vonWolfgang Koch 13.01.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Es gibt durchaus noch Linksradikale in Österreich, die im ursprünglichen Wortsinn das Übel der Welt an der Wurzel packen wollen. Sogar eine Nobelpreisträgerin befindet sich darunter. Franz Schandl wurde an dieser Stelle schon einmal gewürdigt. Mehrfach der Antideutsche Stephan Grigat,

 

Das praktische Wirken all der Genannten aber beschränkt sich auf ihr publizistisches Handwerk, auf die Belehrung der Köpfe durch Worte, auf akademische Seminare und gelegentliche Antifa-Kundgebungen.

 

Da ist Robert Sommer von anderem Kaliber. Auch er hat sich dem Schreiben verschrieben, doch dieser Journalist hat vor 16 Jahren den Rubikon des bloß intellektuellen Windumsichmachens überschritten und unternehmerisch in der Realität interveniert, indem er die erfreulicherweise sehr erfolgreiche Wiener Obdachlosenzeitung Augustin mitbegründete.

 

Sommer hat seine linke Praxis als Journalist mit einem Projekt geadelt, das die bis 1995 aus dem Bannkreis der österreichischen Medien verstoßene Menschen wieder in die Öffentlichkeit zurückholte. Er und seine Mitstreiter haben endlich begonnen mit den Schwachen, Ohnmächtigen, Unterdrückten und Ausgestoßenen zu sprechen, statt über sie.

 

Die Stadtzeitung Augustin ist gewiss mehr als eine Tribüne von textlichen Zeugnissen der Outsider. Sie trägt unmittelbar zum Überleben ihrer Macher und Verkäuferinnen bei; das unabhängige Blatt bietet in der selbsternannten »Weltstadt«, die seit 2010 mit menschenrechtswidrigen Bettelverboten gegen die Ärmsten vorgeht, noch einigermaßen Schutz vor behördlichen Übergriffen, und es hilft den Schnorrern ihre Würde im harten Existenzkampf zu bewahren.

 

Robert Sommer ist kein marxistischer Theorieproduzent. Entsprechend argumentiert er in seinem bei Mandelbaum erschienen Buch über die »Exklusionsmaschine Wien« mit dem ganzen Gewicht seiner Biographie:gegen die Dauerentwürdigung der Ärmsten, gegen die Kommerzialisierung der Stadtzonen, gegen die Kriminalisierung des Bettelns.

 

Robert Sommer legt das Hauptaugenmerk auf Heime, auf Gefängnisse, auf die Psychiatrie und den öffentlichen Raum. Theoretisch beheimatet ist er bei der 2005 formulierten These des französischen Armutsforschers Patrick Declerck, wonach die gesellschaftliche Ordnung für ihre Existenz immer eine Schicht von Marginalisierten ausgrenzen muss. Die Armen der Ärmsten werden nämlich einerseits als Gegenstand kollektiver Betroffenheit gebraucht, und andererseits als abschreckendes Beispiel für die Strafe des Abstiegs, der den Normalos beim Überschreitung der Normen droht.

 

Integration und Resozialisierung, diese großen Schlagworte der sozialdemokratischen Politik, sind für Sommer bloß »rhetorische Formeln«. Der Metropole Wien gehe es heute nirgends um den Ein-, sondern immer nur um den nachhaltigen Auschluss einer »unproduktiven Minderheit«.

 

Als scharfer Kritiker der Gegenwartsverhältnisse bleibt Sommer indes resistent gegen die Konstruktion eines neuen revolutionären Subjekts, des »Prekariats« oder der »Multitude«, was für einen linken Denker keine Selbstverständlichkeit ist. Sommers Buch wird von einer einzigen stillen Emotion getragen: dem Respekt für die Würde der Würdelosen. Er widmet seine Aufmerksamkeit Menschen, die er mit vielen Ausdrücken belegt:

 

Die Abweichenden. Die Alkoholabhängigen. Die Armen. Die Ausgegrenzten. Die Ausgeschlossenen. Die Ausgesonderten. Die Bettler. Die Desintegrierten. Die Eigenartigen. Die konsumfernen Elemente. Die Entrückten. Die Geldlosen. Die Gescheiterten. Die Heiminsassen. Die Insassen totaler Institutionen. Die Langzeitarbeitslosen. Die Marginalisierten. Die Obdachlosen. Die Outsider. Die Randständigen. Die Schnorrer. Die Stigmatisierten. Die Stimmenhörer. Die Strafentlassenen. Die Subalternen. Die Tschecheranten. Die Überflüssigen. Die Unanständigen. Die Unerwünschten. Die Unproduktiven. Die Unterstandslosen. Die Verdammten. Die Verwahrlosten. Die Wohnungslosen. Die Würdelosen. Die Zurückgelassenen.

 

Nur wird man einem Text, das mit derart vielen moralisierenden Termini operiert, sofort der Mythologisierung verdächtigen. Gerade das aber, eine schriftstellerische Romantisierung der Unterklassen und ihres rebellischen Potentials, bietet Sommer kaum.

 

Der klug analysierende Sozialpublizist beschreibt in reportageartigen Kapiteln sieben heute in die Gesamtgesellschaft nicht mehr integrierbaren Subsysteme: eben das von Obdachlosen, das von Haftentlassenen, Psychiatriepatienten, Heimbewohnern, Drogenkonsumenten und von stigmatisierten Migranten, sprich: von auf der Straße bettelnden Roma.

 

Robert Sommer gibt seine Analyse- und Interventionsfelder weder durch Polemik gegen »die da oben« der Lächerlichkeit preis, noch bietet er sein gesammeltes Wissen zur besseren sozialtechnologischen Kontrolle der Entmündigten an.

 

Das allein ist schon eine Leistung: die Kräfteverhältnisse der Gesamtgesellschaft so im Auge zu behalten, dass man die dynamischen Spiegelregeln moderner Diskriminierung ohne übertrieben Erwartungen, das es in Zukunft besser werde, anzugreifen vermag. Das allein ist schon eine bewundernswerte Haltung: optimistisch zu bleiben und nach Verständigung der Veränderungswilligen zu rufen.

 

Das »neoliberale Wien«, so Robert Sommer, exkludiere ganze Bevölkerungsgruppen, grenze sie ökonomisch und politisch vom Leben der Mehrheit aus. Dabei beobachtet er in den letzten Jahren eine geradezu dramatische »Verzahnung« der ökonomischen Gentrifizierungsprozesse mit der politisch-administrativen »Null Toleranz«-Politik.

 

Wer wollte solchen Thesen in unserer Zeit nicht die größte Aufmerksamkeit wünschen?

 

© Wolfgang Koch 2012

 

Robert Sommer: Wie bleibt der Rand am Rand. Reportagen vom Alltag der Repression und Exklusion. 178 Seiten. Wien 2011: Mandelbaum Verlag, 9.90 EUR

 

http://www.mandelbaum.de/

http://kritikundutopie.net/

http://www.augustin.or.at/

 

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