vonWolfgang Koch 12.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Kein Attentat ohne unterhaltsame Verschwörungstheorien. Nun sollte man das Ereignis angesichts der Opfer wohl nicht zum Gegenstand von Amüsement zu machen. – Aber, Gegenfrage: Was ist denn die Verbreitung eines Amateursfilms, der zeigt, wie Schwerbewaffnete der Delta Forces in einem niedlichen roten Schlauchboot sitzen, anderes als Infotainment, als Unterhaltung unter dem Vorwand von Aufklärung?

Man schüttelt den Kopf über dieses regietheaterreife Bild; verkneift sich ein Lachen, oder auch nicht. Nur: das ganze Gerede über die mangelnde Professionalität der norwegischen Polizei in Utøya (»Wäre die Polizei schneller am Tatort eingetroffen, hätte es vielleicht weniger Ermordete gegeben …«), dieser pseudokritische Diskurs des Tagesjournalismus ignoriert geflissentlich zwei Tatsachen: nämlich dass es 1. Breivik war, der geschossen hat (er ist der Schuldige, der für das Massaker zur Rechenschaft zu ziehen ist), und dass 2. eine zügigere Überfahrt kaum möglich war.

Ablegestelle und Boote fallen nicht ins Gewicht. Das einzige, was dem Sondereinsatzkommando geholfen hätte, wäre ein mannschaftstransportfähiger Hubschrauber gewesen. Dass die norwegische Polizei über keinen solchen verfügt, liegt in der Verantwortung der Regierungsspolitiker, und eben nicht in der der langsamen Sicherheitskräfte.

***

Folgende Verschwörungstheorie stammt aus dem Umfeld der SPD, denen Nachwuchspolitiker Marcel Bartels, Betreiber von Net News Global, unter der Piratenlizenz »Mein Parteibuch Zwei« auch noch ein Forum betreibt, das nach eigenen Angaben »Feeds von unabhängigen Nachrichtenquellen wie Blogs aggregiert, sie cached und als Volltext weiterverteilt«. Soweit der Disclaimer. Erklärtes Ziel des Webangebots sei es »eine Zensur schwerer als je zuvor zu machen».

Freies Wort? – Aber, gewiss doch, gute Sache! Es musste doch unbedingt einmal gesagt werden, dass Norwegen schon länger ein terrorverdächtiges Ziel war. Hat es da nicht einmal einen Nahost-Friedensprozess gegeben, und Abkommen mit den Titel »Oslo I« und »Oslo II«?

Die Website http://whatreallyhappened.org machte am 25. Juli darauf aufmerksam, dass die ermordeten Jugendlichen auf der Ferieninsel gerade für den Boykott von Israel demonstriert hatten. Daraus folgerte ein gewisser »Jörg« im Labor der deutschen  Parteibuchbesitzer sofort mit kriminalistischem Scharfsinn: »Ein israelischer Vergeltungsschlag ist also nicht auszuschließen«.

Die Diskussionsteilnehmer witzelten dann eine Weile über das »Broderlein-Syndrom«, warfen einander Beschimpfungen an den Kopf, verschwanden wieder in den Weiten des Internets, bis schließlich am 26. Juli um 8:11 Uhr ein Genosse mit der schier unglaublichen Erkenntnis herausrückte:

»Keiner traut sich die Wahrheit zu sagen – wir haben hier einen Fall vom ZIONISTISCHEN Terror! Der Täter war bekennender Zionist und hat den Jugendcamp angegriffen, weil da einen Tag vorher eine Kundgebung zum Boykott von Israel wegen Apartheid statt fand. Der Angriff aufs Regierungsviertel war deswegen, weil Norwegen vor hat, Palästina anzuerkennen und letzte Woche sogar den Herrn Abbas empfangen hatte«.

Zwei Stunden später wusste es dieser Konspirologe noch genauer:

»Er (Breivik) hat also das Camp schlicht und einfach deshalb angegriffen, weil das die größte Konzentration von Multi-Kulti-Ideologen war, die es zu dem Zeitpunkt gab, wo er mit dem Bombenbau fertig war.

… Die ganze rechte Ideologie der angeblichen muslimischen Gefahr, die wird massiv von Israel propagiert – und diese Ideologie der Angstmache vor dem Islam, das Weltbild, das ähnlich dem vieler zionistischer Landräuber im Westjordanland ist, das ist genau die Motivationsgrundlage des Täters.

… Die ganze Islam-Kritiker-Bewegung, und zwar sowohl links á la Antideutsche als auch rechts á la Pax Europa, Politically Incorrect, Counter-Jihad, PRO und »Freiheit«, die die Ideologie verbreiten, die den Täter zum Anschlag motiviert hat, da steckt jede Menge Astro-Turfing vom Staat Israel hinter.

… Die zionistischen Spin-Doktoren, die diese pro-israelische Rechte in Europa über Jahre hinweg aufgebaut haben, werden den Anschlag nicht gut finden, weil der Anschlag sie absehbar, nicht wie der Täter glaubt, stärken, sondern massiv schwächen wird. Und so kann man es bei PI auch nachlesen: >Fall Anders B. eine konservative Katastrophe<. Die Spin-Doktoren des anti-muslimischen Hasses wissen sehr genau, was sie getan haben«.

Zwei weitere Stunden später der nächste Paranoiker:

»Soviel lässt sich sagen, abgerechnet wurde in Oslo ganz offensichtlich, nur welche Rechnungen wurden denn recht eigentlich beglichen? Und, ist die Kasse jetzt endlich geschlossen oder war dies nur der Gründungsakt der Gedankenpolizei, das verzweifelt-hilflose konservative Back-to-the-future hausbackener Dumpfbacken, um fortan Rechnungen an jeden zu stellen, der sich traut, eine eigene Meinung abseits der Parteilinie zu pflegen?

Ich kann es drehen und wenden wie ich will, die Begriffe Zionismus oder USrael haben nach meiner Meinung sehr viel weniger Erklärungskraft als EUSrael, weil Europa (v. a. EU) nunmal knietief in diesem Morast mit drin steckt, sicherlich auch wegen WK II, aber noch viel mehr wegen dieser kolonial-elitären Denke und der daraus resultierenden Nachfrage nach genetischen Allianzen«.

Der Terrorist Anders Behring Breivik: ein von israelischen Spin-Doktoren gesteuerter Zionist – wenn das nun mal kein Lacherfolg ist! Und so grüßen uns diese tollen Durchblicker einer konspirologischen deutschen Sozialdemokratie auch nicht mehr mit einem »Hoch die Internationale!«, sondern mit einem tiefsinnigen: »Die Amis auf Kurs!«

© Wolfgang Koch 2011

http://mirror.anl.to/mein-parteibuch/blog/2011/07/24/konservativer-terrorismus/

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