vonWolfgang Koch 26.04.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ausgerechnet in den ehemaligen Wiener Hofstallungen wurde letzte Woche die Kunst des Wiener Aktionismus diskutiert. Die horrible Akustik in diesen Sälen des Museumsquartiers gehört zu den stärksten Tabuthema im Kulturleben der Weltstadt von eigenen Gnaden, da ja alle Verantwortlichen für die millionenteure Renovierung – die Architekten und Planer, die Kulturpolitiker und die involvierten »Experten« des Architekturzentrums – noch leben und weiterwirken zum Segen des vernuschelten Wortes.

Aber das Wiener Publikum hält brav still oder bleibt in Massen zu Hause. Denn in dieser Stadt wird man lieber behaupten, der Mangel an Verständlichkeit der Worte liege am schwierigen Thema und nicht an den Bausünden der Vergangenheit. Aber so ist es keineswegs.

Es stimmt natürlich, dass sich der akademische Diskurs über den Wiener Aktionismus seit den 1970er-Jahren im Kreis dreht. Gesteuert von bestens organisierten Sammler- und gut geölten Archivarenkreisen pendelt die Interpretation des Avantgardeepoche 1962-1971 zwischen den beiden Extremen: a) Der Wiener Aktionismus war ein viriles Aufbegehren gegen den postnazistischen Konsens der österreichischen Nachkriegsgesellschaft, und b) Der Wiener Aktionismus war eine Reihe körperliche Selbsterfahrungen, bei der die menschliche Natur den Angelpunkt der Wertschöpfung abgab.

Beim Symposion »Mein Körper ist das Ereignis«, veranstaltet vom Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, schlug das Pendel naturgemäß stärker in die zweite Richtung aus. Wirklich Neues und Exzeptionelles war bei den Vorträgen und Podiumsdiskussionen nicht zu vernehmen. Die »Verortung im internationalen Kontext« glich wieder einmal jener bereits bekannten Zwischenlösung, die das provokante Produkt Life Art in die Felder von Tanz und Theater auszulagern versucht.

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Die deutsche Theaterwissenschafterin Barbara Gronau aktivierte die ausgelatschten Begriffe »Ritual« und »Transgression«, um historischen Aktionen neue Töne zu entlocken, womit aber letztlich wieder nur das Nichtbenennbare an der Inszenierung oder das Gesellschaftskritische in der Rezeption appliziert wurde.

Unter Ritual versteht Gronau eine »transformative Handlung«, die einem Muster folgt, die sich auf Normen und Werte bezieht, die einerseits dynamisch eine transformative Kraft entfaltet und zugleich stabilisierend und existenzsichernd wirkt.

Als Beispiele für dieses Wunderding dienten ihr die mehrtägigen Orgien Mysterien Spiele von Hermann Nitsch sowie mehrere Aktionen von Joseph Beuys, darunter die fünfstündige Publikumsperformance »Celtic+~~~« am 5. April 1971 in einem Basler Zivilschutzbunker.

Dass Rituale unbedingt wiederholbar sein müssen, um als solche gelten zu dürfen, dieses Kriterium wurde von der Referentin wohlweislich unterschlagen – denn es hätte ja nur auf Nitsch zugetroffen, der seine mythotheatralischen Aktionen mit Hilfe von Spielpartituren tatsächlich reproduzierbar macht. Für das Gros künstlerischer Aktion in den letzten dreißig Jahren aber gilt das nicht; sie betonten die Einmaligkeit des Aktes, die Unwiederholbarkeit des Erlebens.

Also ist für Aktionskunst höchstens der Terminus »Quasiritual« brauchbar, und  SymposionsteilnehmerInnen, die diesen Mangel empfanden, schwindelten sich in der Regel mit dem Terminus »Ritual Patterns« über den Abgrund.

