vonWolfgang Koch 30.07.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

»If guns are outlawed, only outlaws will have guns«, raunt man in den Wohnzimmern der USA. Diese Redenart inspirierte die Autorin Eva Ziessler auf der rechtsgerichteten Website für ein liberales Waffenrecht in Deutschland zu folgendem, ihrerseits inspirierenden Kommentar:

»Die Entwaffnung friedlicher Bürger durch den Staat ist es nämlich, die uns in umfassender Weise wehrlos gegenüber solchen Tätern macht und es ihnen erlaubt, wie in Norwegen, ungestört und ungehindert eineinhalb Stunden lang ein Gemetzel unter 700 vollkommen verteidigungsunfähigen Menschen anzurichten«.

Eva Ziessler plädiert in ihrer Wortmeldung dringend für die gesetzliche Aufhebung des Waffenverbots für erwachsene Bürger. Nur so könne die Zahl der Toten bei Taten, wie der von Anders  Behring Breivik in Utøya gesetzen, in relativ engen Grenzen gehalten werden.

Die gute, alte »Abschreckung« steht hier zur Debatte. Da ist etwas dran! Nur der Punkt ist nicht der Mangel an Schusswaffen, wie ein Forumsteilnehmer gegen Ziessler richtig einwandte, »sondern die absolute Unkenntnis in der Bevölkerung über elementare waffenlose Selbstverteidigungstechniken, sowie nichtvorhandene Stressfestigkeit bei der Anwendung solcher Techniken in Gefahrensituationen«.

Muskelproletarier waren unter den Opfern im Ferienlager von Utøya offenbar keine. Hätten zehn entschlossene Jungs zu den wohl sicher vorhandenen Steinen, Campingmessern und Grillgabel gegriffen, oder hätte eine noch größere Gruppe den Attentäter mutig und opferbereit umringt, um ihm die Waffe wegzunehmen, statt wegzulaufen und sich in den Rücken schießen zu lassen, es hätte keinen Massenmord gegeben.

Aber es kam anders. Dem Himmel ist bekanntlich so wenig zu trauen wie den Nerven. Auf der Insel im Tyrifjord wiederholte sich das Geschehen von New York vor zehn Jahren, wo die Täter nur Teppichmesser hatten und die Gruppe der Flugpassagiere trotzdem nicht in der Lage war, sich gemeinsam zu verteidigen.

Ich habe als staatlich geprüfter Wehrdienstverweigerer natürlich das allergrößte Verständnis für Fluchtreflex und Feigheit, für die unerschütterlichste aller Wahrheiten: dass einem das eigenen Hemd stets am nächsten ist. Und wir können ja ohnehin nicht mehr ändern, was am traurigen 22. Juli in Norwegen geschehen ist.

Die Leichen sind erkaltet, und der Mörder schlägt sich öffentlich via Anwalt an die Brust, er möchte in Wikipedia lesen, er möchte in Uniform vor das »Kriegsgericht« des Mulikulturalismus hintreten und mit verbalen »Begründungen« seiner Vendetta auf die Mordopfer noch einmal hintreten.

Wofür ich allerdings fast genauso wenig Verständnis habe, das sind Überlebende, die sich jetzt selbstgefällig in Szene setzen. Der  Ökonom Ali Esbati zum Beispiel, ehemaliger Vorsitzender der schwedischen Ung Vänster (Junge Linke), gab der linksliberalen Tageszeitung Der Standard eine Woche nach dem Geschehen ein ausführliches Interview.

Der 34jährige ist, wie das Foto zeigt, von kräftiger Statur und saß gerade beim Essen in der Cafeteria der Ferieninsel, als er vor dem Todesschützen gewarnt wurde – also zumindest in Reichweite von Messer und Gabel. Ali Esbati rief die Polizei an und verstecke sich 90 Minuten lang erfolgreich, u. a. im seichten Wasser hinter Felsen, bis die Einsatzkräfte tatsächlich vom Festland her eintrafen und Breivik gefangen nahmen.

Einmal, berichtet dieser Überlebende des Massakers, soll der Killer nur 15 Meter von ihm entfernt gewesen sein. Schon gut, sage ich, flüchten ist absolut menschlich; das Vor-Angst-Schlottern sitzt uns in den Genen. Aber nur sechs Tage später möchte Ali Esbati mit uns dringend über die »Prioritäten der Sicherheitsdienste« in Norwegen diskutieren und die Welt darüber belehren, dass die Rahmenbedingung des Verbrechens »die Entschärfung des politischen Konflikts entlang der sozioökonomischen Achse« war, spricht: einer nach rechts driftenden norwegischen Sozialdemokratie.

Zitat: »Wenn ich als Wähler in Bezug auf Wirtschaftspolitik, Reform des Wohlfahrtsstaates oder Terrorismusbekämpfung keine Unterschiede mehr zwischen den Sozialdemokraten und den Konservativen erkennen kann, führt das zu Desinteresse oder dazu, dass andere Themen politisch entscheidend werden«.

Kaum der realen Kopfschußgefahr entronnen, geht bei dem Mann das Politgeschwätz mit unverminderter Heftigkeit weiter. Statt aus Pietät mit den getöteten GenossInnen zu schweigen und das beschämende eigene Widerstandsversagen zu reflektieren: die dumme alte Phrasendrescherei mit neuer Energie. Unappetitlich, nenne ich das, moralisch unwürdig, und eine Niederlage in der Niederlage.

