vonWolfgang Koch 11.02.2017

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Unmöglich zu sagen, ob die Welt gut oder schlecht ist (von welchem Ort aus sollte man das beurteilen?), aber ich kann von meinem Schreibtisch aus sehen, wie sie täglich an Lächerlichkeit zunimmt. Jede U-Bahnfahrt in einer Grossstadt hält heute eine Wendung parat, die eine schwarze Komödie andeutet.

In jeder Ecke können junge Männer ohne Headsets stehen, bereit sich und uns mit einer Bombe in die Luft zu jagen, jeder LKW kann von einem Spinner gelenkt werden, der bereit ist, Kinder von Gläubigen und Ungläubigen, zu überrollen, in jedem Rockkonzert können Bewaffnete auftauchen und mit halbautomatischen Waffen ins Publikum feuern. Und man hat es bei diesen Suizid-Enthusiasten und Mordbuben keineswegs nur mit Islamisten, Salfisten und Dschihadisten zu tun, mit den koranischen Brüdern, nein, selbst am friedlichen Rad des Buddhismus drehen sie heute.

Am 8. Dezember 2016 verbrannte sich der 33jährige Tibeter Tashi Rabten in der Nähe seines Wohnhauses in Machu, umringt von Augenzeugen und einer Frau, die angesichts des in Flammen stehenden Mannes Suren rezitierte. Der zuvor in chinesischer Haft misshandelte Familienvater hinterliess einen ausführlichen Abschiedsbrief, der mit den Worten endet:

»Ich hoffe, ihr denk nicht, dass ich einen Scherz mache. Ich meine es wirklich ernst. Ich möchte den Menschen mitteilen, dass wir Tibeter uns nicht vor dem Tod fürchten; um die Probleme jedoch friedlich zu lösen, blieb mir keine andere Wahl, als mich selbst zu verbrennen, um die Menschen zu warnen«.

Ach, du meine Güte! Emotionen sind nie ein guter Ratgeber, und das Streben nach dem Besseren ist ebenso fragwürdig. Die Argumentation des aufgebrachten Tibeters unterscheidet sich ja in keinem wesentlichen Punkt von den Wahngedanken der moslemischen Terroristen. Die Campaigner für die Freiheit Tibets nennen Tashi Rapten, dessen Asche in einem Sack seiner Ehefrau ausgehändigt wurde, bewundern ein »Selbstverbrennungsopfer«, obschon sich der Mann doch selbst in Flammen gesetzt hat, also nach juristischen Massstäben unzweifelhaft ein Täter zu nennen ist.

Nach der verdrehten Logik von Free Tibet dürfte sich auch der Berlin-Attentäter Anis Amri im Paradiesgarten, dem Dschanna, »Attentatsopfer« oder »Massakerbetroffener« nennen, obwohl er die Leichen am Berliner Weihnachtsmarkt mit volkspädagogischem Kalkül gezielt verursacht und deshalb zu verantworten hat.

Es gibt eine seit altersher bekannte Dummheit der Klugen, keine Frage. Aber wie gedeiht diese Arroganz, die ganze Menschheit belehren zu wollen, mitten unter uns? Woher nehmen diese Fanatiker die Chuzpe, sich für schlauer als alle anderen zu halten?

Eine möglich Antwort wäre: Tashi der Gute und Amri der Böse sind gar keine besonderen Ausnahmen, sie sind ganz gewöhnliche Figuren einer Modernismussatire, die heute auf allen Kanälen zugleich gesendet wird. Eine moralische Selbstüberhöhung im Modus der Wahrheitsverkündung – das kennzeichnet doch mittlerweile jeden beliebigen Talkgast in jeder beliebigen TV-Show, jeden Politiker auf der Regierungsbank und jeder Leitkommentator. Sie alle pflegen ein Freund-Feind-Vokabular, das man in der liberalen Gesellschaft angeblich überwunden hat.

