch ich konstatiere das auffällige Fehlen dieser, bei Postern und Leserbriefschreibern sonst so stark eingefleischten Forderung … als wollte die europäische Zivilisation diesem Mörder nicht auf gleichem Niveau begegnen, als wollten wir ihm das eliminatorische Gottesgericht auf der Ferieninsel nicht mit gleicher Münze heimzahlen, sondern die Schizophrenie seines Wirkens durch ein Schweigen über die Tiefe seiner Schuld beschwören.

Die europaweite öffentliche Diskussion, soweit sie die Strafe für das Massaker an den 76 Menschen betrifft, beschränkt sich auf die gesetzlich mögliche Höchststrafe in Norwegen (21 Jahre) und auf die allfälligen Chancen der Staatsanwaltschaft, Breivik entweder a] mehrfach anzuklagen oder b] den Tatbestand eines »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« juristisch ins Spiel zu bringen.

Diese Überlegungen wirken vernünftig, und sie sind es auch. Aber welches Schulmassaker in den letzten Jahren wurde nicht umgehend von einem emotionalen Wutrausch in den Medien beantwortet? Welche politisch motivierte Explosion einer Autobombe rief nicht wenigstens einen Racheschwur hervor?

Der sonst so verlässliche Ruf nach der Todesstrafe bei einem Kapitalverbrechen wirkt im Fall Breivik, als würden wir kollektiv anerkennen wollen, dass hier einer nicht blindwütig gehandelt hat, sondern logisch-rational, und dass diesen, seinen Beweggründen zumindest ein Körnchen Wahrheit innewohne, wenn auch die Methoden ganz und gar zu verwerfen seien.

Aber verbinden sich im Fall Breivik wirklich metaphysische und moralische Bedeutung? Nein. Das Bedürfnis nach einer logischen Herleitungen seines Handlungsmotivs entspringt nur der allgemeinen moralischen Trägheit der Zuschauer.

Breiviks Menschenjagd auf Jugendliche war keine Sekunde identisch mit dem, was er selbst glaubt; seine Rechtfertigungen sind intellektuelle Scheinerklärungen. Und wir, die Zuschauer, stellen den logischen oder nichtlogischen Charakter seines Handelns nicht aufgrund unserer Kenntnis seiner Tat, sondern aufgrund unserer eigenen Taten fest.

Was sich im fehlenden Ruf nach der Todesstrafe artikuliert, ist eine bemerkenswertes Selbsttäuschung unserer Zeit: nämlich dass politischer Terrorismus immer eine Exzentrik des Altruismus sei, eine Perversion der Menschenliebe; der an sich selbst irre gewordener Wunsch zur Gesellschafts- oder Weltverbesserung; das abwegige, ja bizarre Wirken einer im Grund doch gutmütigen Absicht.

© Wolfgang Koch 2011

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2011/07/29/breivik-kommentare_der_fehlende_ruf_nach_der_todesstrafe_1/

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kommentare

  • @Michaela Passlick
    Dieser “zivilisatorische Akt” würde aber mutmaßlich fehlen wenn der Terrorist eine andere Motivation gehabt hätte.

  • Der “fehlende” Ruf nach der Todesstrafe ist ein zivilisatorischer Akt. Das ist keine Frage von “Gefühlsfremde” (gibt es etwas gefühlsfremderes als staatlich sanktinierten Mord?) oder Nationalismus. Eher eine richtige Reaktion auf die bewundernswerte Haltung der Menschen in Norwegen.

  • kann es evtl sein das linke eben keine totesstrafe wolln, und der hier eben aus der rechten ecke ist

    und von kollektiver anerkennung kann überhaupt nicht die rede sein

    ich denke nicht das da die mehrheit ein körnchen wahrheit in diesem massaker von jugendlichen findet, auch kolleltiv nicht, was immer jemand in diesem zusammenhang damit meint

    ich denke das oben stehender text äußerst polemisch ist

  • Stimmt, der Ruf nach der Todesstrafe fehlt in diesem Fall auffällig. Dafür gibt es in gewissen Foren etliche Stimmen, die ein “gewisses Verständnis” für die Beweggründe des Attentäters äußern, und nur die “Methode” kritisieren.

    Was mich an obigem Kommentar aber stört, ist die Schlussfolgerung des “wir”. Ich erkenne in diesem Fehlen der Forderung nach der Todesstrafe einfach nur, dass hier von gewissen Menschen mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn wäre der Attentäter, wie ursprunglich angenommen, aus dem islamistischen Umfeld gekommen, dann wäre der Ruf nach der Todesstrafe sicherlich verdammt laut, verbunden mit der Forderung nach Ausweisung aller Ausländer. Kaum anders wärs gewesen, hätte es sich um einen irgendwie links-orientierten Attentäter gehandelt.

    Was ich in diesem Phänomen erkenne, ist, dass diese obstrus-nationalistische Haltung verbreiteter und stärker in der Gesellschaft verankert ist, als ich es je für möglich gehalten hätte. Und das macht mir wahrhaftig Angst.

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