vonWolfgang Koch 09.01.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die letzten, von ungebremster Reiselust gepackten Globetrotter, denen ich persönlich begegnet bin, waren ein Tiroler Handwerkerpaar unmittelbar vor der Familiengründung und ein österreichischer Lehrer Ende Fünfzig, der unbedingt noch einmal die Hippie-Kultstätten seiner wilden Jugendjahre aufsuchen wollte.

Die beiden Weltreisenden, von denen hier die Rede ist, taten es nicht dem Geld gleich, das heute virtuell um die Erde rast. Sie nahmen kein bequemes Sabbatical-Jahr und kehrten nach Distanzen, die sich in Flugstunden messen, in ihre geschützten Werkstätten zurück.

Der Schweizer Adrian Vonwiller und die Brasilianerin Ligia Fonseca traten im August 2010 eine Reise mit offenem Ausgang an. Das Paar bracht in Wien alle seine Zelte ab, kündigte die Miete der Wohnung, verstaute die Möbel in einem Depot und begaben sich für 820 Tage auf die Grande Tour. Die Route führte die beiden durch Asien, nach Australien und über den Pazifik bis nach Nord- und Lateinamerika.

Vonwiller und Fonseca nahmen auf dieser Odyssee konsequent Hostels statt Hotels, sie reisten bis Papua bewusst ohne Flugzeug, also mit Bahn und Bus über Land, per Autostopp, mit Linienschiffen oder als Crewmitglieder einer Jacht über die Ozeane. Sie schleppten je acht Kilo Gepäck in Rucksäcken mit sich, gaben in Summe zu zweit zirka 45.000 Euro aus, inklusive Möbellager in Wien. Das war pro Kopf weniger als 800 Euro im Monat.

Drei Meere, vier Kontinente und 44 Länder funktionierte das einwandfrei – und zwar nicht nur, weil die beiden stets einen Umweg nahmen, wo es andere eilig hatten. Dieses moderne, von Sicherheiten entschlackte Abenteuer funktionierte, weil dieses Paar – wie die wirklichen Reisenden zu allen Zeiten – die angebotene Infrastruktur für das Unterwegssein nach Kräften ignorierten, weil es nach Möglichkeit kein Hotel und keine Fahrt vorausbuchte und private Kontakte zu den Einheimischen knüpfte, wo immer sich diese anboten.

Für diesen Reisestil muss man genügend informiert und mutig sein – und der 1956 geborene Zürcher Adrian Vonwiller war als gelegentlicher Reiseleiter bestens über heutige Reisepraktiken informiert. Er kannte die oberflächliche Gier der Flugreisenden nach Schauererlebnissen, er kannte die exzessive Trophäenjagd, welche die Prestigereisen von westlichen Touristen in armen Ländern heute überall kennzeichnet; er kannte die Fettnäpfen und Fallen der Tourismusindustrien gut genug, um ihnen großräumig aus dem Weg zu gehen.

Adrian Vonwiller ist kein übermäßig disziplinierter Autor, aber er bringt in seinem Bericht wichtige Gegenwartsdiagnosen überraschend auf den Punkt. »Überall auf der Welt, außer in West- und Mitteleuropa und vielleicht noch in Japan, fehlt die Liebe zu den Dingen«, sagt er. Und diese Erkenntnis fiel ihm bereits ganz im Osten der Türkei zu, am blauen Vansee, aus dem deutsche und amerikanische Geologen eben Bohrproben aus großer Tiefe entnommen hatten.
Es war nicht das letzte Mal, dass den beiden Globetrottern aus Wien der alte Kontinent Europa mit seiner calvinistischen Kultur und Grundstimmung wie eine Insel in einem Meer von Unwissenheit und Unverständnis erschien. Dieser Eindruck kehrte bei ihnen an vielen Stationen entlang der alten Seidenstraße nach China wieder.

»In ganz Südostasien lieben es die Frauen im Bus zu kotzen«.

In China fiel den neuen Marco Polos auf, dass die Klarheit der Kaligraphie in einem krassen Missverhältnis zum Chaos der phonetischen Sprache steht. Neben dem »manchesterkapitalistische Land«, so Vonwiller, verhalte sich die Schweiz geradezu »wie ein kommunistisches Paradies«. Das Entstehen einer chinesischen Mittelschicht sei das Beste, was China heute passieren konnte. Ob es allerdings gut für die Welt sei, müsse dahingestellt bleiben.

In Indonesien roch es permanent nach verbranntem Plastik.