Und das Feinddenken und die herablassenden Haltungen nehmen auch auf digitalen Plattformen so rasant zu, dass sich die Fanale der Terroristen und der Befreiungssuizidanten, die Tweeds der Hassblogger und die Reden der autoritären Präsidenten in ihrer abgehobenen, höheren Zielsetzung vollkommen gleichen.

Man muss mal die Frage meditieren: Welche Einstellungen der Allgemeinheit verhelfen denn den Suizid-Enthusiasten dazu, dass ihrer Gewalttaten im Vor- und im Nachhinein auf Verständnis stossen, und nicht auf ein schallendes Gelächter?

Diese Frage lässt sich nicht in Kürze beantworten. Aber wir finden im Kunstbetrieb gute Hinweise, wo einen Antwort zu finden sein könnte.

Der slowakische Künstler Július Koller (1939-2007) gehörte einer Generation an, der die exzessive Moral und der verschärfte Missionsdrang noch fremd war. Die totalitäre Erfahrung seiner Epoche war nicht nur als Erinnerung an die Weltkriegstoten lebendig, sie war eine reale Erfahrung unter einem kommunistischen Regime, dessen staatlicher Kunstverband den Happening- und Konzeptkünstler nie akzeptierte.

Koller wurde gezwungenermassen ein Kunsteremit in seinem Plattenbauappartment in Bratislava, er fühlte sich einer Junk-Kultur mit Comic und Ufo-Spekulationen zugehörig, und er hoffte die Welt nicht zu verbessern. Nein, Koller hoffte bei jeder seiner Aktionen, dass wir denken, dass er nur einen Scherz macht. Er meinte seinen Spass wirklich ernst. Er wollte keinem Menschen mitteilen, dass sich Künstler nicht vor dem Tod fürchten.

Auch Kollers Epoche, die letzte des Kalten Krieges, war voller Probleme und Verwerfungen, aber der bärtige Slowake verfiel deshalb nicht auf die Idee, er müsse seine Mitmenschen durch irgendeine Aktion vor Gefahren warnen.

Im Gegenteil: Koller hat das Fragezeichen auf seine Fahne geschrieben. Er persiflierte den missionarischen Eifer der Welterretter, er parodierte die ideologischen Scharmützel zwischen Kommunisten und Antikommunisten, er veranstaltete keine Spendenaktionen für Brandopfer, die es in Gestalt des Jan Barlach, dem Selbstverbrennungstäter des Prager Frühlings, zu seiner Zeit auch gegeben hat. Koller wies das elitäre Meisterwerk-Streben ebenso zurück wie die These von der fortwährenden Weltverschlechterung. Er veranstaltete simple Kurse für Hobbymaler, zog in den »bleiernen Jahren« der Slowakei mit fröhlichen Menschen hinaus in die Natur, fotografierte Bäume, bemalte Almhütten und versah die Landschaft mit widersinnigen Wegweisern.

Július Koller war keine schlechte Antwort auf die moralische Hybris der 1968er, und er ist heute keine schlechte Antwort auf die Menschheitsbeglücker, die in einer Art laokoonhaftem Dauerringen die kontinuierliche Gewaltbereitschaft im globalen Aktionsraum wachhalten.

Kollers Kunst wirkt in unserer Zeit so komisch wie die Tester von virtuellen Welten, die mit ihren schwarzen Videobrillen am Kopf auf Sitzen herumtaumeln und dabei einander so nahe kommen, dass es kracht.

© Wolfgang Koch 2017

Fotos: U.F.O.-naut J.K. (U.F.O.), 2004 – Archiv Květoslava Fulierová (Ausschnitt); Otáznikový textextil/ Question Mark Textextile, 1969 – Courtesy Linea Collection, Bratislava

Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien: Július Koller – One Man Anti Show, kuratiert von Daniel Grún, Katharin Rhomberg und Georg Schöllhammer. Täglich bis 17. April 2017

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