vonWolfgang Koch 02.06.2017

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Das umfassende druckgraphische Werk des vielseitigen Österreichers steht derzeit an gleich zwei vom Künstler selbst dirigierten Ausstellungsorten zur Besichtigung: in der Nitsch Fondation im 1. Wiener Gemeindebezirk, Hegelgasse 5, und im Nitsch Museum Mistelbach.

Bei der Eröffnung der ersten Schau letzte Woche wies Kurator und Auktionsexperte Peter Baum, 78, eindringlich darauf hin, dass der für seine Aktionsmalerei bekannte Nitsch 1956 die Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchanstalt abgeschlossen hat. Damit sei eine überaus realistische Grundlage für das spätere Orgien Mysterien Theater gelegt worden.

Für die Zeichnung ausschlaggebend ist und bleibt ja das Primat der Linie, die Betonung der klare Kontur gegenüber der Fläche, dem Raum und der Farbe. Ob das zeichnerische Unikat mit Stift, Kohle oder Pinsel ausgeführt wird, ist unwesentlich.

Überhaupt, so Baum, gebe es kein künstlerisches Medium, das dem Set aus Bleistift, Papier, Spitzer und Radiergummi im Preis-Leistungs-Verhältnis auch nur nahe kommt. Dieses »kammermusikalische Werkzeug« des Künstlers sei unerhört flexibel und vielseitig einsetzbar. »Das Schöne ist, dass sich Nitsch dann mit 16, 17 Jahren dem Welttheater zugewandt hat. Da hatte er das richtige Abschätzen künstlerischer Möglichkeiten handwerklich bereits erlernt«.

Baum unterschied zwei Sorten von graphischen Werken bei Nitsch: die Unikatdrucke, bei denen etwa 70 Papiere für fünfzig Originale anfallen, und die Radierungen, die meist in einer Auflage von hundert Stück erscheinen – eine Technik, bei der die Zeichnung in der Tiefe liegt und die Spannung in den Moment des Abziehens verlegt wird, ähnlich wie bei den Entwicklungsvorgängen in der Dunkelkammer der analogen Fotografie.

Dass Nitsch in Katalogen und Partituren, auf Einladungen und Plakaten das gesamte Repertoir der druckgraphischen Künste ausgekostet hat, musste nichts eigens erwähnt werden. Dass sich unter den graphischen Arbeiten aber auch grosse Wandbilder im öffentlichen Raum befinden und dass Nitsch eines der monumentalisten Künstlerbücher der Welt in Israel hat drucken lassen, scheint mir die Bedeutung der Druckgrafik im Gesamtwerk viel besser zu illustrieren, als jenes allgemeine Lob des Bleistifts, das dieser Vortrag verschroben in den Mittelpunkt schob.

Um die wunderbare Welt der Grafik dem ohnehin hochgebildeten Auditorium näherzubringen, liess der Eulenträger Baum unter weiteren Hochgesängen Bleistifte an die Anwesenden verteilen: »Alles aus organischen Stoffen, Bleistifte können sogar schwimmen. Sie können sie zerbrechen und sie dann neu anspitzen und so aus einem Bleistift zwei machen. Das alles können Sie mit einem Computer nicht!«

Die an die Zuhörer verschenkten Bleistifte wurden von der österreichischen Tageszeitung Der Standard gesponsert und trugen einen entsprechenden Aufdruck. Man war in der Nitsch Foundation auf diese Idee verfallen, weil das linksliberale Qualitätsblatt seine Werbekampagnen gerne mit dem Symbol eines Bleistifts schmückt.

Nun hatte aber just in derselben Woche die Chefredakteurin dieses Blattes das Handtuch geworfen und den spektakulären Rückzug von ihrem Posten bekannt geben. Betrachtet man den Vorhang näher, erweist sich der Bleistift in der Printlandschaft als ein echter Falschmacher.

Alexandra Föderl-Schmid, 46, arbeitet seit 1990 bei österreichischen Tageszeitung, war 14 Jahre lang Korrespondentin in Berlin und Brüssel, seit 2007 Chefredakteurin, seit 2012 auch Co-Herausgeberin. Spätestens zum Jahreswechsel wird sie als Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung nach Israel gehen – und die Begründung für den überraschenden Abgang aus der Redaktion: sie wolle wieder mehr schreiben und habe keine Lust mehr, ständig unangenehme Entscheidungen mitzutragen.

Damit war öffentlich geworden, dass die Bleistiftfreundlichkeit dieser Tageszeitung ein Märchen ist. Seit Jahren setzen Eigentümer und Geschäftsführung auf die Monetarisierung der redaktionellen Arbeit im Online-Auftritt des Medium, bauen den Printjournalimus zugunsten hektischer, oberflächlicher Klick- und Wisch-Rezeption ab, aus gestandenen Redakteuren werden Textkopierer, aus Kommentatoren Populisten, aus Recherchen APA-Meldungen, aus Bildberichten Agenturmüll, kurz: aus der Erfindung des Gutenbergzeitalters wird ein elektronischer Häppchensalat, den die bisher beste Chefredakteurin Österreichs gerne für ein Korrespondentendasein in der Sonne Tel Avivs eintauscht.

© Wolfgang Koch 2017

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