vonWolfgang Koch 04.11.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Eigentlich hätte man sich diese Schätze aus dem Gesamtkunstwerk des Aktionisten und Theaterreformers Hermann Nitsch ja in der international angesehenen Grafiksammlung der Wiener Albertina erwartet, doch Albertina-Direktor Klaus Albert Schröder hat vermutlich wieder einmal genug damit zu tun, Regenschirme über seine Exponate zu spannen, und so schließt eben das Museum Leopold den neuesten Kunstvogel in der Donaumetropole ab: Hinter seiner Muschelkalkfassade im MuseumsQuartier zeigt es über ein ganzes Stockwerk Architekturzeichnungen, Grafikmappen, Partituren und Aktionsrelikte des 1938 geborenen österreichischen Künstlers.

Kurator Carl Aigner hält das zeichnerische Werk überhaupt für die »bildnerische Grundlage des Orgien Mysterien Theaters«, weil Hermann Nitsch darin seine ersten Aktionspläne Ende der 1950er-Jahre festgehalten hat. Dem muss hinzugefügt werden, dass Hermann Nitsch als 19jähriger die Ausbildung der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien absolviert hat, und dass er auch auch als Grafiker bereits im Berufsleben stand, bevor er sich für das freie Künstlertum entschied.

Die Ausstellung im Wiener MuseumsQuatier zeigt ca. 300 Objekte. Besonders  bemerkenswert sind Farbskalen in Ölpastellkreide, Nitschs Studienblätter zu Kreuzigungsszenen aus dem Jahr 1956, auf Landkartenstoff (Kretonne) gedruckte Faltpläne – aber auch Schüttbilder und Fotographien sind in der opulenten Schau vertreten.  Die Hängung der Objekte und Bilder fällt allerdings weit hinter die Standards in den Nitsch-Museen von Mistelbach und Neapel zurück.

Das bedeutende Fresko »Brot und Wein« (1960) aus der  Wohnung des Künstlers zum Beispiel hat man unachtsam neben einem Durchgang platziert; ein Exemplar des Kunstbuches »Levitikus«, einem in Israel hergestellten Monsterdruck aus dem Vorjahr, liegt völlig ungeschützt auf einem Podestchen – das stellt höchste, ja unerfüllbare Anforderungen an das Museumspersonal, und es entspricht leider einem in Wiener Museumshäuser eingerissenen Trend, den Besuchern einen allzu große Vertrauensvorschuss zu gewähren [In einem Ecksaal des Oberen Belvedere schlürfen die Touristen neuerdings um ein Oval aus wertvollen Originalen von Messerschmidt-Köpfen].

Höchst erfreulich ist die Beschäftigung der Ausstellung »Strukturen« im Museum Leopold mit Partiturblättern, die auf Millimeterpapier die »skripturalen Handlungsablaufe« in den Aktionsspielen minutiös festlegen. Nitsch hat in Unkenntnis der Notenschrift ja eigene Aufzeichnungsverfahren für das musikalische und aktionistische Geschehen seiner Feste entwickelt.

Auch ist es der Öffentlichkeit bisher weitgehend verborgen geblieben, dass sich viele Spielideen dieses Aktionstheaters aus dem Plänen einer subterranen Architektur heraus entwickelt haben. Ganze Raumgruppen lehnen sich auf den maßstablosen Zeichnungen an Organe oder Ganzkörperschnitte der Medizin an, zeigen sich nieren- oder leberformig, tropfen oder schlängeln sich durch das Erdreich. Es gibt erdachte Räume für Panzerschlachten und solche mit Zyklamenfelder, durchzogen von Leitungen aus Kupfer, Gold oder Zinn mit edelsteinbesetzten Bluthähnen am Ende.

Man denkt bei solchen Fantasien unwillkürlich an Hundertwasser – und tatsächlich verbindet die Architekturauffassungen der beiden österreichischen Künstler ein dezidiert antimodernistischer Zug. Nitsch erklärte 1969, er habe seine Architekturpläne unter die Erde verlegt, weil »zeitgenössischen Dreckbauten« die Welt verschandeln; seit 1945 würden Nutzbauten von »abstoßender Hässlichkeit die Erde bedecken«.

So steht es auch 2011 wieder im Katalog. Da nützen all die  interpretatorischen Bemühungen nichts: die Hinweis auf den Gestus des Im-Untergrund-Wühlens, auf den Zusammenhang von Unterbewusstem und Unterirdischem, auf das »geborgene vegetative Leben im lichtlosen Mutterleib«, auf die Flaktürme und Bunkeranlagen des Zweiten Weltkriegs, auf die »dialogischen Linien zwischen Aktionismus und Expressionismus«, auf Antonin Artaud und auf das Hinabsteigen in seinsontologische Tiefen, auf das Keltern des Weins im Weinkeller, auf den Einfluss der Generationskollegen Pichler, Hollein, Abraham – Nein, Hermann Nitschs monströse Architekturskizzen sind auch der unmissverständliche Ausdruck eines Ressentiments gegenüber dem zeitgemäßen Bauen, die Manifestation seiner Wut auf Rasterplanung und Hochhäuser, auf geförderten Wohnbau und Windräder.

Architektur ist für den Orgienmysteriker und Prinzendorfer Schlossherrn nicht etwa die heteroskopische Herausforderung für eine extrem heterogen gewordenen Gesellschaft, die mit höchstem sozialen Verantwortungsgefühl beantwortet werden muss. Architektur ist für Nitsch Archaik und Kultelement eines Kunstpriestertums, dem es allein um das Erzeugen kosmologischer Gefühle geht.

Erst unter der Erde, das wollen Nitschs imaginäre Städte sagen, werden wir uns der Empfindung, in den Sternen zu sein, bewusst. Dass freilich auch diese Position wieder als Schritt der Moderne, eben einer Zweiten Moderne, verstanden werden kann, das bewiesen ein paar Dumpfbacken mit einer Portion Gratismut gleich bei der Pressekonferenz mit dem Künstler. Die angereisten Reaktionäre beklagten, wie stets in den letzten 50 Jahren, die »Nekrophilie« und »Blasphemie« des Orgien Mysterien Theaters, und sie rückten so Nitschs unterweltliche Architekturkritik kostenlos wieder zurück in ein modernistisches Licht.

© Wolfgang Koch 2011

http://www.leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/aktuell/19

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