vonWolfgang Koch 06.06.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Hermann Nitsch: 20. Aktion, Wien 1966 / Foto: G. Helm, Atelier Nitsch, M. Thumberger, Vintageprint auf Leinen

Der Pixelbalken über Aktionsfotos von Hermann Nitsch widersteht der Pornofizierung nicht, sondern ist ein Ausdruck tiefer Ratlosigkeit. Diese neue Form der Selbstzensur konstituiert einen eigenständigen Bereich der Erotika in der Kunst, die wegen der in ihnen dargestellten Sexualität Anstoß erregen könnte. Entspricht das noch der historischen Wahrheit dieser Werke?

 

Es ist richtig, dass die Dokumente performativer Kunst aus den 1960er- und 1970er-Jahren selbstständig am Kunstmarkt bestehen können, in der Rezeption aber dürfen sie nie aus ihrem Entstehungskontext gelöst werden.

 

Peter Gorsen, der bedeutendste Theoretiker des Wiener Aktionismus, kritisierte bereits vor dreißig Jahren einen fatalen Hang der westlichen Öffentlichkeit zur »Scheinsexualität«, also dazu, die nicht sexuell intendierten Kommunikation mit bestimmten sexuellen Signalen der Körpersprache auszustatten. Diese pornografische Kommunikation der westlichen Kultur hat sich seither epidemisch über den gesamten Globus ausgebreitet, hat die islamische Reaktion der Verschleierung mithervorgerufen und sie kehrt nun als politisch-korrekte Prüderie in den Kunstbetrieb zurück.

 

Das Erstaunliche ist, dass man an verschieden Ecken der Erde sehr unterschiedlich auf die Pornofizierung der Bildkultur reagiert. Während der indonesische Popmusikstil Dangdut den enthemmten, »bohrenden« Hüftschwung zum Markenzeichen einer Ästhetik des Exzesses macht, verschanzt sich die Hochkultur im niederösterreichischen Mistelbach schamhaft hinter Pixelbalken.

 

Natürlich ist es möglich, das Orgien Mysterien Theater ein Programm der umfassenden Sexualisierung der Welt zu nennen, doch die darin enthaltene sexuelle Symbolik bleibt immer primär Seinsmystik, eine Vergegenwärtigung der Kontingenz, das Bewusstmachen des Anders-Sein-Könnens der weltlichen Dinge. Der aktionistisch verwertete Nacktsport wird dabei weder unverbindlich symbolhaft noch hermeneutisch unverständlich, und vor einer elitären Aussage über die letztmögliche Abwesenheit eines Grundes – das Grundlose – muss niemand geschützt werden.

 

Was sonst könnte der Sinn sein, Ungesehenes und Unerhörtes zu zeigen, nackte Körper mit Fleisch, Blut und Gedärmen zu kombinieren und quasi rituelle Handlungen zu vollziehen? Um die schreckliche Lust des Augen an den imaginären Vorstellungen von peinigenden und gepeinigten Menschen zu durchkreuzen, verlangt Nitsch einen individuellen und kollektiven Prozess der Selbstkultivierung.

 

Nehmen wir zum Vergleich die rosigen Hautinkarnate bei Peter P. Rubens, in denen zwischen Verdrängung und Wiederbelebung zirkulierende traumatische Erregungszustände eingefroren sind und durch die Kunstgeschichte transportiert werden. Auch in den Aktionen von Nitsch wurden und werden solche Energiekonserven reaktiviert, um die Realität der Einschüchterung durch Repräsentationen erahnbar und diskutierbar zu machen.

 

Die ästhetische Weltverbesserung des Orgien Mysterien Theraters zielt auf Daseinskompetenz, auf das ethische Vertrautsein mit den Grundregeln des Zusammenlebens, auf ein Geistesgegenwärtig-Sein im Dazwischen der menschlichen Beziehungen. Weiters auf ein Innehaltenkönnen im Exzess, um die Fülle des Daseins bewusst zu erleben.

 

Dank solcher, anspruchsvoller Motive können bestimmte Werkteile, unter Bedacht und mit kunsthistorischer Sorgfalt, nur dort gezeigt werden, wo mit einem kunstsinnigen und philosophiewilligen Publikum zu rechnen ist. Das Marketing eines jeden Ausstellungshauses wird solchen Bemühungen naturgemäß in die Quere kommen.

 

Um das Nitsch Museum zu bewerben, braucht es natürlich Bücher und Plakate, Videos und CDs sowie Merchandising-Produkte: vom beliebten Weinviertler Strohhut über Kunstwein im Doppler bis hin zu bedruckten Badetüchern. In der Bundeshauptstadt Wien finden sich überdies erste Schüttmalereien von Hermann Nitsch auf Hauswänden appliziert.

 

All diese Verkaufshilfen der Museumsshops und die Popularisierungsversuche am Bau scheinen einen schier endlosen Raum für dieses Werk zu eröffnen. Doch man täusche sich nicht. Ganze Werkblöcke – die komponierten Symphonien, die philosophischen und die literarischen Schriften sowie eben die Aktionsfotografien und -filme – werden einem breiten Publikum immer verschlossen bleiben.

 

Die Aktionsfotos werden immer eine Gratwanderung auf der Toleranz- und Schamgrenze bleiben, haarfein gezogen zwischen Abbild und Körper. Die Schamlosigkeit diser Bilddokumente macht ja in anhaltender Verkehrung den Betrachter zum Voyeur, der sich entweder beim Ertapptsein ertappt fühlt oder eben die Flucht in die Schamhaftigkeit antritt.

 

Auf diesem Feld durch das Verpixeln der Vagina eine neue Grenze einzuziehen, während der Penis unzensiert bleibt, bringt uns wirklich zum Schmunzeln. Dem neuen Gesamtleiter des Museums, dem Salzburger Kunsthändler Michael Karrer ist die »Selbstfindung in einer hektischen, kommerzialisierten Erlebnisgesellschaft« ein besonderes Anliegen. Nach der ersten Kostprobe seiner »Erforschungen« lässt sich nur sagen: In Mistelbach werden neuerdings Manipulationen vorgenommen, die nicht nur den kunsthistorischen Rang eines Lebenswerkes gefährden, sondern auch dem Verständnis der Kunst insgesamt keinen guten Dienst erweisen.

 

(Ende der Serie)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.mzm.at/

http://www.museonitsch.org/

http://www.nitsch.org/index-de.html

 

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