vonWolfgang Koch 29.03.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Katalog zur Ausstellung »ExistenzFest« im Wiener Theatermuseum bietet durchaus brauchbare Informationen zur Annäherung an die komplexe Theaterarbeit von Hermann Nitsch. Neue theaterwissenschaftliche Erkenntnisse oder funkensprühende kulturtheoretische Thesen aber sucht man vergeblich.

Auf den Katalogseiten ist viel von der »schwierigen kulturpolitischen Rekonstruktion und Identitätsfindung« in Österreich ab 1945 die Rede, von der seinerzeitigen »Neubestimmungen der Kunst« und den »utopischen Werkpositionen« der 1960er-Jahre. Wirklich Neues erfährt der Leser dabei nicht, und so tröstet man sich bald mit dem Gedanken, dass das in einem Museum ja auch nicht unbedingt sein muss.

Will ein Museum aber mehr sein als ein Ort der Bewahrung, nämlich ein Institut der Forschung, ein Labor, das mit seinen Objekten geordnete Fakten auf den Tisch legt oder unverbrauchte Blickwinkel erprobt, dann ist die Bilanz dieser zwei Jahre lang vorbereiteten Schau eher bescheiden.

Gewiss, der Katalog bietet die heute überall üblichen Bildungsschüsseln auf, um sich dem Theatralischen im Werk von Hermann Nitsch zu nähern: Platons Höhlengleichnis, Piranesis Carceri, Adornos Diktum über Gedichteschreiben nach Auschwitz,… Der slowenische Schurbelmarxist und erklärte Pornograph Slavoj Žižek kommt als Autorität zum Thema »entbanalisierte Liebe« zu Wort – aber wir schreiben heute bitte nicht mehr 1995, sondern zwanzig Jahre später.

Kurator Hubert Klocker betont in seinem Beitrag ein »Primat der Wahrhaftigkeit und des Libertären», drei Seiten weiter spricht er dann von einer »egalitären und libertinären Bewusstseinserweiterung«. Was denn nun?

Der intellektuelle Kopf der Ausstellung kann sich nicht zwischen dem »Libertären« und dem »Libertinären« entscheiden, und es ist wohl von Glück zu sprechen, dass er nicht auch noch den »Libertarianismus« kennt, eine Bürgerrechtsbewegung, die auf eine vollständige Abschaffung und Beschränkung des Lesens zielt.

Richtig ist, dass wir es beim Orgien Mysterien Theater mit einer additiven Konstruktion zu tun haben. Klocker beobachtet, dass sich dieses Gesamtkunstwerk und seine Rezeption unablässig verändern, dass einmal mehr das statische Bildobjekt der Ereigniskunst im Vordergrund stehen, dann wieder die Musik oder das Theater, und nur sehr selten die Literatur.

Es stimmt auch, dass alle Postavantgarden der 1960er und 1970er irgendwie miteinander zu tun haben, auch Nitsch und das legendäre Living Theater waren mal Zeitgenossen. Zur Tatsache, dass die Konzepte von Julian Beck und Hermann Nitsch aber viel mehr trennt als sie vereint, liegt seit fünfzehn Jahren eine deutsche Magisterarbeit aus Krefeld vor.

Der Theaterregisseur Herbert Blau vertritt die Ansicht, die Wiener Aktionisten hätten nach einer Kunst gestrebt, »die Kunst zerstörte«. Das scheint mir mit dem Destruction in Art-Symposion, zu dem Nitsch 1966 erfolgreich nach London eingeladen wurde, gründlich widerlegt worden zu sein.

Die Aktionisten erkannten das Schöpferische an der Zerstörung, verkaufen aber wollten sie ihre Arbeiten immer ganz gerne.

Der wenigstens sprachlich originelle Frank Gassner verweist darauf, dass Nitsch »der letzten Generation angehört, die sich der Benutzung jedes digitalen Geräts weitgehend entziehen kann«. Das wieder ist nur halbrichtig, weil Nitsch eben mit technikaffinen Assistenten wie Gassner selbst arbeitet.

Vor zweihundert Jahren hätte man über jeden europäischen Fürsten sagen können, dass er sich der der Benutzung der Peitsche weitgehend entziehen kann. Dafür besaß er schließlich einen Kutscher.

Stanford-Professor Adrian Daub nähert sich umständlich dem Klanggeschehen im Orgien Mysterien Theater und reanimiert zunächst ein längst tot geglaubtes Vorurteil. Seiner Ansicht nach werde die Musik Gustav Mahlers »weitgehend ironisch« in den Musikcollagen von Nitsch eingesetzt, und die Ländler und Schuhplattler sogar »satirisch«.

