vonWolfgang Koch 09.05.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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In der Zeitschrift »Sonne Kambodschas« tauchte 1935 folgende Geschichte auf:

 

Ein Wurm erblickte einen Raben und sah sein letztes Stündchen gekommen. »Grausam wie der Rabe ist, wird er mich gleich fressen«, dachte er. Dann richtete er das Wort an ihn: »Okay, einverstanden, wenn du mein Rätsel lösen kannst, darfst du mich fressen«.

 

Der Rabe war einverstanden. »Was ist am Allersüßesten?«, fragte der Wurm. – »Na, Zucker und Honig«, antwortete der Finsterling.

 

»Falsch«, beschied ihm der Wurm, und da der Rabe darauf brannte, die richtige Antwort zu hören, ließ er sich auf einen weiteren Deal mit ihm ein.

 

»Die Lösung schenke ich dir nur, wenn du mich am Leben lässt!« – »Gut«, antwortete der Rabe, der wissbegierig war. »Das Allersüßeste sind die ehrlichen Worte, die aus unserem Mund kommen«.

 

Der Dialog zwischen den beiden Tieren wiederholte sich in den folgenden Tagen stets mit dem gleichen Ergebnis. Es ging zunächst um die Frage, was das Allersauerste auf der Welt sei. Nicht Zitronen und Essig, wie der Rabe meinte, sondern böse Worte. Dann ging es darum, was am meisten stinke? Nicht Mist, sondern böse Taten. Und was am stärksten dufte? Nicht Blumen oder Parfum, sondern gute Taten.

 

 

ooooOO*OOoooooooOO*OOoooo

 

 

Wollen Sie mich auch fressen, fragte meine Lehrerin?

 

»Gewiss, wie Centigloria die weiße Chinesin«, antworte ich in der Annahme, dass sie diesen reichlich verstaubten Menschenfresser-Roman wohl nicht kannte.

 

LEHRERIN: Meine Augen, zartgelb paniert auf Selleriescheiben?

 

ICH (nach einer Schrecksekunde): Jeder Schüler möchte doch seinen Lehrer überwinden, am liebsten durch Einverleibung.

 

LEHRERIN: Was halten Sie von den Antworten des Wurms?

 

ICH: Weder raffiniert noch bauernschlau, immer klug in der Mitte. Er weckt die Wissbegier des Raben. So etwas haben die buddhistischen Lehrer heute nicht mehr notwendig. Die ausgebrannten Westler rennen ihnen ja alle Türen ein.

 

LEHRERIN: Ich will Ihnen mal was sagen. Den Buddha-Weg gehen heißt nicht nur Sitzen oder Rezitieren oder der Sangha angehören. Nach dem Buddha-Happen schnappen heißt heute vor allem, die Fähigkeit zur Kritik des Falschen zu bewahren, heißt nicht mitmachen im Spektakel der Karrieren und des Besitzes. Buddha-Geist heißt weiters sich dem Anspruch verweigern, ungewöhnlich sein zu wollen. Wir wollen auch nicht mehr durch Problemlösungsvorschläge zur immanenten Reform von ungerechten Strukturen beizutragen.

 

ICH: Bei allem Respekt, wollen Sie denn keine reale Verbesserungen des Lebens durchsetzen? Sprach der Wurm nicht soeben vom »Duft der guten Tat«?

 

LEHRERIN: Das ist nicht einfach, hier den Kurs zu halten. Wir wollen den Buddha ja nicht eines Ausbruchs wilder Misanthropie verdächtigen, oder?

 

ICH: Nein.

 

LEHRERIN: Wie der Wurm lehrte Buddha eher aus Notwehr denn aus Sendungsbewusstsein eine eigene Ethik. Selbstzentriertheit und Gleichgültigkeit sind dringend abzulehnen. Man braucht solche Werte nur bei bestimmten Gelegenheiten, in der Regel aber führen sie zu nichts. In diesem Punkt kann sich der Osten mehr vom Westen abschauen, als umgekehrt. Sehen Sie doch mal, wie ratlos die tibetischen Mönche gegen die chinesische Diktatur anrennen: Selbstverbrennungen als letztes Mittel eines absolut dogmatisch gewaltfreien Widerstands. Da halten sich die jungen chinesischen Polizeikadetten sicher die Bäuche vor Lachen.

 

ICH: Sind denn Selbstverbrennungen kein gewaltfreier Widerstand?

 

LEHRERIN: Nein, das sind sie nicht. Dieser Engagierte Buddhismus, wie er sich selbst nennt, ist sicherlich gut gemeint, aber in Realität der mediengelenkten Massengesellschaft läuft er auf einen lebensverneinenden Vulgärmasochismus hinaus. Die »Free-Tibet«-Aktivisten pflegen quasi eine innerweltlich-sendungsbewußte Extremform des Unpolitischen.

 

ICH: Was ist die Alternative?

 

LEHRERIN: Ich will Hemd und Hose um jeden Preis auseinander halten. Durch ein Selbsttun, wie das der Buddha von sich verlangt hat, ist keine Erlösung von den Übeln der Welt zu erreichen. Auf der anderen Seite gebiert der Aktivismus von Menschen, die Erleuchtung suchen, bloß Chimären, etwa den Wunsch, einen konkreten Kommunismus zu leben, und ähnlichen Quatsch. Wenn Buddhisten, geschichtsvergessen wie sie sind, als Buddhisten etwas verändern wollen, dann grummeln sie bloß herum oder werden haltlos pathetisch. Sie sollen besser ins Kino gehen.

 

ICH: Ist das nicht purer Quietismus?

 

LEHRERIN: Schauen Sie, wir brauchen nicht diese frühere Diskussion der Christen mit den Marxisten zu wiederholen: »Ändere ich mich oder ändere ich die Gesellschaft?« Die Debatte ist ausgestanden. Wir wollen durch Bewusstwerden oder Meditieren keine besseren Menschen aus uns machen. So ein heroisches Verständnis von sich selbst führt nur in die Irre. Daraus folgt nämlich ein Heroismus ohne Ende, dem wir Tag für Tag aufs Neue zu entsprechen haben. Genug davon.

 

ICH: Und was dann?

 

LEHRERIN: Karma Konchok Dorje hat einmal gesagt, dass praktisch kein Widerspruch zwischen Hemd und Hose besteht. Genauso sehe ich das jeden Morgen vor dem Kleiderschrank auch.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2012/05/09/der-rabe-als-ratselloser-oder-neuerliche-absage-an-den-engagierten-buddhismus/

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kommentare

  • am 28.12.2012 um 20:28 Uhr
    Kleines Rätsel:

    Was ist größer als Gott?
    Bösartiger als der Teufel?
    Die Armen haben es!
    Die Glücklichen brauchen es!
    Und wenn Du es isst, stirbst Du!

    Diese Frage wurde an Kindergärten und
    Universitäten gestellt, 85% der
    Kindergartenkinder wussten die Antwort sofort,
    aber nur 17% der Studenten.

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