vonWolfgang Koch 02.08.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Am heutigen Tag vor genau einem Jahr, am 2. August 2013, erschien in der Rubrik »Glückwünsche« der Süddeutschen Zeitung eine verblüffende Kundmachung: ein Unbekannter veröffentlichte unter dem Kürzel »AK« ein Kurzmanifest, so knapp mit Worten, dass es nur aus 35 Zeichen bestand:

»Art No Art? Ich gebe die Frage an den KD-L47 ab«.

Wer, fragte sich die kontinentale Kunstwelt für einen kurzen Augenblick, beglückwünschte sich da selber? Wer wollte die ewige Menschheitsfrage, was genau nun Kunst sei, und was Krempel oder Kitsch, an eine neue, technische Instanz delegieren?

War der KD-L47 ein Roboter, eine neue App fürs Mobiltelefon, ein Cyborg, eine Maschine? Handelte es sich wieder einmal um eine dieser vielen angeblichen »Durchbrüche« der KI-Forschung? Müsste das Logbuch der Gegenwart irgendwie umgeschrieben werden? Und womit?

Sicherlich fragte sich der Kunstbetrieb 2013 diese Dinge viel zu oberflächlich. Anderntags kehrte man zu den Routinen zurück, wandte sich wieder der Kunsteuphorie der herrschenden Finanzeliten zu.

Nun, exakt ein Jahr später, lüftet der in Wien und Bayern lebende Künstler und Software-Entwickler Alexander Nickl das Geheimnis der ominösen Anzeige.

Nickl, der im letzten Jahrzehnt mehr abseits des Kunstbetriebs ein ansehnliches Werk geschaffen hat, stellt in der nächsten Woche mit den KD-L47 den Prototyp einer Kunstprüfungs-App vor.

»Ursprünglich ist es mir darum gegangen, meinen eigenen Arbeitsprozess zu optimieren. Ich produziere laufend Mentagramme genannte Zeichungen, die dann das Ausgangsmaterial für Installationen, Interventionen und Projektionen im öffentlichen Raum bilden. Der KD-L47 sollte mir helfen, rascher herauszufinden, welche Mentagramme gelungen sind und welche nicht. Warum sollte dem Künstler die Gnade der Einsicht erst in Not, Verzweiflung und Einsamkeit ereilen? Gibt es denn keine technischen Möglichkeiten mehr, die Kunstproduktion digital zu rationalisieren?«

Aus dieser praktischen Fragestellung heraus ist innerhalb nur eines Jahres ein rechnergesteuertes Gerät entstanden, das mittels der Reflexionen einer elektromagnetischen Lichtwelle zu eindeutigen Ergebnissen führt. Interferenzen an Bildschichten stellen für den KD-L47 ebensowenig ein Problem dar wie inkohärente Überlagerungen, so lange der technische Strahlungsempfänger das Objekt in einem bestimmten Einfallswinkel vom Raumpunkt aus detektiert.

»Das war nicht gerade ein Honiglecken«, beschreibt Nickl die Zusammenarbeit mit seinen Programmierern. »In die Algorithmen des Prozesses  sind sämtliche meine Standardkriterien bei der Beurteilung von Kunst eingeflossen, also Qualität der Komposition, Originalität des Ausdrucks, das Kontemplative und das Widerstrebende der Gestaltung, Informationsgehalt und Kohärenz der vorgefassten Bildidee«, berichtet Nickl. Obwohl sich der KD-L47 bestens dazu eignet, auf fremde Arbeiten angewandt zu werden und die Selbstbezogenheit des Künstlers intermediär zu überwinden, fordert die Betriebsanleitung den Benutzer auf, damit nur eigene Arbeiten zu überprüfen.

Die mit Spannung erwartete Präsentation des KD-L47 findet nächste Woche der Reihe nach in den Konferenzstädten Wien (Intercontinental), München und London (Marriott) statt.

© Wolfgang Koch 2014

 

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