vonWolfgang Koch 31.07.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ich melde mich seit Monaten kaum mehr aus der ehemaligen k.u.k. Residenzstadt, und das hat einen, wie ich meine, sehr triftigen Grund. Seit Jahrzehnten schon lag das geistige und kulturelle Leben in Wien nicht mehr so darnieder wie in diesem Jahr 2014.

Dabei hat alles ja durchaus vielversprechend begonnen. Medien, Politik und Universitäten kündigten im letzten Winter an, sich sämtlichen Aspekten des Anniversariums von 1914 zu stellen. Die Mutterkatastrophe aller Verwerfungen des 20. Jahrhunderts sollte ehrlich und offen analysiert werden, und die 18 Millionen Toten des Ersten Weltkrieges ein würdiges Andenken erhalten.

Und während zum Beispiel Prag nicht ein einziges Symposium zu diesem Thema veranstaltete, während sich Prag geradezu schamlos jedes erreichbaren Monarchieklamauks bedient, um Touristen zu unterhalten, standen in Wien allerlei akademische Veranstaltungen und Ausstellungen, Filmreihen und Festreden am Kalender.

Freilich herausgekommen ist bei all diesen Meetings und Konferenzen und Zeitungsbeilagen so gut wie nichts Neues. Das Weltmuseum am Heldenplatz widmet sich ausgerechnet den Weltreisen des 1914 spektakulär ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand. Die österreichische Boulevardpresse enchauffierte sich tagelang darüber, dass man in Serbien offen seines Mörders als einen Freiheitshelden gedachte. Ansonsten: Phrasen und die ewigen Plattitüden vom »Hineinschlittern« der Großväterwelt in das Blutbad der Nationen.

Der Schriftsteller Julian Schutting diagostizierte das 1914 »längst mumifizierte Herz des greisen Kaisers«;  Ex-Stadtwolf Alfred Zellinger twittere hundert Textschnipsel aus »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus aus der Galaxy-Sitzgruppe in seiner Wasserbibliothek.

Warum sich seine k.u k. Apostolinische Majestät, Kaiser Franz Joseph, am 28. Juli 1914 aber überhaupt zur »Allerhöchsten Entschließung« der Kriegserklärung an Serbien veranlasst sah, das bleibt den Österreichern weiterhin so verschlossen wie die Riesending-Schachthöhle im Untersberg.

Wir wissen nach der Welle von Beilagen und Reprints jetzt zwar, was der französische Sozialist und Kriegsgegner Jean Jaurès unmittelbar vor seiner Ermordung machte (das Bild einer jungen Frau betrachten); wir wissen nun, dass auch in Palästina 1915 österreichisch-ungarische Soldaten zum Einsatz kamen, – aber über solches brave Zeitungswissen hinaus gelangte der Diskurs praktisch nirgends.

Bis heute muss die epochale Studie Rites of Spring: The Great War and the Birth of the Modern Age von Modris Eksteins als unübertroffenes Werk zum Thema Erster Weltkrieg gelten. An dem 1989 erschienen Band hatte der kanadische Historiker acht Jahre lang gearbeitet. Zum Vergleich: gegenwärtige Kapazitäten der Kriegsgeschichte wie Herfried Münkler schieben alle sechs Monate ein neues Werk auf den Buchmarkt.

Während des Ersten Weltkriegs gab es eine heute praktisch vergessene Emigrationswelle von Kriegsgegnern in die Schweiz. Der junge Ernst Bloch zählte zu den Flüchtlingen aus der schweren Zeit, Walter Benjamin, Hugo Ball. Die Freie Zeitung, von Deutschen in der Schweiz geleitet und geschrieben, beschäftigte sich ausschließlich mit der Kriegspolitik. Die Kriegsschuldfrage stand im Mittelpunkt der Beiträge, und ihr Niveau übertraf locker die heutigen Diskussionen, die alle Schuld an diesem Krieg abwechselnd einer undurchschaubaren Komplexität der Verhältnisse oder Großmachtinteressen zuschreiben.

Aus der Mitte dieser pazifistischen Emigranten in der Schweiz entstand auch die bis beute wichtigste Schrift zum Ersten Weltkrieg aus der Feder eines Österreichers, nämlich Siegfried Fleschs großartige Analyse Oestereichs Stellung in Europa. Dieses kluge Buch wurde 1918 in Lausanne gedruckt und es hat bis heute keine zweite Auflage erlebt. Schon gar nicht im schläfrig, bei aller luftigen Aktivität vor sich hindösenden Österreich.

© Wolfgang Koch 2014

 

 

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