vonWolfgang Koch 27.05.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Hermann Nitsch: Brot und Wein, Tempera und Dispersion auf Wandverputz, 150 x 150 cm, 1960, Sammlung Hummel, Wien / Foto: M. Thumberger

2013 feiert der österreichische Künstler und Theaterneuerer Hermann Nitsch, dessen einstiger Mitstreiter aus den Tagen des Wiener Aktionsimus Otto Muehl gestern verstorben ist, seinen 75. Geburtstag. Das Jubiläumsjahr begann für ihn gleich mit einem dramatischen Schicksalsschlag. Während nämlich bei seinem deutschen Malerfreund Georg Baselitz im Mai nur die Steuerfahnder in dessen Villa am Attersee eindrangen, hat in Schloss Prinzendorf im Weinviertel eine professionelle Einbrecherbande vermutlich den Coup ihres Lebens gelandet.

 

Anfang März, und zwar am Tag der Regionalwahlen in Niederösterreich, an dem gewöhnlich die Landeier in Scharen zur Urne schreiten, drangen Unbekannte in den Wohn- und Ateliersitz des Künstlers ein und erbeuteten nicht weniger als 400.000 Euro in bar und Schmuck im Wert von weiteren rund 100.000 Euro.

 

Dieses beträchtliche Vermögen hatte Nitsch für ein weiteres Sechstagspiel des Orgien Mysterien Theaters im Jahr 2014 angespart. Er finanziert seine teils mehrtägigen Aktionsspiele bekanntlich immer aus der eigenen Tasche sowie mit Hilfe von freiwillig mitwirkenden Studenten und Kunstfreunden.

 

Die österreichischen Medien hatten anlässlich des Einbruchs nicht die geringsten Skrupel, den international geschätzten Künstler mit Hohn zu verziehen; wochenlang verwiesen Kommentare und Leserbriefe darauf, dass die kriminelle Bande keine Kunstwerke aus seinem Schloss hatten mitgehen lassen.

 

Dabei ist es auch dem Laien klar, dass sich Nitschs ikonenhaften Schüttbilder als Diebsgut am Kunstmarkt genauso wenig zu Geld machen lassen wie seine einprägsamen Architekturzeichnungen oder Partiturskizzen. Für solche Arbeiten käme nur Art Napping in Frage, also eine Erpressung des Bestohlenen; und das hat in Österreich, seit einem missglückten Versuch nach dem Raub der Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum 2003, nie wieder ein Ganove versucht.

 

Nichtsdestotrotz ergießt sich die Häme immer weiter über Nitsch. In der öffentlich-rechtlichen ORF-Sendung »Willkommen Österreich« ätzte das Comedy-Duo Stermann & Grissemann vor schenkelklopfendem Live-Publikum, der Künstler habe sich beim Einbruch in sein Schloss vor Angst in die Hose geschissen und diese dann anschließend an das MUMOK verkauft [Stermann & Grissemann gelten bei österreichischen Chefredakteuren als mutige Entertainer, seit sie eine Teilnehmerin des Songcontests 2012 auf FM 4 als »Altfut« abkanzelten].

 

Für den weiteren Verlauf von Nitschs künstlerischer Karriere sind die Folgen des Einbruchs noch immer nicht abzusehen. Das traditionellen Pfingstfest in Prinzendorf musste ebenso abgesagt werden wie eine große, in Berlin geplante Aktion im Sommer.

 

Ein erstes freudiges Überlebenszeichen gab der Künstler mit einem Relaunche des Nitsch Museums Mistelbach (NMM). Und nicht storniert wurde auch das Dreitagespiel am 21. und 23. Juni im Centraltheater in Leipzig – Nitsch erste Live-Aktion im Osten Deutschlands überhaupt.

 

Bei der 55. Biennale Venedig wird Nitsch heuer in gleich zwei Gruppenausstellungen vertreten sein, wobei ihm erstaunlicherweise die kubanische Nation einen prominenteren Platz als seine Heimat Österreich einräumt.

 

Österreich, das Nitsch längst als Alleinvertreter nach Venedig hätte schicken können, wird einige seiner Werke in der Schau »Personal Structures« im Palazzo Bembo zeigen. Kuba hingegen präsentiert eine Ausstellung unter dem Titel »Die Perversion des Klassizismus: Die Anarchie der Erzählungen« bei der diesjährigen Biennale, und Hermann Nitsch wird dabei in den Räumen direkt an der Piazza San Marco Schüttbilder, Aktionsfotos und Relikte der 135. Aktion in Havanna den antiken Artefakten und Skulpturen des Museo Archeologico gegenüber stellen.

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.nitsch.org/index-de.html

 

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