Zu den eindrucksvollsten Stellen des Buches gehören die Beobachtung eines Dusky-Leaf-Monkey im Taman Negatra-Nationalpark in Malaysien. Der Affe verschwand immer kurz in einem Bambusgebüsch, wenn echte Touristen vorbeihetzen, um danach wieder aus den Blättern heraus zu steigen und sich die entspannten Weltreisenden ebenso neugierig anzuschauen wie sie ihn.

Ähnlich malerisch, Monate später: der Flug von Aras im Corovada-Nationalpark in Costa Rica.

Vonwiller urteilt hart und zugleich verständnisvoll über die moslemische Welt. »Was«, fragt er unter den Malaien, »wäre der Islam ohne Lautsprecher?« Im überwiegend von Christen bewohnten Nordcelebes ändert sich dann dieser Tonfall. »Islamischer Terrorismus hat seine Ursachen weniger in sozialer Ungerechtigkeit… er ist nach meinem Gefühl viel mehr eine Reaktion auf dauerndes Erniedrigtwerden, auf gekränkten Stolz und Ehre«.

Da mag viel dran sein. Aber erstens ist der islamische Terrorismus keineswegs die Geisel unserer Zeit, zu der ihn westliche Massenmedien nach jedem Attentat hochstilisieren. Die Geisel unserer Zeit ist und bleibt die sämtliche Lebensbereiche erfassende Arbeitshetze, die ökonomische Abhängigkeit der Menschen von idiotischen Jobs.

Diese Abhängigkeit hat überall in der industrialisierten Welt in den letzten Jahrzehnten zugenommen.

Zweitens erniedrigt in Europa niemand moslemische Migrantenkinder aufgrund ihrer Religion. Drittens zwingt sie in Frankreich niemand das Satireblatt »Charlie Hebdo« zu lesen, usw. Der »gekränkte Stolz und die beleidigte Ehre« sind sowenig eine Erklärung für den islamischen Terrorismus, wie das die nassforsche Offiziersmentalität für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs war.

Zum »gekränkten Stolz« der Islamisten gehört ja ein Anspruch auf geistige Hegemonie, der von allen anderen, den Gläubigen und den Ungläubigen, den Moslems und den Nichtmoslems notwendigerweise zugewiesen werden muss. Und zur höheren »Ehre der Krummsäbel« gehört auch ein islamischer Machismo, der in einer Welt der Gleichberechtigung der Geschlechter nichts mehr verloren hat.

Unsere beiden Weltreisenden beklagen die Frauenverachtung nicht unter Moslems, sondern auf Papua Niugini. Sie beschreiben Australien als Sauf- und Fickparadies von Jugendlichen aus reichen europäischen Ländern. Und sie loben den dortigen Natur- und Artenschutz:

»Es wird eine Zeit kommen in nicht allzu ferner Zukunft, da wird es auf unseren Planeten noch genau ein Land mit tropischem Regenwald und Korallenriffs geben, und es wird Australien heißen!«

© Ligia Fonseca

 

In Vanuatu fällt der Reisebericht wieder politisch naiv aus. Von der glücklosen Pfeil- und Bogenrebellion des Jimmy »Moses» Stevens und seiner Anhänger 1980 haben unsere Gäste vor Ort nichts zu hören bekommen.

Doch dieses Buch will sich ja nicht Geschichtsforschung betreiben, sich auch nicht mit der Zukunftsforschung eines Robert Kaplan vergleichen. Es ist eine selbstbestrickte und darum sehr sympathische Reiseliteratur. Abwechslungsreich, amüsant und unabhängig.

Vonwiller diskutiert die Absurdität von Rugby-Spielen und finden eine passable Erklärung in einer parareligiösen Grundstruktur dieses Sports, welche die Zuschauer glauben lässt, dass es da immer jemanden gibt, der die komplizierten Regeln am Spielfeld versteht.

In der Südsee bemerkt man die Unzufriedenheit von weißen Auswandern; Vonwiller führt die sichtbare Enttäuschung dieser Freiheitssucher aus dem Westen auf intellektuelle Faulheit unter der Tropensonne zurück.

»Man muss sich halt auch fürs Paradies interessieren, wenn man im Paradies sitzt«, sagt er, also für die Fische der Korallenriffs, für die Seeschlachten des Zweiten Weltkriegs und für den Zusammenhang zwischen krähenden Haushähnen und der Erforschung der Higgs-Teilchen.

Das alles gibt es im Paradies.

© Wolfgang Koch 2015

Adrian Vonwiller und Ligia Fonseca: Supermann im Vogelkäfig. Die politisch-unkorrekte Weltreise. Unartproduktion, Dornbirn 2014, 239 Seiten, ISBN: 978-3-901325-87-8, Euro 22,00.

Fotos aus Brasilien und Kasachan von Ligia Fonseca

Videos: Superman im Vogelkäfig

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