© Wolfgang Koch 2011

 http://evaziessler.wordpress.com/

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2011/07/30/breivik-kommentare_also_muskelproletarier_waren_das_keine_2/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Dass die libertäre Szene von staatstreuen Hackenknallern als rechtsstehend diffamiert wird, ist ja nichts neues. Man scheut hier offensichtlich die Auseinandersetzung.

    Zu schreiben die Opfer hätten sich auch ohne Schußwaffen zur Wehr setzen können ist,eine grobe Verfehlung – gelinde gesagt. Breivik mordete mit einem halbautomatischem Gewehr vom Typ Ruger Mini-14, mit dem sich sehr schnelle Schußfolgen abgeben lassen. Hinzu kommt noch eine halbautomatische Pistole, die können wir mal vernachlässigen. Das Gewehr hat ein 20 Schuß Magazin. Je nach Entfernung der Opfer beim ersten Schuß, müßten sich mindestens 10 im ungünstigsten Fall 21 (Magazinwechsel) Todesmutige, in sekundenschnelle wortlos verständigen, ohne Zögern, ohne ein Moment der Angst, den eigenen Tod in Kauf nehmend, auf Breivik zuzustürmen um ihn zu überwältigen.

    Breivik hätte in einem Ferienlager von unbewaffneten Reservisten einer militärischen Eliteeinheit denselben Schaden anrichteten können. Und noch was: Das Blog liberales-waffenrecht.de ist ein Aggregat, sammelt also Beiträge zum Waffenrecht und publiziert sie ungefragt auf dieser Seite. Wenn Sie also auf die “politische Zuschreibung der Initiative” eingehen bedenken Sie, dass nicht alle dort publizierten Autoren, die Meinungen untereinander teilen.

  • @ Wolfgang Koch
    Den Blog von Eva Ziessler “rechtsgerichtet” zu nennen, ist mehr als grotesk – es ist schlicht dämlich. Ich schließe mich da ganz den Vor-Schreibern @ Tim und @ Robert Sasel an, die den Unterschied erklären. Frau Ziesslers Blog ist aber auch nicht links, sondern eindeutig durch und durch libertär. Eine einseitige “Webseite für liberales Waffenrecht” ist der Blog aber gar nicht.
    Was mir aber am meisten aufstößt, ist die unfaßbare Gefühllosigkeit und Rohheit, mit der Herr Koch über die brutal ermordeten Jugendlichen schreibt, nach dem Motto “selber schuld”. Er bemängelt, dass die keine “Muskelproletarier” waren, da sie sich nicht mit “Steinen, Campingmessern und Grillgabeln” gegen den um sich schießenden Massenmörder gewehrt hätten, wirft gar einem dem Mörder entkommenen, der “von kräftiger Statur” zu sein schien, “Fluchtreflex und Feigheit” vor, weil er weggelaufen sei, statt “Widerstand zu wagen”. Diesem Mann attestiert Herr Koch dann auch noch “Mangel an Pietät”, nennt ihn “moralisch unwürdig”!
    Eine Frage an Herrn Koch: Nennen Sie Ihr Pamphlet pietätvoll? Ist es etwa moralisch würdig, angesichts dieses entsetzlichen Massakers zu formulieren “Die Leichen sind erkaltet” und “waffenlose Selbstverteidigungstechniken” zu empfehlen? Sie sollten sich schämen, Herr Koch.

    ++++++++++

    Ich übe mich nicht in der Kunst des Aneinander-vorbei-Redens.
    w.k.

  • Lieber Herr Koch,

    ich möchte mich meinem Vorredner anschließen. Libertäre sind weder rechts noch links, sondern eben dies: libertär. Bedeutende Liberale und Libertäre haben sich in wichtigen Essays dazu bekannt, eben eines nicht zu sein und zwar: konservativ. (Etwa Hayek und Buchanan “why im not a conservative) Viele Libertäre – die Frau Ziesslers Blog lesen – würden sich sogar eher zur Linken zählen.

    Bitte nehmen Sie sich doch die Zeit und ändern das Adjektiv.
    mfG Robert Sasel

  • Hallo,
    wenn Du schon behauptest, dass die Webseite: http://www.liberales-waffenrecht.de “Rechts” sei, dann sei doch bitte so gut und verlinke Diese in Deinem Artikel, um Deiner Leserschaft auch die Beweise liefern zu können.

    Du brauchst keinerlei Bedenken zu haben, dass die Leser dieses Blogs auch nur im entferntesten an Waffen zur Selbstverteidigung interessiert sein könnten. Alle sind auf Deiner Seite.

    +++++++

    Werde auf die Frage der politischen Zuschreibung der Initiative in den nächsten Tagen eingehen. Bitte, mich mit Umarmungsversuchen jeder Art zu verschonen.
    w. k.

  • Absurd und empörend ist es, den libertären Blog von Eva Ziessler offenbar vollkommen unbedacht und unverstanden als “rechtsgerichtet” zu bezeichnen.
    Tatsächlich gibt es wohl im gesamten politischen Spektrum keinen größeren Unterschied als der zwischen der libertäre Idee auf der einen Seite, dass jeder Mensch politisch und wirtschaftlich absolut frei sein sollte, solange er eben jene Freiheit anderer Menschen nicht verletzt und der Neonazis und Faschisten auf der anderen Seite, für die das Individuum im totalitären Führerstaat ein Nichts ist, das sich politischer Ideologie komplett unterzuordnen hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert