vonWolfgang Koch 03.02.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Lieber Julian Schmid,

die Politik gleicht heute über weite Gebiete einem Palimpsest, das immer nur von wenigen verstanden werden kann. Gestern zum Beispiel erklärte der iranische Außenminister Mohammed Jawad Zarif am Rande einer Münchner Sicherheitskonferenz, der Holocaust sei »eine grausame Tragödie des Umbringens« gewesen, was der Weltöffentlichkeit sofort als politische Sensation übermittelt wurde.

Ich nennen diese Worte: eine Verharmlosung. Der Holocaust fand ja keineswegs auf einer Bühne vor Zuschauern statt; er war ein Massenmord von durchaus normalen Menschen an durchaus gewöhnlichen Menschen mit industriellen Methoden. An diesem beunruhigenden Faktum zielt Zarifs plumpe Theaterkritiker-Sprache weit vorbei.

Der iranische Minister untermauerte mit dem Sager ja auch nur die gegenwärtige Annäherungsbereitschaft des Iran an den Westen, und er distanzierte sich mit der Verurteilung der »Tragödie« von seinem innenpolitischen Gegner, dem vormaligen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad.

In diesem völlig abgehobenen Stil führen heute Politiker aller Lager und aller Fachrichtungen Debatten, die sich nicht mit Realitäten beschäftigen, sondern aktuelle Machtkonstellationen zu beeinflussen versuchen. Es geht darum, den Gegner psychologisch unter Druck zu setzen, Terrain zu gewinnen und Lebenszeichen an die eigenen Anhänger zu senden.

Dass Politik dabei zu einer wahre Gehörlosenrepubik verkommt, zu einem hohlen Gebilde abgedroschener Worte, können die Akteure dann nur mehr bedauernd feststellen.

Der Jänner. lieber Julian, ist sicher kein guter Monat für dich gewesen. Sämtliche Themen wurden von Protest gegen den Akademikerball in der Wiener Hofburg überschattet. In diesem Konflikt warst du als neuer Jugendsprecher deiner Partei nahezu völlig abgemeldet.

Die Auseinandersetzung mit der Jugendorganisation hat die Parteispitze sofort an sich gezogen. In den heftigen öffentlichen Debatten kam nur ein einziges bescheidenes Wort von dir über die Rampe: »Dumm« sei der Gewaltexzess der militanten Demonstranten in der Ballnacht gewesen; »dumm« der Schwarze Block, als er Explosivkörper gegen Polizistinnen schleuderte, »dumm« der Angriff von autonomen Antifaschisten auf eine Polizeistation in der Wiener Innenstadt.

Junge Grüne und Jungsozialdemokraten haben sich nur  widerstrebend vom gewaltbereiten Milieu linksaußen distanziert. Die Grünen haben, wie wir jetzt wissen, im Vorfeld den Knallköpfen mit einer Domain sogar propagandistisch unter die Arme gegriffen. Die Anarchisten-Parole »Unseren Hass könnt ihr haben« wollen deine Alterskollegen bei den Grünen bis heute dahin gedeutet sehen, »dass wir unseren Hass nicht benötigen, um uns artikulieren zu können; die FPÖ und die Burschenschaften bauen jedoch ihre Politik und ihr Weltbild darauf auf«.

Ein kaum zu entwirrendes Palimpsest, ein heftiges Aneinandervorbeireden, immer nur die eigene Klientel im Blick. Das Kalkül der Linksradikalen war klar: Je medial auffälliger die Proteste gegen das »unappetliche Pack der Burschenschaften« ausfallen würden, desto verzagter werde die Hofburg-Betreibergesellschaft ihre Säle im folgenden Jahr an die Ballveranstalter vermieten.

Also brüllten sich 7.000 Gegner in der Wiener Innenstadt heiser, als wäre der Akademikerball ein europäisches Vernetzungstreffen von Kellernazis. Das war gewiss dumm. Vor allem aber argumentierten auch die gewaltfreien Demonstranten unredlich, indem sie behaupten, die Hofburg sei ein besonders symbolträchtiger Ort.

Deine Parteivorsitzende, Eva Glawischnig-Piesczek, hat der FPÖ vorgeschlagen, die 500 tanzwütigen Anhänger doch irgendwo in einem Saal in Ottakring zu versammeln; und der vielbeachtete Leitkolumnist der Tageszeitung Der Standard, Hans Rauscher, schlug dem Polizeipräsidenten vor, die Veranstaltung doch in eine Sporthalle der Wiener Polizei zu verlegen, um das Problem der Sicherheitszone aus der Welt zu schaffen.

Auf diese sarkastische und unehrliche Weise verteidigen heute die Republikaner und Demokraten die Versammlungsfreiheit für Andersdenkende, oder besser: sie verteidigen sie gerade nicht, sie machen diese Grundrecht mit den Staatsorganen zugleich lächerlich.

Das ist in meinen Augen noch viel dümmer, als das, was du als »dumm« bezeichnet hast, nämlich Polizisten mit Steinen, Krachern und Stangen zu attackieren. Es ist dümmer, weil da aus einer einflussreichen Position heraus politisch fahrlässig und moralisch hinterfotzig gespochen wird.

Welche Emblematik ist denn bitte so besonders schützenswert an der Wiener Hofburg? Dass der Bundespräsident im Leopoldinischen Schlosstrakt seine Amtsgeschäfte tätigt? Dass sich das österreichische Volk 1848 in der Winterreitschule seine erste und erfolglose Verfassung gegeben hat? Dass das Parlament wegen Umbauarbeiten dort ein Ersatzquartier beziehen wird?

Lächerlich. Die Wiener Hofburg ist das überragende Symbol der gestürzten Habsburger-Monarchie. Frage bitte einen einzigen jener Touristen, die dort Tag für Tag zu Hunderten herumlaufen, wofür denn diese Ballung von Prunk- und Museumsbauten steht? Für den letzten Glanz der Monarchie steht sie, und der Heldenplatz für den propagandistischen Vollzug des österreichischen Anschlusses an Deutschland 1938, für sonst nichts.

Was sich an dieser Symbolik mit dem Akademikerball nicht vertragen soll, das müssen uns die Ballgegner bitte erst mal erklären.

Egal, ob wir uns das politische Raumschema nun als Gerade, als U-Form oder als Kreis vorstellen, niemand entkommt in der Politik dem Problem, dass er sich ideologisch nach zwei Seiten abgrenzen muss: nach links und nach rechts. Was aber bedeutet die schöne »Abgrenzung von der Gewalt«, wenn der aus der SPÖ kommende Bundespräsident Heinz Fischer die FPÖ zugleich auffordert, den Ball nächstes Jahr aus Sicherheitsgründen an einen anderen Ort zu verlegen?

Es bedeutet, dass sich der Bundespräsident die zertrümmerten Schaufensterscheiben perfide zunutze macht, dass er mit dem Schwarzen Block argumentiert, statt sich den Gewalttätern entgegen zu stellen und die Versammlungsfreiheit zu verteidigen.

Die Parlamentsgrünen, deren Fraktion du angehörst, haben einen noch größten rhetorischen Aufwand betrieben, um den Gewaltexzess zu verteufeln. Gut! Doch in derselben Woche, als diese Niederwerfung vor dem großen Publikum in Wien stattfand, da haben die Grünen mit 11.726 Stimmen den französischen Bauernaktivisten José Bové zum ihrem Spitzenkandidaten für die Eurowahlen nominiert.

Der militante Globalisierungsgegner Bové, der stets im Habitus des rauflustigen Straßenkämpfers auftritt, wurde im Jahr 2000 rechtskräftig wegen Demolierung einer Mc-Donalds-Filiale in Millau zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Vielleicht kannst du mir als cooler Jugendsprecher der österreichischen Grünen bei Gelegenheit mal erklären, worin genau der moralische und der strafrechtliche Unterschied liegt zwischen einer zerstörten Mc-Donald’s-Filiale und der »dummen« Randale des Schwarzen Blocks am Wiener Graben?

© Wolfgang Koch 2014

Foto: Martin Juen

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