vonWolfgang Koch 12.08.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Angesagte Ereignisse sind immer mit Vorsicht zu genießen, auch am Buchmarkt. Die 815 Seiten, die der Schweizer Publizist und Entwicklungsexperte Al Imfeld in fünfzehnjähriger Kleinarbeit zusammengetragen und zwischen schwarze Buchdeckel gepresst hat, erheben den Anspruch, die erste umfassende Anthologie afrikanischer Lyrik seit 1954 zu bieten.

Damals hat Janheinz Jahn mit viel Verve und einem Konzept, das den afroamerikanischen Geist zweier Erdteile umfasste, die Literaturwelt aus ihrem Metropolenschlummer geweckt. Und 1975 bestätigte Wole Soyinka in seiner Anthologie Poems of Black Africa unter gänzlich anderen Gesichtspunkten die Auswahl dieses Deutschen.

Kann eine neue Anthologie dem so entstandenen Dichterkanon heute neue Namen hinzufügen? Findet Imfelds Sammlung einen Ansatz jenseits von Blackness und Négritude, der die weißen AutorInnen aus Südafrika nicht mehr ausgrenzt? Oder will er uns nur mit antikolonialer Agitationsware Geld aus der Tasche ziehen?

Gewiss, eine Anthologie ist ein Marktplatz. Aber hat denn die singende Seele des schwarzen Erdteils heute überhaupt etwas Dringliches zu sagen? Spricht die Arabellion in brauchbaren Versen? Ist die aufregendste Literaturproduktion seit den 1960er-Jahren nicht eher in Südamerika zu Hause denn in Afrika?

Insgesamt birgt Afrika im Gedicht über 1.150 Texte. Die 570 Gedichte, entstanden zwischen 1960 und 2014, sind zweisprachig abgedruckt und ausgerüstet mit Quellenangaben, Worterklärungen sowie einem zünftigen Autorenverzeichnis. Die Gedichte und Begleittexte kommen auch keineswegs als öde Bleiwüste daher, sondern unterteilt in 63 sogenannte Cluster.

Der Herausgeber ist vor allem ein Sammler. Er zauberte zahlreiche Gedichte aus seinem während vieler Jahrzehnte sorgfältig aufgebauten und gepflegten Beziehungsnetz und sieht darin die Ausbeute einer langen, außerordentlich aufmerksamen Lektüre – ein Lebenswerk.

Um es kurz zu machen: Man stößt in diesem Kompendium auf sehr unterschiedlichste literarische Qualitäten; man findet Geigen, die sich vor der Gesundheit der Vögel verneigen, aber auch kleine Buschschweine, die wenig empfindsam in der poetischen Persona durch den Wortgarten pflügen. Man liest durchaus Grandioses, Einmaliges, aber auch Problematisches, Antisemitisches gar; die Leserschaft bekommt Auskunft über die Strahlenverbrennungen des Schweigens, über das Tautrinken und die Verdoppelung der Worte… – und gleich daneben liefert das Buch Hagiographisches zum Diktator Gaddafi.

Beginnen wir bei den Klassikern, die in keiner gesamtafrikanischen Gedichtanthologie mehr fehlen dürfen:

Vom Frankoafrikaner David Diop erfahren wir, dass das Gleichgewicht, »das die kommenden Tage färbt«, im »Delirium der Zeiten/ und in der Ungeduld der Zeiten« keimt. Der seherische Nigerianer Christopher Okigbo mahnt die Tänzer, die anderswo in diesem Buch Kraft erhalten durch das Aufstampfen am Boden, an den Donner in den Wolken. Als Hauptministrant des Afroexpressionismus marschiert er mit der »leibhaften Stimme des Traums hinein in den Ameisenhügel«.

Vom Südafrikaner Dennis Brutus erfahren wir etwas über die Sturheit der Hoffnung. Jean-Baptiste Tati-Loutard aus dem Kongo weiss fabelhaft von der Pubertät zu fabeln. Der Nigerianer Wole Soyinka ist mit einer Anbetung Oguns und dem Thema Ausbeutung vertreten: »Die verführte Rasse/ erliegt den geölten Mechanismen der überlegenen Lüge«.

Mit zwei weiteren Gedichten wird der selbst gewählte zeitliche Rahmen der Anthologie 1960-2014 überschritten. Léopold Sédar Senghor ist mit einem Wort von 1956, der feinsinnige US-Amerikaner Langston Hughes mit einem Poem von 1925 enthalten.

Bis auf diesen schwarzen Amerikaner waren alle genannten Könner waren bereits in der Soyinka-Anthologie von 1975 versammelt. Lediglich die Südafrikanerin Wilma Stockenström fehlte damals. Eine Weiße, die in Afrikaans schreibt, hätte schlecht zur politischen Parole der Blackness gepasst.

Stockenström erzählt übrigens vom »wolframsharde haat«, vom wolframsharten Hass auf das Apartheitsregime, der 1984 in ihr im holländischen Exil immer weiter anwuchs. Und das ist natürlich ein sehr gelungener Moment, wie das spröde Schwermetall von hoher Dichte namens Wolfram in diesen verzweifelten Kurzversen allerhöchster Dichtung giftig zu schimmern beginnt.

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Über die seit Jahns und Soyinkas Anthologien kanonisierten Autoren hinaus finden wir in Imfelds Kompendium noch einige Talenten, Gelegenheitskönner, vergessene und neu aufstrebende Sterne. Da ist die unter dem Namen Lyra dichtende Madegassin Lalao Randriamampionona mit dem Thema Vollendung. Mazisi Raymond Kunene, der große Versepen über die südafrikanische Geschichte und die Zulu-Mythologie hinterlassen hat, steuert ein paar Zeilen über Musik bei. Von Babacar Sall aus dem Senegal erfahren wir etwas über das verkrampfte Lachen der Hungernden (»die klastischen Konvulsionen des inneren Gemurmels«).

Amüsant und lesenswert: die vom Tunesier Moncef Mezghanni verfassten Worte der Ente, die die Korrumpierbarkeit von Dichtung in der Ära vor der Arabellion brechtisch abhandeln; sowie die Poeme des koptischen Exilanten Gigis Shoukry.

Beeindruckt hat mich auch eine Bilderexplosion des in Frankreich dichtenden und lehren Kongolesen Kä Manga, der sich in die Tradition der Surrealisten stellt (»Damit die Seerosen tanzen!«) und drei Gedichte des Eduardo White aus Mosambik, der mich mit dem Satz »Weißt du,/ es gibt Tage, wo ich das Feuer erfinde« ad hoc ins Vertrauen zieht.

Das war’s dann auch schon!  Achtzehn beachtenswerte Lyriker von 258 insgesamt; zirka zwanzig lesens- und empfehlenswerte Gedichte aus einem ungeheuren Berg von 570 Poemen– Moment mal, soll das wirklich die Bilanz dieses Mammutunternehmens sein?

Dann ist da aber einiges schief gelaufen beim Brückenbauen zum neueren Afrika.

© Wolfgang Koch 2015

Al Imfeld (Hg.): Afrika im Gedicht, 586 Poeme auf 815 Seiten, zweisprachig abgedruckt, Offizin Verlag, Zürich 2015, ISBN 978-3-906276-03-8, EUR 60,-

Fotos: Autor und Marie Obermayr

 

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