Bei vielen Prinzendorfer Festen kann der Mann noch nicht anwesend gewesen sein. Denn eine der musikalischen Leistungen von Nitsch besteht ja gerade darin, volkskulturelle Elemente ohne einen ironischen Hintergedanken zu zitieren, die kulturellen Traditionen gegen alle intellektuellen Vorbehalte harmonisch in sein Werk zu integrieren.

10_Hermann_Nitsch_50.Aktion_1975

Richard Wagner, Anton Bruckner, Alexander Skrijabin – all diese Bezüge zur Kunst von Nitsch sind seit vielen Jahren nicht nur einer Fachwelt bekannt. Man muss einmal damit beginnen, neue Frage an dieses Werk zu stellen. Das Aleatorische und Ludische der Musik, das, was Nitsch unter »organisierten Zufällen« in seinen Kompositionen versteht, könnte zum Beispiel auch etwas mit der Tondichte im zeitgenössischen Jazz zu tun haben.

Immerhin entdeckt Daub das Sittlichkeitsbemühen, den Läuterungsgedanken in der Existenzmusik von Nitsch. Und er nutzt die bewegte Biographie des Künstlers für eine kluge Beobachtung. Daub stellt nämlich einen Zusammenhang her zwischen dem höllischen Lärm der Bombardements, die der Komponist als Kriegskind erleben musste, und der bedrohlichen Stille, die den im Luftschutzbunker wartenden Menschen damals einen tödlichen Treffer angezeigt hat.

Drei der Autoren des Katalogs beziehen sich auf das Lesedrama Die Eroberung von Jerusalem (1973) als geistige Quelle der Theaterarbeit. Das leuchtet mir wenig ein. Wie könnte diese fiktionale Literatur mehr Aussagekraft zur szenischen Arbeit besitzen als die seitenlange Selbstaussagen des Künstlers in seinen theoretischen Schriften?

Ein Beiträger schwärmt reichlich blauäugig vom »tranceartig fließenden Zustand«, in den das unterirische Höhlensystem dieser Horror-Literatur die darin herumwandernden Figuren versetzt. Dass dieser fließende Zustand auf einer explizit ausgekosteten Mordlust basiert, wird dem Leser tunlichst unterschlagen. Auch, dass Nitsch als Verfasser die Existenz dieses monströsen Textes schon mehrfach bedauert hat, sollte heute nicht mehr unterschlagen werden.

Die Liste der Mängel und Lücken ist lang. Dass das deutschsprachige Feuilleton und die Theaterfachpresse durchaus geteilt auf manche Eingriffe des Künstlers in die ausgestatteten Stücke reagierte, verschweigen uns Ausstellung und Katalog vollständig.

Kritiker haben ja nicht immer nur gejubelt. Man hat zum Beispiel die Projektion eines Caspar David Friedrich-Motivs in Messiaens Vogelkonzert als ein »ärgerliches Missverständnis einer grandiosen Partitur« bezeichnet, als »übersüßen Kitsch der Ornithologie«; die Theaterkritik hat den Einsatz von Theaterblut in den Teilrealisierungen des Orgienmysteriums hinterfragt und ob Freiluftszenen wirklich mit Gewinn in Theaterhallen umgesetzt werden können.

Das alles waren interessante, anregende öffentliche Diskussionen zum theatralischen Werk von Hermann Nitsch.

In der Ausstellung »ExistenzFest« blitzt kein Funken davon auf. Das Schaffen des Künstlers scheint in einer ewigen Polarität von Befürwortern und Rabiatgegnern stattzufinden, ob als es nicht auch differenzierte Standpunkte gäbe; das ritualisierte Theaterwerkel wird in diesem staatlichen Museum zur sanftmütigen Fortsetzung eines Kulturkampfes erhoben, der in Wahrheit immer nur stattgefunden hat, wenn sich der träge österreichische Boulevard zu einem Emotionsfeuerwerk entschließen konnte.

© Wolfgang Koch 2015

Theatermuseum Wien: ExistenzFest, Hermann Nitsch und das Theater.
1010 Wien, Lobkowitzplatz 2, bis Jänner 2016

Zweiprachiges Begleitbuch von Hubert Klocker, Thomas Trabitsch und Michael Buhrs im Verlag Hatje Cantz, 224 Seiten, ISBN-Nr.: 978-3-77573-995-5, 35,- Euro

www.theatermuseum.at

Fotos:
Manuskript des Orgien Mysterien Theaters, 1965. Roter und blauer Kugelschreiber auf Papier (Österr. Ludwig Stiftung Wien)

50. Aktion oder Eintagespiel in Prinzendorf, 1975 (Archivio Conz)

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