Die Theaterforscherin Sandra Umathum widmete sich der Kunst des Schießen in Galerien und Museen. Dabei fiel auf, dass Niki de Saint Phalles Schießbilder mit großem feministischem Wohlwollen bedacht wurden; Umathum sah darin einen »Akt der Abreaktion« von der als Kind sexuell missbrauchten Frau; sie sah darin den Wunsch zu terrorisieren, ohne sich schuldig zu machen; und die Idee der Geburt durch Zerstörung.

Im Kontrast dazu musste sich Chris Burdens berühmte Aktion Shoot  vom 19. November 1971 den Vorwurf gefallen lassen, ein maskulines Klischee zu inszenieren, den Augenblick der Angst kalkuliert-heroisch und kontrolliert darzustellen. Immerhin sei kein Arzt, ja nicht einmal Verbandszeug in der Galerie in Santa Ana zur Hand gewesen, als sich Burden vor zwölf Augenpaaren in den Oberarm schießen ließ.

Im Sinn des Künstlers betonte die Vortragende die »Erfahrung des Angeschossenwerdens«. Das wäre nun genau der richtige Moment gewesen, um auf die fulminanten Arbeiten des Libanesen Rabih Mroué zu sprechen zu kommen. Dieser Künstler hat – hochaktuell, präzise und analytisch – den Blick der Opfer auf den Täter in den Kriegen im Irak und in Syrien zu seinem Thema gemacht.

Interessant Umathums Hinweis auf einen leicht zu übersehenden Aspekt von Wafaa Bilals Domestic Tension. Im Mai 2007 ließ sich dieser irakstämmige US-Künstler 31 Tage lang in einer Galerie mit etwa 60.000 ferngesteuerten gelben Paintballs beschießen. User aus 128 Ländern nahmen an einer Art Milgram-Experiment teil und machten sich per Internethunting zum Lebensfeind des Künstlers, oder wie Umathum sagt: »Hier setzte der Künstler erstmals das Publikum als Gegner«.

MUMOK

Der Tanzkurator Eike Wittrock beschäftigte sich mit der hybriden Praxis des Neoschamanismus, einer Subströmung im zeitgenössischen Tanz, die sich ungeniert der aktionskünstlerischen Formensprache bedient und damit den Musealisierungsprozess der Life Art auf ihre Weise beschleunigt.

In diesem ekstasesüchtigen Genre steht die Selbstrepräsentanz der ewig jungen Community von Tanzfestivals im Vordergrund. Man isst, man schläft und man tanzt gemeinsam. Man nimmt Drogen, man bedient sich körpertherapeutischen Bewegungsmaterials, man ironisiert esoterische Ansätze mit Schwitzhütten in der Fußgängerzone, Popmusik oder Masken. Als erklärtes Feindbild des szenischen Neoschamanismus gilt der durch Fitness- und Wellnessmoden geschönte Körper.

Als Exempel für sein Theaterdispositiv dienten Wittrock unter anderem die grotesk-expressiven Arbeiten von Florentina Holzinger und Vincent Riebeeck, einem Tänzer, der in der gemeinsamen Produktion Kein Applaus für Scheiße das Ekelkunststück fertig brachte, einen Liter blau gefärbte Reismilch auf die weiblichen Brüste zu kotzen.

Keine Frage, dieser tänzerische Neoschamanismus ist für Groß & Klein sehr unterhaltsam. Er bleibt uns aber bisher die Antwort schuldig, wo denn nun die ästhetischen Grenze zur BDSM-Kultur verläuft. Dass man für den hübschen Theaterekel Subventionen und die Unterstützung von staatlichen Kulturinstituten erhalten kann, die SM-Orgie aber in die strengen Kammern einer geschlossenen Gesellschaft verbannt bleiben muss, das reicht der kontrollierenden vierten Gewalt im Staate, der Pressekritik, bitte noch nicht.

© Wolfgang Koch 2015

 

Fotos: mumok/ Krinzinger/ Abramović

Marina Abramović: Art Must Be Beautiful, 1975

Carolee Schneemann: Meat Joy, 1964–2008

Laurent Ziegler: Ausstellungsansicht, 2015

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