vonWolfgang Koch 18.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Antifaschismus ist die größte gemeinsame Schnittmenge der westlichen Demokraten, oder sollte es zumindest sein; seine Praxis reflexartig, reaktiv und meist die Angelegenheit einer verschwindend kleinen Minderheit.

Das kann sich zwar schlagartig ändern, wenn Asylantenheime brennen, Romafamilien ausgewiesen werden oder Bomben hochgehen. Dann wogen Lichtermeere auf, Blumen häufen sich an Gedenkorten für die Opfer. Im grauen Alltag der »Ausländerflut!«-Brüller aber zieht höchstens mal eine eine kleine Schar Gesichtsmasken über den Kopf, um sich mit Schmierereien und Rauchbomben der Agitation von Neonazis oder den Aufmärschen nationaler Burschenschaften entgegen zu stellen.

Zu dieser zirkushaften Entschlossenheit wackerer Antifa-Initiativen braucht es nicht viel. Im Grunde nur eine Gestalt, die sich als »Faschist« zu erkennen gibt – fertig ist die Kontrastideologie. Man verneint den eigenen Wesenszug und bejaht das Gegenteil davon. Das hat den eminenten Vorteil, das Ideal rein zu halten; und man kommt nicht mehr in Versuchung, die eigene Gut- oder Schlechtigkeit zu rechtfertigen.

Entsprechend der Prämisse des Antifaschismus, dass man sich durch die Abwehr des Gegenteils definiert, muss nach den norwegischen Attentaten auf den einschlägigen Websites nur die Frage geklärt werden: »Ist Anders Behring Breivik nun ein Faschist, oder nicht?« – schon ist die »Nie wieder!«-Welt wieder in Ordnung …

Nach Breiviks eigenen Aussagen ist er keiner; ein erklärter Held seines Rechtsextremisten ist Max Manus, der Führer der norwegischen Resistance gegen die NS-Herrschaft. Der Nationalsozialismus gilt Breivik nach Kulturmarxismus und Islam als dritte historische Ideologie des Bösen.

Slavoj Žizžek hat im Guardian vom 8. August 2011 auf eine »alte faschistische Gewohnheit« in der Bekennerschrift aufmerksam gemacht, nämlich die, dem Feind sich gegenseitig ausschließende Eigenschaften (z. B. »bolschewistisch-plutokratisch-jüdische Weltverschwörung«) zuzuschreiben. 

Tatsächlich mixt auch Breivik seinen Gift-Cocktail des »islamisch-multikulturellen Marxismus« aus den Ingredenzien dreier Küchen: Religion, Ethik und Ideologie. Doch wirklich neu ist das nicht! Kaum ein politisches Gedankengebäude kommt ohne das Amalgamieren von verschiedenen Weltbetrachtungen aus:

Der Christlichsoziale kombiniert eine religiöse Offenbarung mit Sozialreform, der Liberale mischt Wirtschaftsfreiheit mit Individualrechten, die Anarchosyndikalistin vereint das Ideal der Herrschaftslosigkeit mit Gewerkschaftskampf … – in allen Lagern heben bunte »Kulissen der Wertung« die Selbsteinschätzung.

Ideologien sind Diskurstypen mit einem unbedingten Willen zu Verallgemeinerung. Sie beruhen immer auf einer Wechselwirkung zwischen Kultur und Politik. und diese anzunehmen heißt nun mal ein Erbe an ungelösten Widersprüchen zu übernehmen.

Für die deutsche Netz-Plattform Antifaschismus 2.0, die vor allem esoterische Nazis im Auge behält, transportiert der Frackträger Breivik ohne Abstrich »die Essenz der faschistischen Ideologie«: Rassismus, Sexismus und Nationalismus, genauer: ein »strukturelled Gemisch aus Verschwörungstheorien, Gewaltphantasien und Geschichtsrevisionismen«.

Zur symbolischen Gegenwehr auf der Straße mögen diese drei Fascis ja ausreichen; einer wissenschaftlichen Analyse genügen sie nicht! Dass die servierte Suppe auch der Initiative selber zu dünn ist, kommt in einem Satz von Sylke Witzenberger zum Ausdruck:

»Anders Breivik ist der Proto- und Archetyp des ganz normalen bürgerlichen Faschisten, der uns in jedem Land, zu jeder Zeit wieder begegnen kann und an dessen Bedingungen und Wurzeln ein jeder von uns beständig mitarbeitet und beteiligt ist«.

Was nun: der ganz normale bürgerliche Faschismus in uns? Oder doch das gerade inständig beschwörene »strukturelle Gemisch rassistischen, sexistischen und neofaschistischen Theorien«?  

Verwirrung, wo man hinschaut.

© Wolfgang Koch 2011

http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2011/aug/08/anders-behring-breivik-pim-fortuyn

http://www.antifaschismus2.de/

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https://blogs.taz.de/wienblog/2011/08/18/breivik-kommentare_ist_der_attentaeter_von_oslo_und_utya_ein_faschist_22/

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