vonWolfgang Koch 10.05.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Noch eine sagenhafte Geschichte aus der Schatztruhe der kambodschanischen Buddhisten:

 

Ein zu Unrecht abgeurteilter Mann flehte den König an: »Herr, die Verzweiflung in meinem Herzen ist groß« – Der Despot erwiderte: »Nun, so bringe mir doch dieses Tier her. Falls du es aber nicht findest, lasse ich dich töten«.

 

Die Jagd des Mannes nach der Verzweiflung in seinem Inneren verlief ergebnislos. Erst ein Walderemit schenkte dem tief bekümmerten Selbstbeobachter, um ihn zu retten, eine überaus gefährliche Dose. Er dürfe sie, schärfte der Eremit ihm ein, erst in dem von innen verschlossenen Palast des Despoten öffnen. Sogleich sprangen daraus ein Tiger, ein Löwe, ein Elefant, eine Schlange und ein Rhinozeros hervor und massakrierten den König samt seinem Hofstaat.

 

Anschließend verließ das Tier Verzweiflung seinen dankbaren Besitzer, der nun der neue Herrscher war, um fortan im Wald auf den nächsten Einsatz zu warten.

 

ooooOOOOOoooooooOOOOOoooo

 

»Dieses Märchen«, legte ich sofort los, »soll die niederwalzende Kraft der Aktion veranschaulichen, den eruptiven Effekt tiefer Aufgewühltheit. Die Verzweiflung muss unbedingt unter Verschluss gehalten werden, weil sich die Bombe sonst gegen den Überbringer richtet. Am Ende aber, wenn das Gute über das Böse triumphiert hat, wartet das schreckliche Tier zahm im Wald, bis es wieder gebraucht wird«.

 

Die Lehrerin hörte regungslos zu. Ich sah in Gedanken Blut überall. Meine Lunge tat ihren Dienst wie ein ständig angetriebener Blasbalg.

 

Schauderlich, sagte ich. Dieses Märchen ist 1939 aufgezeichnet worden, aber ich muss, so oft ich es höre, an die Guerillas der Roten Khmer denken. Sie haben den brutalsten Massenmord der kambodschanischen Geschichte zu verantworten. Diese linken Paranoiker rechtfertigten die Massaker auf den Killing Fields als »verzweifelten Abwehrkampf« gegen eine Weltverschwörung von Feinden.

 

Sicher lassen sich die Handlungsstränge des Märchens irgendwie klug interpretieren. Doch mein Denken befindet sich hier in einer absoluten Zwangslage. Das Buddhistischen Institut in Phmom-Penh hat diesen Stoff 1939 noch ganz unschuldig als Volkssage aufgezeichnet. Und dieses Institut ist dann unter Pol Pot sofort geschlossen worden, 40.000 seiner Schriftstücke wurden vernichtet. Der Totschlag-Kommunismus hat alle Tempel im Land zerstört, er hat die Mönche getötet. Doch die marxistisch-leninistischer Intelligenz feierte das Märchen trotz allem als eine gelungene Vorstufe zur eigenen Ideologie, das brutale Regime stellte Buddha und die von ihm inspirierte Kultur in eine geistige Linie der eigenen Totschlag-Ethik.

 

Hatte ich den unterirdischen Schauer dieser Geschichte etwa missverstanden? Ich war nicht sicher, denn die Lehrerin rührte sich noch immer nicht.

 

–  Noch 1979, fügte ich hinzu, als die Welt bereits aufgeklärt war über die Gräuel, welche die kambodschanische Kommunisten an ihren Landsleuten begangen hatten, konnte dieses »antidespotisch« genannte Märchen« in einer einschlägigen Sammlung in der DDR erscheinen.

 

Endlich schien meine Lehrerin genug Eindrücke von meinen aufgewühlten Emotionen gesammelt zu haben. Sie wandte sich mir zu.

 

»Es scheint nichts zu geben, wofür sich das Buddha-Dharma nicht auch gebrauchen lässt. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass es ein richtiges Denken gibt, dass sich nicht beugen und missbrauchen lässt«.

 

© Wolfgang Koch 2012

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