vonWolfgang Koch 25.06.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Letzte Woche versuchte das außeruniversitäre Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst (iwk) die Aktualität des französischen Philosophen und Wissenshistoriker unter Beweis zu stellen. In nicht weniger als 16 Vorträgen beschäftigen sich Forscher, Theoretiker und Übersetzer aus vier Unionsstaaten mit dem Narratorium der »Machtanalyse nach Foucault«.

Vierzig Jahre nach der Monumentalstudie »Surveiller et punir/ Überwachen und Strafen« spürte die Tagung der Frage nach, welche neuen Machtformen in der Zwischenzeit entstanden sind und mit welchen begrifflichen Mitteln sie erschlossen werden könnten.

Unter den sieben Vortragenden, die ich gehört habe, stachen der Frankfurter Kulturwissenschafter Andreas Reckwitz und der Wiener Philosoph Walter Seitter durch besondere Thesenfreudigkeit hervor. – Man solle nicht vorgeben zu philosophieren, sondern wirklich philosophieren, hat schließlich schon Epikur von sich selbst verlangt.

Die meisten Auftritte glichen freilich eher den Monologen byzantinistischer Gelehrter, die nur sehr ungern die Behaglichkeit ihrer Studierzimmer verlassen, und wenn sie es doch einmal tun, dann nur um sich mit gleichgesinnten Bewohnern des Elfenbeinturms über Fußnoten und Übersetzungsfragen zum Werk auszutauschen.

Über weite Strecken glich das wissenschaftliche Palaver eher den Exerzitien von Seminarmarxisten; man begnügte sich mit dem Zurufen von Vorlesungstiteln und erstarrte lächelnd vor der eigenen Kompliziertheit. Der spürbare Ekel der Intellektuellen vor der Banalität gewann regelmäßig die Oberhand und die Diskussion erlangte nur bei der Behandlung von Sozialfiguren einigermaßen Lebendigkeit.

Rubert Gaderer lehrt in Bochum und gastierte in Wien mit seiner Querulantologie, einem bis heute nicht abgeschlossenen Kapitel der Psychiatriegeschichte. Seit dem 18. Jahrhundert verstoßen sogenannte Briefsteller, Kohlhaase, Prozeßhanseln oder Quengler gegen den mimetischen Schreibgehorsam und versenden eine Vielzahl von schriftlichen Eingaben an die Behörden.

Für einen Foucaultianer ist dieses »Patienten-Querulantentum« natürlich ein Produkt der Institutionen. Ursprünglich drehte sich dabei alles um den graphologischen Befund der Normalität einer Handschrift. Später, vor allem bei dem für die Geschichte der Psychoanalyse so wichtigen Fall des Daniel Paul Schreber, ließ sich die Rechtsquerulatorik kaum mehr von der Rechthaberei, wie wir sie heute aus Netzforen kennen, unterscheiden.

Für Gaderer, der keine verlässlichen Zahlen zur »juristischen Wissensfigur« des Querulanten angeben konnte, ist das Querulantentum »ein mediales Problem der Kommunikation«. Die Störmanöver der Machtdiskurse erlauben es, das Wahrsprechen zu untersuchen. Ob es sich dabei um polemische Akte der Gesellschaftskritik handelt oder um eine »Kritik-Überaktivität«, das lasse sich nicht generell beantworten. Entscheidend an der Geschichte der gerichtlichen Eingaben sei die Verschiebung des Stigmas zum Wissen hin.

Der Schweizer Robert Nigro wollte Foucaults philosophische Geste in der Ablehnung der Universalien erkannt haben. Der Franzose habe die Nichtnotwendigkeit jeder Form von Macht postuliert, im Unterschied zum politischen Anarchismus aber keine Gesellschaft ohne Macht in Aussicht gestellt.

Foucault habe auch nie nach dem guten Leben gesucht, wie das heute in jedem linken Parteiprogramm der Fall ist. Seine Arbeit sei eine des unentwegten Problematisierens gewesen.

Foucault habe gefragt, wie sich Individuen selbst als Subjekte konstituieren, welche Techniken des Selbstverhältnisses sie dafür entwickeln. Von Nietzsche inspiriert habe er sich diesem Wahrheitsspiel, aus dem wir als Subjekte hervorgehen, zugewandt, habe dabei aber Kants Erkenntniskritik und die Idee einer Wahrheitssuche des freien und mündigen Bürgers verworfen. Das entscheidende Analyseinstrument von Foucault sei das »Wahrheitsregime«, also die verborgene Verbindung von Wissen mit Macht.

Insofern habe Foucault auch die Philosophie als ein Denkgeschäft hinterfragt, das in der Funktion bestehe, die Ausübung von Unvernunft zu begrenzen und die Vernunft als eine endlose Aufeinanderfolge von Rationalitäten darzustellen. Foucault habe das Spiel von Setzung und Dekonstruktion der Setzung unterlaufen. Darin liege seine enorme Leistung.

