vonWolfgang Koch 25.01.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die gescheite Elfriede Jelinek zeigt sich neuerdings besorgt um die Vergabe eines 5.000-Euro-Jobs im Büro des ORF-Generalintendanten. Ja, fragt man sich da verwundert, wurde sie denn nicht jahrzehntelang aufs Schönste von linken ORF-Journalisten hofiert, hat nicht gerade sie auf dem politischen Gesinnungsjournalismus, den es jetzt angeblich zu verhindern gilt, ihre steile Karriere mit aufgebaut?

 

Ich halte nichts von der kulturellen Linken und ihren Machinationen. Verstünden unsere fortschrittlichen Dramaturgen am Burgtheater wirklich zu lesen und nicht nur in schicken Restaurants zu tafeln wie Gott in Frankreich, sie hätten niemals Jelineks kapriziöse Sprachschmerz-Stücke auf die Bühne gehievt, sondern die Borderline-Literatur eines Hermann Schürrer oder eines Bernt Burchhardt, um nur zwei Säulenheilige der Wiener Obdachlosenzeitung Augustin zu nennen.

 

Der Aufschrei von Robert Sommer zerreißt noch ein paar andere Nebel. Bis auf die Haut blamiert steht jetzt zum Beispiel der abgehobene Wien-Diskurs der Kulturwissenschaften da, der in Lutz Musners Habitilationsschrift Der Geschmack von Wien 2009 einen vielbeachteten Höhepunkt fand.

 

Vor dem Hintergrund der Exklusion von Randgruppen erscheinen die »bedeutungstiftenden Verschaltungen« der Kuratoren im Wien Museum und die elaborierte Wissenschaftsprosa wieder einmal deutlich als das, was sie immer schon waren: von jeder sozialen Realität abgekoppelte Begriffspiele über die »Chiffren der Stadt«, mit denen sich ihre akademischen Schöpfer der Politik wieselnd als neue Ratgeber anempfehlen.

 

Lutz Musner, der sich lieber mit dem unsichtbaren »Habitus der Stadt« als mit dem an vielen Ecken sichtbaren Unglück beschäftigt, nimmt heute zum Dank für seine Harmoniekonzepte sozialdemokratische Orden von Dutzfreunden entgegen. – Eine politische Ehre, die den Sozialkritiker Robert Sommer auch im nächsten Leben nicht ereilen dürfte. Dazu sind seine Zukunftsvorschläge einfach zu böse.

 

Sommer besteht nämlich auf den Widerstand der politisch bewussten Menschen gegen den Gesamtzusammenhang der Gesellschaft. So etwas ist heute bekanntlich schon exotisch genug, um unter staatspolizeiliche Beobachtung gestellt zu werden.

 

Diesem Autor erscheint nur ein solches Zusammenleben aller erstrebenswert, das auf das Fremde und Ungewohnte nicht mit Exkommunikation reagiert. Na, sowas hat man gerade noch gebraucht im gute gelaunten Wiener Rathaus, in dem sich das Tagesgespräch um die große Wiener Landesweinbewertung dreht und um die drei putzigen kleinen Felsenmeerscheinchen im Blumengarten Hirschstetten.

 

Sie finden, dass man das so nicht gegeneinander ausspielen kann: die öffentliche Besorgnisträgerei der Jelinek, den akademischen Elfenbeinturm und die Blumengärtnerei gegen das Schicksal der Arbeits- und Obdachlosen? Ich finde das schon; man muss es sogar in dieser selbstgerechten Stadt, die keinen Geiz für unter ihrer Würde hält.

 

Robert Sommer führt als Augustin-Macher seit 16 Jahren vor, wie man Menschen in ihrem Widerstand gegen die soziale Ungerechtigkeit beistehen kann, wie man den Leuten, die allein, isoliert und auf merkwürdig vertrackte Weise rebellieren, helfen kann, auf verständliche Weise aufzubegehren.

 

Sommer träumt ohne Allüren von einem »gemeinsamen Aufstand für eine wirkliche Demokratie«. Er will mit einer handverlesenen Fangemeinde eine Ökonomie erstreiten, die den Menschen dient – und nicht umgekehrt.

 

Sommer nennt sich stolz einen »Freund der Rebellion«, und er möchte ihr, der Rebelliion, einen Geruch geben, sie sinnlich erfahrbar machen. »Die Idee des linaren gesellschaftlichen Fortschritts ist ziemlich diskreditiert«. Der Tag X aber rücke unausweislich näher, die Gefangenschaft im Gesamtgefängnis des marketingkapitalistischen Lebens werde für uns alle ein Ende nehmen.

 

Jeder edle Mensch gleicht äußerlich einem Tor. Sommer will die bisherigen sozialen Aktionen, die von der politischen Theorien gelenkt wurden, ersetzen durch solche, die von den Außenseitern inspiriert sind. Dieser Autor sucht den Gegenstand seiner Erkenntnis nicht mehr bei Politologen oder Soziologen, sondern bei denen, die in die Hölle hinabsteigen, solange sie noch leben: den Übertretern der sozialen Normen.

 

Das ist politisch nicht neu, sondern die von Franco Basaglia, Ronald D. Laing, Erwin Goffmann und Thomas S. Szaz in den 1970er-Jahren eingeschlagene Strategie, die Ächtung der Bedürfnisse aufzuheben und das »Befriedungsverbrechen« der Intellektuellen abzustellen.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

Robert Sommer: Wie bleibt der Rand am Rand. Reportagen vom Alltag der Repression und Exklusion. 178 Seiten. Wien 2011: Mandelbaum Verlag, 9.90 EUR

 

http://www.mandelbaum.de/

http://kritikundutopie.net/

http://www.augustin.or.at/

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