vonWolfgang Koch 04.06.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Hermann Nitsch: 31. Aktion, München 1969 / Angaben zum bearbeiteten Foto im Katalog »Hermann Nitsch. Sinne und Sein« (Metroverlag): L. Armbruster, L. Hoffenreich, K. Nievers, Atelier Nitsch, M. Thumberger, Vintageprint auf Holzfaserplatte

Hermann Nitschs malerische, musikalische und theatralische Arbeiten als Kunstwerke rechtfertigen zu müssen, ist unnötig; ihr künstlerischer Rang steht in der Kunstszene seit Jahrzehnten nicht mehr zur Debatte. Dass nun dieser Tage ausgerechnet das Nitsch Museum Mistelbach eine Retrospektive zeigt und im dazu aufgelegten Katalog sexualästhetische Aktionsfotos aus dem Jahr 1969 schamhaft verpixelt, das lassen wir allerdings nicht als gut gemeint durchgehen.

 

Die neue Halbjahresschau unter dem Titel »Sinne und Sinn« zeigt im Nitschmuseum eine Reihe von sehr wichtigen Arbeiten des Künstlers aus der Sammlung Hummel, darunter die 1960 auf Wandverputz entstandene Temperamalerei Brot und Wein, sowie mehrere, dreißig Jahre später spektakulär mit Mullbinden und Ölfarbe bearbeitete Gipsobjekte, ebenfalls aus der Sammlung Hummel.

 

Geteilter Meinung dürfte das Publikum über eine Großprojektion in der »Kapelle« des Museums sein, die in Kooperation mit der Ars Elektronica zustande kam. Nitsch hat ja schon vor 15 Jahren festgestellt, dass ihn die »Direktheit und Signalhaftigkeit« von Video-Clips verblüffen. Im neuen Projektionsraum des Museums ist nun die Arbeit mit sinnlich erfahrbaren Wirklichkeiten, zu der Nitsch ja einst angetreten waren, dem kalten Berühren eines Touchscreens gewichen, wobei der Betrachter durch wischende Fingerbewegungen hochauflösende Zeichnungen und Fotos vor sich auf der Wand übereinanderschichten kann.

 

Mit etwas gutem Willen geht das schon in Ordnung, mit etwas gutem Willen verrät auch dieses technisch verspielte Installation das Realitätsprinzip des Orgien Mysterien Theaters nicht. Die Projektionen radikalisieren quasi das grafische Prinzip der Collage, wie es im umfangreichen druckgrafischen Werk von Hermann Nitsch seit Jahrzehnten seine Anwendung findet.

 

Einen unverzeihlichen Fauxpaus jedoch leistet sich Kurator und Herausgeber Michael Karrer im Katalog des Museums. Jeden Kenner dieses Œvres  muss vollkommen klar sein, dass bestimmte frühe Aktionsfotos nicht vor jedem Publikum beliebig ausgebreitet werden können. Im Unterschied zur Pop Art lassen sich im Aktionismus Schaueffekte nun einmal nicht von ihrem kunstphilosophischen Hintergrund ablösen.

 

Erotisch und religiös konnotierten Werke verlangen ein fundiertes Vorverständnis vom Betrachter. Man kann, um dieser Kunst intensiv zu begegnen, sie nicht nur vom Hörensagen kennen – der Museumsbesucher muss behutsam mit ihrer Logik vertraut gemacht werden, die sich wiederum innerhalb der symbolischen Ordnung bewegt.

 

Zu diesem Zweck eignen sich am allerwenigsten Maßnahmen der Selbstzensur. Wer eine künstlerische Arbeit zensuriert, indem er sie ganz oder teilweise unkenntlich macht, handelt im Ausstellungsbetrieb absolut fahrlässig, denn durch Zensurbalken setzt er die Werke ja gerade den Vorwürfen aus, vor denen er sie behüten will: im Fall der 31. Aktion von Hermann Nitsch vom 8. Dezember 1969 sind das die Vorwürfe der Pornografie und der Blasphemie, von denen sich diese Bilddokumente gerade eben Kraft ihrer Definition als Kunst frei gemacht haben.

 

Es stimmt schon, dass Pornografie von ihrer Geschichte her auch einmal einen durchaus emanzipatorischen Zugriff beanspruchen konnte. Von den Dramen des Marquis de Sades über Josefine Mutzenbacher bis zu Pierre Molinier attackierten sexuelle Symbole und Inhalte die sentimentalen Körperbilder als Ideologie, entkleideten die animalischen Triebe des Mernschen ihrer süßlichen Verklärung und zeigten sie nackt. 

 

Doch diese Entkleidung des Körpers war weitgehend mit dem männlichen Blick liiert. Nitsch kennt in seinen sexualästhetischen Arbeiten keinen aufklärerischen Anspruch, der ein normiertes Körperbild attackiert.  Er will auch nicht die Wahrnehmung von Schönheit oder Hässlichkeit erweitern, sondern sie einfach intensivieren.

 

Was also will das Museum Mistelbach in dieser Lage bezwecken, wenn es nun Aktionsfotos rückwirkend dem Pornovorwurf aussetzt?

 

Der sexualisierte Körper ist heute für pornografische Aufklärung absolut nicht mehr tauglich. Das hat erst vor wenigen Tagen Richard Schubarth am Beispiel des Berliner Protestes gegen den Barbiekult in der Tageszeitung Der Standard bestätigt: die Überbabes der Femen, so Schubarth, die ja nicht gerade aussehen wie ukrainische Durchschnittsbäuerinnen, protestieren vor dem Barbie-Museum eigentlich gegen sich selbst. Wer sich für feministische Botschaften mindestens einmal ausziehen muss, um mit Edelbusen Aufmerksamkeit zu erregen, kann sich die Slogans gegen die Konfektionierung des Körpers gleich sparen.

 

Mit der Formensprachen der politischen Selbstentblößung in Berlin und mit die Pornofizierung der Kunst durch Selbstzensur in Mistelbach kuriert man keine Mängel, sondern schafft neue, die man vorher noch gar nicht hatte.

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.nitsch.org/index-de.html

http://www.mzm.at/

 

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