Subjektivität konstituiert sich durch das Verhältnis zur Wahrnehmung von Wahrheit. Foucault fragte nach der Wahrheit als einer »Pflicht-Zwang-Verbindung«, und das heißt als Politik. Die Diskursanalyse  insistierte auf diese eine Frage: »Was ist wahr und wovor beuge ich mich?«

Wovor sich der »Wille zum Wissen« in den Wissenschaften beugt, das lässt sich ja einigermaßen feststellen: vor Wahrheitsritualen, die das Wahre im Individuum produzieren.

Dasselbe gilt für das gesamte soziale Feld. Um als Disziplinarmacht wirksam zu sein, müsse die diskursive Unterwerfung ständig wiederholt werden. Dabei könne diese »ursprüngliche Akkumulation von Menschen« auf einen sehr einfachen Mechanismus zurückgreifen: sie findet täglich durch die Beschlagnahme ihrer Zeit statt.

Auch Marc Rölli, Professor für Designtheorie in Zürich und für Philosophie in Istanbul, wandte sich Foucaults Kritik der anthropologischen Vernunft zu. Trotz seines sympathischen Vortragsstils blieb die Hälfte des Gesagtem dem Laien leider unverständlich.

Foucaults Großthese vom Entstehen und Verschwinden des Menschen zeigt für Rölli eine Instabilität der Moderne auf. Als endliche Wesen müssten wir uns immer schon auf positive Inhalte beziehen. Dass der Mensch mit sich nicht zeitgenössisch sei, habe Foucault in Hinblick auf die Sprache geäußert. Es gäbe nämlich immer schon eine Vorherigkeit des Seins.

Nach meiner Lektüreerinnerung rückt Foucault mit dem Wort eher vom Gedanken an eine Wiederkehr zum Ursprung bei Hölderlin, Nietzsche und Heidegger ab – aber sei’s drum. Rölli sieht diese »endliche Endlichkeit« des Subjekts als charakteristisch an für die transzendentale Dialektik in der Ordnung der Dinge.

In seinem zweiten Hauptwerk, Überwachen und Strafen, habe Foucault dann den anthropologischen Diskurs aufgedeckt. Jedes juristische Urteil enthalte ja Normalitätsabschätzungen, die Strafe solle den Körper des Delinquenten treffen und nicht die Tat. Auf diese Weise würde die Seele zum eigentlichen Gegenstand der Anthropologie.

Die Aufkärerparole von der Menschlichkeit weise im Diskurs der Reformen die Marter zurück, aber eben nicht nur sie, sondern auch die Gefahren von Tumult und Revolte. Im Namen der Menschlichkeit, so Rölli, könne jede ungeordnete Macht korrigiert werden.

Das hätte uns jetzt natürlich brennend im Zusammenhang mit der Asylforderung für möglichst viele Migranten interessiert. Verstärkt denn die Moral, die in allen Unionsländern auf die Rettung und Aufnahme von illegalen Flüchtlingen drängt, nicht in einem medialen Pizza-Effekt die Flucht aus den Herkunftsgebieten? Und damit wiederum sich selbst, als hysterisches Anathema?

Und, zweite Frage, ist denn die hochtrabende Moral von der »menschlichen Großgesinntheit« der Politaktivisten überhaupt etwas anderes als die Kehrseite der kooperativen Disziplinierung der Flüchtlingsströme durch Schleusermafia und Militär?

Eine positive Antwort darauf ließe freilich die pathetische Berliner Sturmaktion »Die Toten kommen« in einem gar nicht mehr so günstigen Licht erscheinen.

Marc Rölli betonte in Wien, dass die Durchsetzungskraft der Macht stets davon abhänge, die eigenen Mechanismen zu verbergen. Über den allgemeinen Imperativ, die Wahrheit sagen, hinaus fabriziere die Macht ein Geheimnis, das die Leute lähmt, indem sie es lösen wollen.

In der Diskussion stritt man dann darüber, wer Foucault aus dem »anthropologischen Schlummer« geweckt haben könnte. Heidegger? Nietzsche?

Der verdienstvolle Foucault-Übersetzer Walter Seitter sah die rhetorische Vermischung von zwei Begriffen – menschlich im Sinn des Gattungswesens und menschlich im Sinn von menschenfreundlich – als die Ursache an. Die Philosophen der Antike, so Seitter, hätten das noch strikt auseinandergehalten. Erst die Rede der Moderne habe Essenz und Eigenschaft des Zweibeiners durcheinandergewirbelt – und im Gegenzug Foucault skeptisch gegenüber der Anthropologie und dem Begriff des Menschen gemacht.

© Wolfgang Koch 2015

Foto: Volksgarten Pavillon

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