vonWolfgang Koch 20.12.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wienblog: Warum, Herr Koch, beschimpfen Sie die Wiener Gratiszeitungen als »Drecksblätter«?

Koch: Also, bitte das tue ich gar nicht! Ich nenne Österreich und Heute  »Verdrecksblätter«, weil diese Medien in Partnerschaft mit den Wiener Linien die öffentlichen Verkehrsmittel wochentags in Müllhalden verwandeln. Der halbalphabetisierte Wiener bezeigt damit die tägliche Portion Verachtung gegenüber seinesgleichen: Die Menschen lassen das bedruckte Papier einfach in der Bahn liegen, trampeln drauf herum, bis dann aus Zuwanderern zusammengestellte Putzkolonnen ihr Ausgeschiedenes wieder wegmachen.

Wienblog: Spricht da nicht Überheblichkeit gegenüber den bildungsferneren Schichten aus Ihnen? Schließlich kann nicht jeder auf dem Weg zur Arbeit die F.A.Z. studieren.

Koch: Also nach meiner Beobachtung verteilen sich die Lese-Surrogat-Junkies ziemlich gleichmäßig über alle sozialen Schichten im Wiener Raum. Früher, als ich noch Printjournalist war, gab es ja mit der Tageszeitung täglichAlles ein ganz ähnlich niveauloses Medienexperiment. Damals habe ich argumentiert, da würden doch wenigstens die der Buchstabenwelt entfremdeten Menschen an die Lesekultur herabgeführt. Drecksblätter waren gut, jedes Buntblatt eine Alphabetisierungskampagne für die D-Schicht. Als Printjournalist war ich grundsätzlich immer für Lektüre, egal was, Hauptsache die Leute lesen erst mal. Ich dachte, zum Qualitätsleser würde man in Stufenschritten heranwachsen. Heute bin ich da desillusioniert. Jeder einzelne Buchstabe in den Gratisblättern ist Verschwendung von materiellen Ressourcen, jede Meldung eine Verwahrlosung des Nachrichtenhandels, jeder Artikel nagt wie eine Ratte am wertvollen Gut der Öffentlichkeit.

Wienblog: Was hat sich denn in den letzten zehn Jahren geändert? Stimmungsmache am Boulevard ist doch nichts Neues.

Koch: Die Ohnmacht der Leser und der Schreiber wurde beendet. Wir sind mit der Blogsphäre in ein neues Zeitalter der digitalen Informationsverarbeitung eingetreten. Das hat sich geändert. Und damit ist die Krisenseligkeit im Meinungsalltag endlich vorbei. Holzmedien können nichts mehr enthüllen; ihre Heldenrolle ist zu Ende, sie können unser Weltwissen jetzt nur mehr vertiefen, und für diesem universalistischen Zweck sollten sie auch möglichst lange weiterbestehen. Hingegen rechne ich alles, was Öffentlichkeit nur simuliert, zur Unterhaltungswelt des Infotainment: Gratis- und Massenblätter, Fernsehen, kommerzielle Radios.

Wienblog: Da formulieren Sie die hohen Ansprüche eines Intelligenzpublikums. Aber Österreichs Qualitätsblätter können ohne massive staatliche Stützung gar nicht bestehen.

Koch: Ich weiß nicht, ob wir überhaupt Qualitätsblätter haben. Ich sehe keinen realitätsgerechten, keinen konsistenten und herrschfähigen Journalismus auf nationaler Ebene. Stattdessen bemerke ich immer öfter, wie sich die Kleinintelligenz in der Wiener Zeitung oder in der Die Presse breit macht. In der staatseigenen Wiener Zeitung wurde kürzlich ein Bericht, und zwar ausgerechnet einer über den österreichischen Presserat, mit der Headline »Selbstmord zieht Suizid nach sich« aufgemacht. Das Blatt der geballten Regierungsweisheit ging zur offenen Verarschung der Leserschaft über. Und die Redaktion der Tageszeitung Die Presse gedachte am 23. November 2011 zwar dankenswerter Weise der absolut nützlichen Erfindung des »Grubenhundes« vor hundert Jahren. Der »Grubenhund« überführt Zeitungen bekanntlich durch lancierte Falschmeldungen ihrer mangelnden Wachsamkeit. Aber der Autor der Glosse, Martin Stingelin, wusste leider nicht, dass man den namensgebenden »Grubenhunt« aus dem Bergwerksstollen mit »t« statt mit »d« schreibt. So sieht heute die Beschwörung der bürgerlichen Druckkultur aus: man öffnet den Mund und hat keine Zunge darin.

Wienblog: Also feinden Sie die österreichischen Printmedien doch wegen deren dürftiger Machart an.

Koch: Schauen Sie, die Vermüllung der urbanen Umwelt durch bedruckte Blätter ist von der Verluderung der journalistischen Sitten nicht zu trennen. Das eine ist die Kehrseite des anderen. Aber ich kritisiere den Verfall der Gutenberggalaxis nicht, um mir davon irgendeine aufklärerische Wirkung zu erwarten. Das Problem wird sich durch den Erfolg elektronischer Medien ganz von selbst erledigen. Die Gratisblätter hängen ja zu 100 Prozent am Gängelband der Wirtschaft, und der Effekt für den Werbeaufwand, der da betrieben wird, ist lächerlich gering.

Wienblog: Was macht das journalistische Angebot im Netz besser?

Koch: Die Reaktionsgeschwindigkeit. Das rasche Auffinden von Zusatzinformationen. Die leichte Erreichbarkeit des Autors. Die Verlinkung. Das nahezu endlose Platzangebot. Die Kommentarfunktion. Die Möglichkeit radikal subjektiver Zugänge. Übersetzungsmaschinen. – In Zeiten, da ich als freier Printjournalist gearbeitet habe, musste ich mit meinen Texten hausieren gehen. Überall bot sich das gleiche Bild: schwer überlastete Redakteure, verstrickt in tausend Seilschaften, Platzangst, auch Arbeitsplatzangst. Die Folge: gut gepolsterte Selbstverachtung und jeder Schreibtisch ein Intrigantenstadl zur Verhinderung von Wahrnehmung. Ich kenne das auch aus eigener Erfahrung. Auch ich war ja auch einmal so eine journalistische Diva, die Autoren Gefälligkeiten erwies, oder auch nicht. Heute stelle ich meine Texte einfach ins Netz, und die lesefähigen Redaktionen fragen an, ob sie Arbeiten, die ihnen gefallen, nachdrucken können.

Wienblog: Sie meinen, Sie verdienen Geld mit dem Nachdrucken von Blogeinträgen?

Koch: Aber ja, dieser Sekundäreffekt von E-Publishing funktioniert seit Jahren.

© Wolfgang Koch 2011

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