vonWolfgang Koch 22.06.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der deutsche Autor Tjark Kunstreich, 48, legt uns einen schmalen Debattenband mit sieben Texten vor, die das Unbehagen engagierter Menschen in (und keinesfalls an) der Homosexuellenbewegung thematisieren.

Kunstreich, der seit 2010 in Wien lebt, trägt in dem Buch unter anderem die durchaus bedenkenswerte These vor, das Genderdiktat habe der homosexuellen Emanzipation einen regelrechten Bärendienst erwiesen.

Um diese Urteil zu begründen, geht der Autor allerdings nicht in leicht nachvollziehbaren Schritten vor, der rote Faden schlängelt sich vielfach verknotet durch die gebündelten Zeitschriftenaufsätze und gedruckte Redebeiträge, so dass der Leser/ die Leserin die Mosaiksteine erst mühsam zusammensetzen muss.

Homosexualität versteht der Autor als pars pro toto einer sexuellen Abweichung. Der schwullesbische Kampf um rechtsstaatlichen Schutz und gesellschaftliche Akzeptanz schließt in dieser Definition sämtliche devianten Formen der Sexualität mit ein – was umgehend zwei Bedenken auf den Plan rufen muss.

Einerseits wird ja gerade dieser polarisierende Ansatz, der andere Minderheiten stillschweigend in die Gay-Community miteingemeindet, von Vertretern der Queer-Theorie angezweifelt. Andererseits zieht der Autor keine erkennbare Trennlinie vom homosexuellen Verhalten zu pädokriminellen Aktivitäten, sondern behandelt die »Knabenliebe«, als wäre sie bloß ein Kuriosum der Antike.

Trotz dieser generellen Schieflage des Buches kommt die intellektuelle Arbeit darin doch ordentlich in Fahrt. Kunstreich vertritt nachdrücklich die Ansicht, dass individuelles gleichgeschlechtlichen Begehren von der Homoerotik des Männerbundes analytisch streng unterschieden werden muss. Diese beiden Felder stehen in einer rätselhaften und aufklärungswürdigen Beziehung zueinander.

Hier, in einem Gegensatz von Individuum und Kollektiv, müsse nach den Ursachen von so verschiedenen Dingen wie politischem Totalitarismus, klösterlicher Religiösität und Fußball gesucht werden. »Die Homosozialität der Mannschaft«, sagt Kunstreich über den beliebtesten Ballsport, »die lebt davon, dass das erotische Interesse, welches sie zusammenhält, nicht sexuell manifest wird«.

Im dritten Kapitel wendet sich der Verfasser der politische Selbstdemontage einer der bedeutendsten Philosophenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu: Michel Foucault. Ende der 1970er-Jahre stand dieser, eine ganze Lesegeneration in Europa und in den USA prägende Intellektuelle auf der Höhe seiner Schaffenskraft und wandte sich – für die Zeitgenossen völlig überraschend – in einem halben Dutzend journalistischen Artikel dem Sturz des persischen Schahs und der damals entbrannten iranischen Revolution zu.

Kunstreich zeichnet informiert nach, wie der lebenslang unerbittliche Machtanalytiker Foucault, der die politische Theorie und den Befreiungsdiskurs mit den Begriffen Bio- und Disziplinierungsmacht durcheinander gewirbelt hatte, in nur wenigen Wochen »der Faszination durchs Totalitäre« erlag.

Foucaults Bekenntnis zum Antikapitalismus und seine öffentliche Rivalität mit Sartre um mediale Aufmerksamkeit mögen zum Sündenfall beigetragen haben. Letztlich aber blieb es immer ein Rätsel, warum dieser kritische Mann, in der Atmosphäre einer endlosen gallischen Geschwätzigkeit, im Islamismus der iranischen Linken ein weltpolitisches Hoffnungslicht sehen konnte.

Kunstreich geht es um Foucaults Denken und um seine Homosexualität, und er bemüht sich zugleich faschismustheoretisch um den Islamismus. Nach mehr als dreissig Jahren liest er aus der katastrophalen Parteinahme für Khomeini und die Scharia den persönlichen Wunsch des Denkers Foucault nach »Wärme der Gemeinschaft« und nach »völkischem Kitsch« heraus. Der französische Philosoph sprach wörtlich von einem »Versuch, dem politischen Leben wieder eine spirituelle Dimension zu verleihen«.

»Hätte Foucault Filme gedreht«, bilanziert unser Autor, »er hätte die Riefenstahl der islamischen Revolution und des Ayatollah Khomeini werden können«. Die Begeisterung des prominenten bekennenden homosexuellen Franzosen für das Virile, lautet Kunstreichs Verdikt, habe letztendlich der Angleichung des Homosexuellen an das homophobe Ideal gedient.

Damit kehrt der Text zurück zur anfänglichen Behauptung, zwischen individuellem gleichgeschlechtlichen Begehren und der Homoerotik des Männerbunds liege eine noch unentdeckte kulturelle Matrix begraben. Der auf Geschlechtertrennung setzende Islam soll sich im Fall Foucaults quasi von selbst angeboten haben für ein Begehren, das die Begeisterung für das Maskuline und das Vitale mit Zucht und Ordnung paart.

Kunstreich meint hier, in Foucaults intellektueller Selbstbeschädigung, die Bewegung einer doppelte Sehnsucht zu erkennen: nämlich, psychoanalytisch gesprochen, die Sehnsucht  »nach dem Ursprung im Mutterleib«, und, polit-philosophisch gesprochen, die Sehnsucht nach dem gütigen »Souverän«, welche zusammen das Ferment des Nazismus bilden würden.

Eine weitere Beweisführung bleibt aus, was schade ist, aber ja nicht endgültig sein muss. Foucaults denkerische Anstregungen und seine öffentlichen Interventionen werden immer noch viel zu selten aus dem Biographischen heraus interpretiert. Hierin liegt ein Verdienst des Aufsatzes.

Allein der gütige, den Einflüsterungen von Philosophen zugängliche Souverän war schon das platonische Ideal und das Ideal vieler nachfolgender Denkschulen gewesen, bevor es in die genuine Ideologie des 20. Jahrhunderts, den Faschismus, einging.

Wo sich die theoretische Bemühung um die Homosexuellenbewegung auf solche vagen Spekulationen einlässt, wo sie aus einer bloßen Ähnlichkeit historischer Phänomene so weitreichende Schlüsse zieht wie bei Kunstreich, ist sie mir von der Polemik noch nicht weit genug entfernt.

© Wolfgang Koch 2015

Tjark Kunstreich: Dialektik der Abweichung. Über das Unbehagen in der homosexuellen Emanzipation, 133 Seiten, konkret Texte 67, Hamburg 2015, ISBN 978-3-930786-78-7, EUR 15,-

Foto: T. Kunstreich

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