vonWolfgang Koch 29.01.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Regierende Sozialdemokraten haben es wirklich schwer. In Griechenland wurden sie gerade mit nassen Fetzen aus den Regierungsämtern gejagt. In Spanien steht der tief im Korruptionssumpf steckenden PSOE möglicherweise dasselbe bevor. Selbst im Norden wird es den Genossen mulmig in der eigenen Haut, so dass sie inzwischen zu den merkwürdigsten Mitteln greifen, um wieder mit dem kleinen Mann auf der Straße ins Gespräch zu kommen.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nahm, weil er ohnehin aus privaten Gründen im Dresdner Raum gewesen sei, an einer Veranstaltung mit Anhängern und Gegnern der systemkritischen Rechtsaußen-Bewegung Pediga teil. Das ist mündig und unverdrossen, es  wird seiner Partei sicher wieder einen kleinen Schritt helfen, die Konjunkturzyklen der Wirtschaft nachhaltig zu beherrschen.

Österreichs Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der seiner Partei den wohl schwersten Imageschaden der letzten Jahre zugefügt hat, indem er die Invaliditätspension zu Grabe trug, dieser ständig in den österreichischen Medien für noch höhere Ämter genannte Sozialdemokrat macht sich nach einem Skiunfall im größten Boulevardblatt des Landes über die Lahmheit der Kranken lustig, indem lachend im Unfallkrankenhaus ankündigt, auf Krücken wieder im Ministerium zur Arbeit zu erscheinen. »Die Reha kann ich schließlich nebenher machen«.

Regierende Sozialdemokraten haben es einfach schwer. Erstens schwer, das richtige Augenmaß im »Kampf gegen die Herrschaft der Milliardäre« zu bewahren, den richtigen Takt, den richtigen Ton, das gesunde Quantum an Verstellung. Und sie haben es zweitens schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren, das sowieso. Mit dem Finanz- und Wissenskapitalismus ist in seiner Globalität ja einfach nicht zu Spaßen.

Darum hat im verwehten Herbst die Wiener SPÖ mutwillig eine Programmdiskussion vom Zaun gebrochen. Vielleicht ist ja eine öffentliche Debatte ein Ausweg, um moralisierende Vorbehalte gegen die auf jedes Amt und jeden Posten versessenen Sozialdemokraten zu zerstreuen! Vielleicht ist Geistesarbeit das Richtige, um sich wieder das Image einer weltoffenen Partei zu geben – mit aufmerksamen Ohren für die Sorgen und Nöte der Sesshaften und Nichtsesshaften.

Allein, der Diskussionsprozess der Roten im Wiener Rathaus ist auch nach Wochen und Monaten noch nirgends über eine Metadiskussion hinausgekommen. In der Parteizentrale wird gelegentlich disputiert, wie mit den allenfalls aus Teilorganisationen, allenfalls von Mitglieder oder gar von Nichtmitgliedern eintrudelnde Positionen verfahren werden soll.

In einem auf Jahre veranschlagten Prozess, natürlich.

Da gibt es vier Phasen und acht Themenkreise, es gibt Kick-Offs, wie das heute im Managerseminar heißt, man sucht Moderatoren, und es gibt Rückmelde- und Evaluierungsabsichten, es gibt statistische Erhebungen der Mitgliedermeinungen zu den Grundwerten der Partei, urnette, bunte Tortengraphiken aus dem Farbdrucker, wirklich schön, aber Blitz und Feuer ist noch keines aus den Köpfen geschossen, Kerne des alten Parteiprogramms sind noch keine geschmolzen.

Ein Bürgermeisterzitat, DER GROSSE VORSITZENDE SAGT, das gibt es, energische Blicke, perfekt sitzende Frisuren, die gibt es. Aber alle weiteren Signale an die Öffentlichkeit beschränken sich auf ein Webformular, das den Nutzer in der Welt, in der er da draußen lebt, mit der Botschaft »Meine Idee fürs Programm« empfängt und ihn mit dem Folgesatz »Hier können Sie uns Ihre Idee hinterlassen« auch gleich wieder verabschiedet.

Statt Offenheit in der Kommunikation: freundliche Absichtserklärungen. Statt einem nervenzerrüttelndem Analysieren von dramatischen Nicht- und Scheinbeschäftigungsverhältnissen: das tägliche Lächeln der Politikdarsteller im Fernsehen. Statt Diagnosen aktueller gesellschaftlicher Bruchlinien: ein verschwörerisch herumgereichtes Positionspapier Nr. I des wissenschaftlichen Beitrags der Programmdiskussion mit dem Titel »Die Welt, in der wir leben«, verfasst von sieben Akademikern, die ihre Arbeitsplätze als Volkswirtschaftler, als Trainer für Wirtschaftsführung und ähnliches natürlich nicht ihrem Parteibuch verdanken, sondern einer gemeinsamen elaborierten Sprache.

Nun ist schon klar, dass Parteiprogramme selten etwas mit der praktischen Politik einer Partei zu tun haben. Parteiprogramme sie sind per Definition Beschäftigungsprogramme für idealistische Intellektuelle – sofern eine Regierungspartei überhaupt noch mit so wunderlichen Exemplare aus der Tiefsee aufzuwarten hat.

Parteiprogramme sind ihrer Ideen nach eine Plattform der Verständigung, ein Vehikel der Integration von Randständigem, eine Aneignung und ein Überprüfen von Wissen, vor allem aber sind Programmdiskussionen Akte der ausdauernden Selbstbeschäftigung. Und was tun gebildete Regierungslinke denn überall auf der Welt lieber, als sich ausgiebig, nachdenklich und resignativ mit sich selbst zu beschäftigen?

© Wolfgang Koch 2015

http://wienmachtprogramm.at/meine-idee-fuers-program

Foto: SPÖ Pressedienst

 

 

 

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